Textatelier
BLOG vom: 08.08.2010

Novartis: Versuchsparadies und gute Aussicht in Schanghai

Autorin: Lislott Pfaff, Schriftstellerin, Liestal BL/CH
 
Novartis wolle sich in Schanghai einen „Fensterplatz“ zur asiatischen Pharmawelt sichern, lese ich in der Mittelland-Zeitung vom 31.07.10. Auf der Halbinsel Pudong, die 1990 zur Sonderwirtschaftszone erklärt wurde, baut der Basler Pharmariese im „Silicon Valley von China“ das grösste Forschungs- und Entwicklungszentrum im Reich der Mitte – Kostenpunkt: 1 Milliarde Schwyzerfränkli. Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente, das bedeutet in der Pharmawelt vor allem Tierversuche bis zum Gehtnichtmehr. Denn tierversuchsfreie Forschungsmethoden – wie Zellkulturen, mathematische und Computermodelle usw. – spielen auf diesem Gebiet immer noch eine untergeordnete Rolle. Der Grund: Das Tier ist das billigste Material, das für diesen Zweck erhältlich ist, dies besonders in einem Land wie China, wo sowohl Menschen als auch Tiere „von Labortieren ganz zu schweigen" wenig bis keinen Eigenwert besitzen und entsprechende gesetzliche Einschränkungen nicht existieren.
 
Dieser Forschungs- und Entwicklungs-Campus – sprich: Zentrum für Tierversuche – soll bis Ende 2014 fertiggestellt sein und innerhalb des Novartis-Imperiums neben Basel und Boston/USA den drittgrössten Platz einnehmen. Die Nachbarn der Basler auf dem Life-Sciences-Park von Pudong setzen sich aus der weltweiten Pharmaelite zusammen: Firmen wie Pfizer, Roche und Wyeth bilden unter anderem den „bedeutendsten Zukunftsmarkt für Multis“, wie die Mittelland-Zeitung schreibt.
 
China könnte innert 2‒3 Jahren Japan als Absatzmarkt überflügeln, meint der Chairman der Region Greater China von Novartis. Der Medikamentenumsatz könnte sich von 37 Milliarden Dollar (2008) auf gegen 80 Milliarden (2013) erhöhen. Während in diesem Land heute noch die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) vorherrscht, rechnet der Novartis-Chairman mit der „Veränderung des Lebensstils“ der Bevölkerung, was die Nachfrage nach Pharmaprodukten stark steigen liesse. Der Konzern erwartet also die Einführung des ungesunden westlich-amerikanischen Ernährungs- und Lebensstils, um eine immer grössere Zahl von kranken Chinesen mit seinen Mitteln malträtieren und damit astronomische Umsätze einfahren zu können. Wie nett von diesen Gutmenschen der Basler Pharma!
 
Überdies sei die „Patientenpopulation“ ungleich grösser als im Westen, schreibt die Mittelland-Zeitung weiter, was die Durchführung klinischer Versuche am Menschen sehr erleichtern werde. Nachdem bekannt geworden ist, dass in China gesunde junge Männer aus armen Bevölkerungsschichten grundlos eines Verbrechens angeklagt und hingerichtet werden, damit ihre Organe in reiche Patienten verpflanzt oder im illegalen internationalen Organhandel verschoben werden können, würde es mich nicht wundern, wenn man auch gesunde junge Menschen – wie es bei den Versuchstieren der Fall ist – künstlich krankmachen und dann als Versuchsobjekte missbrauchen würde. Ob sich die internationale Pharmaelite angesichts der lukrativen Gewinnaussichten um solche Details kümmert, steht auf einem anderen Blatt. Was das Leiden anbelangt, ist die Gleichgültigkeit der Forscher gegenüber den Tieren unermesslich. Weshalb sollte dies gegenüber den Menschen anders sein? „Vom Tiermord zum Menschenmord ist nur ein kleiner Schritt“, sagte der russische Dichter Leo Tolstoi sehr richtig.
Die Ausbildung von chinesischen Akademikern hat in letzter Zeit stark zugenommen: Bisher haben 380 000 im Ausland ausgebildete Wissenschafter wieder ihr Heimatland aufgesucht. Einer davon ist der aus den USA nach China zurückgekehrte Biologe En Li, der die Forschung und Entwicklung von Novartis in Schanghai leitet. Er will im neuen Campus „innovative Medikamente“ erforschen (das heisst an Tieren erproben) und sie dann in klinischen Versuchen (das heisst an Patienten) einsetzen. In China seien verschiedene Krebsarten weit verbreitet, unter anderem der infektiös verursachte Leber-, Magen- und Speiseröhrenkrebs. Mir graut vor diesen Plänen …
 
In schönstem Einvernehmen mit der Basler Pharmaindustrie ist die Universität Basel bestrebt, zusammen mit dem Gesundheitsdepartement und dem Universitätsspital so genannte Kooperationsprojekte zum medizinwissenschaftlichen Austausch zwischen Universitätsinstituten in Basel und der Partnerstadt Schanghai zu realisieren. In China von besonderem Interesse seien Leber- und Darmerkrankungen sowie Infektionskrankheiten im weitesten Sinn, teilt das University Hospital Basel in einem umfangreichen Dokument mit. Kein Wunder: Dies entspricht mehr oder weniger den Forschungsprojekten von Novartis – die Zusammenarbeit zwischen Pharma und staatlichen Institutionen klappt also reibungslos.
 
Das Dokument des Universitätsspitals Basel erwähnt unter anderem eine Krebsbehandlung mit einem rekombinanten (gentechnisch hergestellten) Vakziniavirus, der an Patienten toxikologisch geprüft worden sei und dabei keine Nebenwirkungen erzeugt habe. Nun plant das Institut für chirurgische Forschung am Universitätsspital Basel zusammen mit der Second Military Medical University von SchanghaiTierversuche zur Wirkung von verschiedenen Arten des rekombinanten Vakziniavirus bei der Therapie von Lebertumoren. Wo die Tierexperimente durchgeführt werden, entzieht sich meiner Kenntnis. Sehr wahrscheinlich werden sich sowohl in Basel als auch in Schanghai Kaninchen und andere Labortiere mit Lebertumoren in ihren Käfigen herumschleppen.
 
Wie gesagt: All dies geschieht in schönstem Einvernehmen zwischen der Pharmaindustrie und der Stadt Basel. So besuchte der Basler Regierungsrat Carlo Conti mit Vertretern des Universitätsspitals Basel 2 bedeutende medizinische Fakultäten und Spitäler in Schanghai. Selbstverständlich wurde auch da ein Austausch zwischen Spitälern und Industrie in die Wege geleitet. Zudem wurden im Mai 2010 während der Basler Woche an der EXPO in Schanghai die Basler Health Days durchgeführt. Dabei stellte man das schweizerische Gesundheitswesen vor und präsentierte die bestehende Forschungszusammenarbeit zwischen Basel und  Schanghai. Die chinesische Bevölkerung wird also nach bester PR-Manier auf die paradiesischen Zustände vorbereitet, die dank den Heil(s)mitteln der schweizerischen Pharmaindustrie auf sie zukommen.
 
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