Textatelier
BLOG vom: 20.10.2007

Wasser vom Hahn: „Bitte eine Flasche Gletschermilch!"

Autor: Emil Baschnonga: Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Der bekannte Zürcher Bankdirektor, Herr Andreas Leutenegger, sass mit Geschäftsfreunden am Esstisch im feudalen Londoner Hotel „Claridge’s“ und bestellte eine Flasche Gletschermilch zum Abendessen. „Nein, bringen Sie uns gleich 2 Flaschen“, fügte er hinzu. Das beeindruckte seine Gäste gebührend, denn die Flasche kostete £ 50. Der Kellner entfernte die Wasserkarte. Jetzt kommt die Weinkarte dran, meinte Herr Leutenegger und setzte seine Brille wieder auf.
 
Der Wasser-Sommelier erschien mit der Gletschermilch. Andächtig einen Arm hinter dem Rücken versteckt, schenkte er Herrn Leutenegger eine Kostprobe dieses köstlichen Getränks ins Champagnerglas. Als sei es ein Spitzenwein, schwenkte Herr Leutenegger das Glas, beschnupperte es, nahm ein Schlückchen, kostete es mit Kennermiene und nickte beifällig: „Prima!“
*
Hier endet die Vorgeschichte, und ich schwenke in Tatsachen über. Tatsächlich bietet Claridge’s neuerdings 30 in Flaschen abgefüllte Wassermarken aus aller Welt an, als da sind „Volcanic“ vom Tai Tapu Vulkan (£ 50 die Flasche); „MaHalo Deep Sea Water“ (£ 28); „Glaciana“ aus Norwegen (£ 18); „Berg“ aus Neufundland, Kanada
(£ 30); „Just Born Spring Drops“, aus den Nilgiris Bergen in Indien (£ 21). Vorderhand fehlt noch die Gletschermilch aus der Schweiz. Nestlé wird diese Lücke wohl bald schliessen. Meine Preisvorstellung: £ 60. Diese Wasserpreise sind Qualitätsweinen ebenbürtig.
*
Wer hätte einst gedacht, dass wir Wasser in Flaschen kaufen sollten! Mir schmeckt das Leitungswasser, selbst in London, nach wie vor. Zwar ist es nicht so rein wie es aus den Leitungen in der Schweiz fliesst. Das beste Wasser, das ich als Kind getrunken habe, war hoch in den Bergen bei den Quellen, wo weder Ziegen noch Kühe weiden. Allenfalls schwammen Forellen im Bergbach, was dem Trunk eine fischige Note sicherte. Meine Frau hingegen traut dem Londoner Wasser nicht, wegen allen teils suspekten Zutaten und hat wohl Recht. Preisbewusst, wie ich bin, kaufe ich einmal in der Woche im lokalen „Lidl“ 6 Flaschen. Einmal pro Woche zertrample ich die Plastikflaschen für die Müllkollektion, jeweils am Montag.
*
Meine Frau trinkt keinen Alkohol. In manchen Restaurants bekommt sie keine kleine Flasche Wasser mehr und wird für eine grosse belastet. Jetzt bestellt sie ein Glas Wasser oder 2 kostenlos – und geht von der Annahme aus, dass kein Restaurant, das auf sich hält, ihr Leitungswasser anbietet. Ich selbst bin skeptisch: gekühlt und mit einer Zitronenschale bereichert, merkt wohl niemand den Unterschied. Immerhin kriegt jedermann, selbst im Claridge’s, einen Krug „London Wasser“ gratis, wohl frisch aus der Themse gefiltert.
*
Sitze ich in der Untergrundbahn in London, trinken viele Leute beinahe unablässig aus ihren Wasserfläschchen. Ich selbst käme dabei rasch in Verlegenheit: Wo sind die Toiletten, wo ich den Überfluss ablassen kann? Zum Glück werde ich nicht so rasch durstig. Und überhaupt, besteht unser Körper aus 90 % Wasser. Ich sehe nicht ein, weshalb ich meinen Wasserstand auf 100 % erhöhen sollte. Das könnte ja mein Hirn überschwemmen, so sehr, dass ich kein Blog mehr schreiben kann.
 
Hinweis auf ein weiteres Blog zum Thema Trinkwasser
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst