Textatelier
BLOG vom: 01.09.2010

Der Staffeleggzubringer-Tunnel: Sicher ist sicherer als sicher

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Autofahrer sind ein kostbares und kostspieliges Gut. Ihr Wert wird höchstens noch durch ihre beräderten Blech- bzw. Kunststoffbüchsen übertroffen. Kein Aufwand kann gross genug sein, um sie (Büchsen und Inhalt) ohne jeden Kratzer durch die Landschaft zu lotsen. Eine teure Angelegenheit. 28 Millionen CHF kostet der 700 Meter lange Staffeleggstrassentunnel im Horentäli (Horental in Küttigen AG), und 6 Mio. CHF kommen für Sicherheitsmassnahmen hinzu. Damit erfordert die Sicherheit fast gleich viel Geld wie die Aarebrücke (5,9 Mio. CHF). Die gesamten 3,1 Zubringer-Kilometer kommen etwa auf 90 Mio. CHF zu stehen. Ein Pappenstiel im Vergleich zum unermesslichen Marktpreis von uns Mobilisierten.
 
Die Tunnel-Ausstattung
Der auf Brücken und Tunnels spezialisierte Aargauer Tiefbauer Heinz Imseng erläuterte am Tunnelfest Küttigen (28. und 29.08.2010) einem grossen interessierten Publikum die Sicherheitsmassnahmen, die den im Tagbau erstellten Tunnel veredelnd garnieren. Zuerst einmal sind die Fluchtwege und 2 Notausstiege zu nennen, wovon einer im wieder aufgeräumten und humusierten Horental aus Betonkubus zu erkennen und der andere mit dem Zentralenbau vergesellschaftet ist. Das sind natürlich geradezu banale Massnahmen im Vergleich zu den elektrisch-elektronischen Einrichtungen, ein unbeschreiblicher Kabelwirrwarr, der nun richtig verknüpft wird.
 
Das Tunnelbauwerk, das 2004 startete (der 1. Plan stammt aus dem Jahr 1954), war im Mai 2010 fertig, und seither sind die Sicherheitsfachleute am Wirken. Obschon meines Wissens jedes Auto mit einer bestimmten Anzahl von Lampen ausgerüstet ist, wäre ein Stromausfall im Tunnel der Ansatz zu einer Katastrophe, so dass viele Batterien in der Zentrale warten und ihres Amtes walten, notfalls bis zu 12 Stunden lang. Zu jeder Lampe führen 2 Kabel, eines von der normalen Stromzufuhr und eines von der Batterie. All das elektronische Überwachungsgeschehen spielt sich in der Zentrale Horental ab, die mit einem furchterregenden GSM-Handymast garniert wird; dieses Schreckensszenario habe ich im vorangegangenen Tunnelfest-Blog in schillernder Farbigkeit dargestellt. Somit kann der Tunnelfunk in dieser Beschreibung abgehakt werden.
 
Einsame Zentrale
Die erwähnte Zentrale zur Tunnelüberwachung und -steuerung wird, wenn sie einmal fertig eingerichtet ist, unbemannt und unbefraut sein, wie man im feministischen Zeitalter anfügen muss. Die Zentrale ist also sozusagen schon von Geburt an tot, so dass ihr auch der angegliederte GSM-Mast kein weiteres Unheil mehr antun kann. Sie wird aus einigermassen sicherer Distanz von der Verkehrszentrale im Lenzhard in Schafisheim aus via Lichtwellenleiter ferngesteuert werden. So werden die fernen Überwacher, denen auch Videokameras zur Verfügung stehen, sofort davon in Kenntnis gesetzt, wenn sich im Tunnel drin trotz der Strahlventilatoren am Gewölbe Sichttrübungen einstellen – nicht etwa, weil einem Chauffeur die Brille angelaufen ist, sondern weil die Tunnelluft aus irgendeinem Ereignis undurchsichtig wurde. Da man bei alarmierenden Resultaten von Trübungsmessungen gleich an einen Brand denkt, leuchtet in den Tunnelportalen ein Rotlicht auf, und es werden automatisch Feuerwehr und Polizei aufgeboten. Notrufsäulen, beleuchtete SOS-Nischen, Feuerlöscher mit Entnahmeüberwachung sind weitere selbstverständliche Tunnelinnereien.
 
Licht nicht nur am Ende des Tunnels
Die Tunnelbeleuchtung, im Portalbereich mit dem wechselnden Tageslicht koordiniert, teilt sich nach neuen SIA-Normen und ASTRA-Richtlinien in eine Adaptions-, Durchfahrts- und Notbeleuchtung und eine optische Leiteinrichtung auf, so dass sich auch der grösste Trottel am Steuer im Tunnel nicht verfahren kann. Erich Kästner ist dadurch total widerlegt: „Ob Sonnenschein, ob Sterngefunkel: im Tunnel bleibt es immer dunkel.“ Vorbei. Man sieht das Licht nicht mehr einfach am Ende des Tunnels, sondern es ist heute auch mittendrin. Man wird bewährte Redensarten umdichten müssen.
 
