Textatelier
BLOG vom: 02.04.2009

Steinbrücks Kavallerie: Die Schweizer müssen nicht zittern

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Lieber eine nachhaltige Rothaut als ein bleiches Grossmaul.“
(Moritz Leuenberger, Schweizer Umweltminister)
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„Ich habe mich masslos aufgeregt über den rauen Ton des Finanzministers. So geht man nicht mit Nachbarn um.“
(Horst Krämer, Präsident des Marketingvereins ProLörrach)
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Als der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück die Kavallerie zu den Indianern in die Schweiz schicken wollte, kochte die Schweizer Volksseele über. Unsere lieben Nachbarn, die bezüglich solcher Äusserungen oft sehr empfindlich reagieren, wollten nicht mit Indianern verglichen werden. Auch sahen sie in den verbalen Entgleisungen aus dem Norden einen Angriff auf eine der ältesten Demokratien der Welt. Man sprach dann von „dem hässlichen Deutschen“, und der Parlamentarier Thomas Müller zog darauf nicht nur dem Finanzminister den SS-Mantel an. Leider wurden dann sämtliche Deutsche als besserwisserisch, unhöflich und aggressiv eingestuft. René Zipperlen von der Zeitung „Der Sonntag“ meinte, dass hier die „Kolonialherren im Wartestand“ sind. Aber keine Angst, Ihr lieben Schweizer, es besteht keine Gefahr einer Invasion.
 
Überzogen fand ich die Reaktion des Schweizer Verteidigungsministers Ueli Maurer, der seinen vom Staat zur Verfügung gestellten Luxus-Mercedes gegen ein momentan weniger verfängliches französisches Gefährt auswechselte. Es wurden auch Überlegungen angestellt, keine Kampfflugzeuge in Deutschland zu bestellen. Ich frage mich, wozu brauchen die friedliebenden Schweizer eigentlich Kampfflugzeuge? Vielleicht um die Steinbrück’schen Invasoren abzuwehren?
 
Die Schweizer müssen nicht zittern
Die Bezeichnung „Indianer“ ist ja kein Schimpfwort. Wie Martin Halter in der „Badischen Zeitung“ vom 28.03.2009 bemerkte, sind „seit dem Tod von John Wayne die Indianer die Guten, und wenn ein Cowboy mit Zuckerbrot und Peitsche fuchtelt, kommt immer ein Karl May und orakelt: ,Der rote Mann kämpft den Verzweiflungskampf; er muss unterliegen’; aber die schuldigen Bleichgesichter werden dafür in alle Ewigkeit büssen. Die Schweizer müssen also nicht zittern, nur die Deutschen vor Scham und Angst erbleichen.“
 
Wie wir später sehen werden, haben wir zum Glück nicht für alle Ewigkeit bei den Schweizern ausgespielt. Das haben wir einigen Wirten und einem Lebensmittelhändler aus der Region zu verdanken.
 
Scharfzüngig und lautstark
Noch einige Wort zu Steinbrück: Der scharfzüngige Peer Steinbrück hat wie viele Politiker kein diplomatisches Gespür. Er muss ab und zu poltern, den Nichtsnutzen in der Regierung die Meinung sagen und auch mal auf den Tisch hauen, wenn seine Sparmassnahmen nicht umgesetzt werden. Der Norddeutsche wirkt oft ungehobelt, lautstark und kraftmeierisch und eben bei den Schweizern auch beleidigend.
 
Auch ich hatte in meinem früheren Arbeitsleben mit Norddeutschen zu tun. Einer behauptete, als er hier im Süden eine Stellung annahm, die Süddeutschen seien alles „Dunkeldeutsche“, also solche, die nicht besonders intelligent sind, im Gegensatz zu jenen im Norden. Wir nahmen das nicht ernst, da wir bald merkten, dass er ein loses Mundwerk hatte und oft Sprüche klopfte. Später kam der Bursche dahinter, dass es auch im Süden intelligente Leute gibt, die eben ruhiger sind.
 
Eine Unverschämtheit
Dr. Johann Georg Schnitzer (www.dr-schnitzer.de) aus Friedrichshafen schrieb an Walter Hess die folgende E-Mail, die an mich weitergeleitet wurde: „Ich empfinde es als Unverschämtheit unserer Regierung gegenüber dem eigenen Volk, über des deutschen Volkes Köpfe hinweg der Schweiz das Recht auf eigenständige Politik abzusprechen und mit angedrohten ,Sanktionen’ gegen die Schweiz herumzufuchteln. Bitte informieren Sie Ihre Freunde, dass wir, die deutsche Bevölkerung, nicht damit einverstanden sind und uns das gute Verhältnis mit der Schweizer Bevölkerung nicht von einer Regierung beeinträchtigen lassen, die weder unseren Willen noch unsere Interessen vertritt. Eidgenossen, bleibt standhaft!“
 
Walter Hess bedankte sich für die Sympathie zur Schweiz. „Umgekehrt gilt dasselbe … ausgenommen sind immer die Regenten.“
 
Die in der „Badischen Zeitung“ am 31.03.2009 abgedruckten Lesermeinungen gehen mit Steinbrück ins Gericht. So bezeichnete M. G. aus Merzhausen, die Steueroasenkampagne von Steinbrück als unsäglich. Leser G. W. aus Lahr ist der Meinung, der Finanzminister sollte einmal die „Buddenbrooks“  von Thomas Mann lesen, „damit er den richtigen Ton im Umgang mit guten Nachbarn findet.“
 
Verzeihung, liebe Schweizer!
„Verunglimpfungen der Schweizer Nationalität, wie Sie Ihrerseits formulierten, belasten zunehmend das bisher sehr gute Nachbarschaftsverhältnis“, war in einem offenen Brief an Peer Steinbrück zu lesen. Absender waren die Kreishandwerkschaft Lörrach und der CDU-Landtagsabgeordnete Ulrich Lusche. Sie baten ferner Steinbrück, „zukünftig auf derartige undiplomatische Äusserungen zu verzichten.“
 
Wirte des „Hotel Restaurants Mühle“ in Binzen, des Gasthauses „Krone“ in Weil am Rhein, des „Hotel Restaurant Adler“ sowie der Chef von Hieber`s Frische Center schalteten eine Anzeige in der „Basler Zeitung“ mit folgendem Inhalt:
 
„Liebe Schweizer Nachbarn … Mit aller Deutlichkeit distanzierten wir uns von den verbalen Entgleisungen des Herrn Steinbrück.
 
So kann und darf sich ein Politiker nicht daneben benehmen, schon gar nicht mit unserer Vergangenheit. Die Schweiz ist eine der ältesten Demokratien und ein souveräner Staat, das haben auch unsere Politiker zu respektieren.“
 
Die Initiatoren haben nach den verbalen Entgleisungen einen Umsatzrückgang erlebt. Aus diesem Grunde entschlossen sie sich, wie Gastronom Hechler betonte, diese Aktion zu starten, zumal auch langjährige Stammgäste wegblieben. In der Regel sind in den Restaurants im Grenzgebiet bis 60‒70 % Schweizer Gäste. Und die darf man nicht vergraulen.
 
Die Entschuldigung kam an. Die Reaktionen waren ausnehmend positiv. Die genannten Gaststätten sind heute wieder gut besucht.
 
Der Basler FDP-Nationalrat und Gewerbeverbandsdirektor Peter Malama lobte die Initiative. „Mit solchen Aktionen kann viel Goodwill wieder hergestellt werden“, sagte er.
 
Im Internet Blog der „Basler Zeitung“ wurden 100 Kommentare abgedruckt. Die Zeitungsanzeige wurde überwiegend als positiv dargestellt. Einer schrieb dies: „Wir werden uns das gute Essen in der südbadischen Nachbarschaft doch wohl nicht vermiesen lassen.“ Ein anderer bemerkte, dass es auch jenseits des Rheins anständige und kultivierte Menschen gibt. Da kann ich ja aufatmen.
 