Eine durchdachte, saubere Sache also. Damit sie so sauber bleibt, wird der Tunnel jährlich einmal gründlich gewaschen. Ebenfalls gewaschen wird anschliessend das Waschwasser, und das gewaschene Wasser wird mit Hilfe mechanischer Pumpen der Abwasserreinigungsanlage ARA in Aarau zugeführt – zur Endwaschung. Damit die rituellen Waschungen portioniert erfolgen können, steht beim Tunnel ein 100-Kubikmeter-Stapelbecken zur Verfügung, in dem auch gewisse Trennfunktionen, einem Benzinabscheider nicht unähnlich, stattfinden.
 
Das Flüssigkeitsregime ist jetzt überhaupt eindrücklich gelöst, zumal ja seinerzeit das Grundwasser, das (wie 2006) im Horentäli in grösserer Menge anfallen und ungeahnte Auftriebskräfte entwickeln kann, zu einem längeren Bauunterbruch führte. Bei den Karst- und Klufterscheinungen im Jurakalk, den Effinger- und Geissberg-Schichten, kann der Spiegel stark ansteigen. Das war natürlich zu berücksichtigen, auf dass der halbe Tagbautunnel, der im oberen Teil nur mit 1 m Humus bedeckt ist, nicht plötzlich wieder im freien Feld stehe. Eine Bodenplatte steht dem Wasserdruck von unten entgegen. Es gibt Drainage- und Sickerleitungen und eine Grundwasserwanne.
 
Die labilen geologischen Verhältnisse boten schon beim Bau Schwierigkeiten: Beim oberen Tunnelende musste die Baugrube mit einer im Hügel rückverankerten Betonpfahlwand vorübergehend stabilisiert werden. Und damit der Tunnel etwas niedriger wurde, wurden die oberen 320 m nicht mit einem Gewölbe-, sondern mit einem um 30 % teureren Rechteckquerschnitt ausgeführt. Ein Lehrstück für Tunnelwissenschaftler, das sich vielleicht zum Wallfahrtsort entwickeln wird.
 
Zur Betonung der Hygiene und zur Einsparung von Lichtstrom wurde der Tunnel bis gegen das Gewölbe hinauf blütenweiss gestrichen – schliesslich entschied sich ja auch das Spital- und Laborpersonal für die Farbe der Reinheit, der Vollkommenheit, der spirituellen Erleuchtung der Esoteriker, die sich ja gelegentlich auch in Tunnels verirren. Weiss gestrichene Wände mit der glatteren Oberfläche lassen sich einfacher reinigen als rauer Beton. Die Qualität der bereits verpinselten weissen Farbe wird im Moment gerade überprüft. Farbtest.
 
Man könnte noch lange von all dem Straffeleggzubringer-Zubehör erzählen, so von den 3 Kreiseln (Telli Aarau, Bibersteinerstrasse und Asperklus in Küttigen), von der Brücke, deren vorgezogener Bau beidseits der Aare gleichzeitig begann, und wobei sich die beiden Teile tatsächlich auf richtiger Höhe am richtigen Ort in der Flussmitte trafen. Die leicht geneigte und gebogene Brücke stand den Aushubtransporten für Dammschüttungen von Anfang an zur Verfügung. Zu erwähnen wären auch die Wild-und Personenüberführungen usw. Allein für Überführung Horen (beim Horenhof) wurden 40 Kubikmeter Holz bis zu einer Dicke von 1,39 m verleimt und verbaut. Jetzt könnten zur Freude aller Schwertransportunternehmer auch 40 Tonnen schwere Lastwagen über die reine Holztragkonstruktion fahren, wenn es gestattet wäre.
 
Das Tunnelfest
Und dort in der Nähe wurde am erwähnten Wochenende gefestet. Viele Küttiger Dorfvereine und Gewerbetreibende boten Tranksame und Fressalien an, vom Thai-Food bis zu Fischknusperli auf der Grundlage des lichtscheuen Zanders aus dem Bodensee, den man ja auch im Grundwasserauffangbecken des Tunnels mästen könnte, um einen Teil der 90 verbauten Millionen CHF auf diese Weise wieder hereinzuholen. Der Jodlerklub Haselbrünneli Biberstein gab alles – und das ist viel –, und ein Oldtimer-Korso mit vielen Velo-Solexen, Traktoren und Feuerwehrfahrzeugen benützte ebenso wie alte Postautos die neue Strasse, bevor sie fertig war. Und es kam sogar zu einem „Tunnathlon“-Plauschwettkampf.
 
Der Küttiger Gemeindeammann Dieter Hauser schrieb mit Bezug auf seine Dorfumfahrung von einem „ausserordentlichen Meilenstein“. Und der Aargauer Baudirektor Peter C. Beyeler erinnerte an die frankenmässigen, zeitlichen, landschaftlichen und nervlichen Kosten, die der Zubringer einforderte.
 
Kein Wunder, dass die Nerven nicht durchhielten, um mit dem Einweihungsfest bis zum Bau-Ende zuzuwarten.
 
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