Aber immer gibt es ein Haar in der Suppe. Auf deutscher Seite äusserten einige sich negativ über die Aktion. „Diese Schlemmer-Lokale werde ich in Zukunft meiden“, lautete ein Kommentar. Hechler und Kollegen waren von nun an „Landesverräter“ und „Nestbeschmutzer“, und es wurde ihnen empfohlen, doch in die Schweiz auszuwandern.
 
Aufgebot zur Recherche …
Walter Hess hatte wieder einmal eine grandiose Idee. Er schlug uns vor, doch einmal in ein Restaurant der Anzeige-Initiatoren auf Kosten des Textatelier.com festlich zu speisen und darüber einen Blog zu verfassen. Nun, wir liessen uns das nicht zweimal sagen und pilgerten am 29.03.2009 ins Gasthaus „Krone“ in Weil am Rhein. Dieses Gasthaus befindet sich im Herzen des Dreiländerecks. Das 500 Jahre alte Haus war einst ein Rathaus und ist heute die älteste Weiler-Gastwirtschaft. Seit 1953 ist es im Besitz der Familie Hechler. Heute leiten Marianne und Roland Hechler die Krone (www.kroneweil.de).
 
Paula und ich nahmen an einem vorbestellten Zweiertisch in einem gemütlichen Nebenraum Platz. Dieser Tisch und andere waren entweder mit Tischlampen oder mit Topfblumen, die in roten Filzsäckchen steckten, dekoriert. Auf jedem Platz befanden sich grosse Unterteller, die mit einem Häkeldeckchen belegt waren. Die Atmosphäre war sehr angenehm. Man spürte sofort, dass man in einem gehobenen Speiselokal war. Die Bedienungen waren alle sehr freundlich, ebenfalls die Chefin Marianne Hechler, welche die Gäste darnach fragte, ob alles in Ordnung sei.
 
Als Vorspeise wählten wir eine Markklösschensuppe, die wunderbar schmeckte. Paula ass dann Kalbsbraten mit Gemüse und Spätzle (Tellergericht für 19,80 Euro), während ich mir frischen Steinbutt mit grünem Cavaillon-Spargel und Sauce Hollandaise und neuen Kartoffeln (39,90 Euro) gönnte. Der französische Spargel schmeckte hervorragend, ebenfalls der von Haut befreite und filettierte Fisch. Als Getränk wählten wir einen Spätburgunder Rotwein aus dem Weingebiet Schliengen (Mauchener Sonnenstück, halbtrocken). Es ist ein fruchtiger und gehaltvoller Rotwein mit weichen Tanninen und Beerenaromen.
 
Da uns Walter Hess in einer E-Mail aufgefordert hatte, kräftig zuzuschlagen („um ein bisschen Geld unters steuerlich ausgelaugte, sympathische deutsche Volk zu bringen“), wählten wir als Nachspeise den Dessertteller Krone (8,50 Euro). Auf diesem Teller waren verschiedene Hausapezialitäten wie Cassiseis, Karamelköpfle, weisses Quark-Mousse, Biskuiteistorte, Latte Macchiato-Parfait. Die Köstlichkeiten waren mit Obstscheiben dekoriert. Es war in der Tat ein Festmahl.
 
Beim Hinausgehen sagte ich noch zu Marianne Hechler: „Ein befreundeter Schweizer hat uns gebeten, nach Steinbrücks Äusserungen doch einmal hier einzukehren. Wir waren sehr zufrieden.“ Da musste sie schmunzeln. Zum Glück hatte sie keinen Rückgang von Stammgästen. Auch die Reaktionen in 80 E-Mails waren durchaus positiv. Kritik kam von deutscher Seite. Es waren wohl missgünstige Personen aus der Region, die mit der Initiative nicht einverstanden waren.
 
Paula bedankte sich dann noch bei Frau Hechler für die sehr freundlichen Bedienungen in deren Restaurant. Es gibt offensichtlich keinen Grund, solche Gasthäuser zu meiden.
 
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