Textatelier
BLOG vom: 16.09.2010

St. Chrischona: Rundblick auf schwankendem Sendeturm

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
In der Vergangenheit unternahmen wir schon etliche Wanderungen, von Lörrach D oder Inzlingen D ausgehend, nach St. Chrischona. In dieser kleinen Gemeinde, die auf dem gleichnamigen Berg liegt, ist heute das Zentrum der Pilgermission St. Chrischona ansässig. Es handelt sich um einen evangelischen Gemeindeverband in pietistischer Tradition. Um die Kirche St. Chrischona ranken sich viele Mythen. Sie ist heute ein beliebtes Ausflugsziel im Dreiländereck.
 
Aber der Weiler St. Chrischona hat noch eine ganz andere Sehenswürdigkeit zu bieten: den Sendeturm St. Chrischona mit 250 m Höhe. Er ist das höchste Bauwerk der Schweiz. Nun, wir gingen immer an diesem imposanten Turm vorbei. Ich wünschte mir schon damals eine Auffahrt zur Plattform, die sich auf 137 m Höhe befindet.
 
Am 08.09.2010 wurde mein Wunsch erfüllt. Als nämlich der Schopfheimer Schwarzwaldverein in der „Badischen Zeitung“ eine 10 km lange Wanderung und eine Besichtigung des Turmes mit einer Führung ankündigte, meldeten wir uns sofort an. Mit von der Partie war Wanderfreund Ewald Greiner. Eine frühe Anmeldung war angebracht, da maximal nur 25 Teilnehmer mitkommen konnten. Aber wir hatten Glück.
 
Wir fuhren mit der S-Bahn von Schopfheim über Basel nach Wyhlen D. Von dort wollten wir über den Ziegelhof durch das Rauschbachtal nach St. Chrischona wandern. Unser Wanderführer Günter Horschig liess den 21 Teilnehmern (4 sagten wegen Regen ab) vor einer Wegkreuzung die Wahl, ob sie den bequemeren Weg oder jenen durch das wildromantische Rauschbachtal gehen wollten. Er kannte beide Strecken und wies auch darauf hin, dass der Pfad etwas rutschig sein könnte. Wir wählten dann den Pfad durch das genannte Tal. An einigen Stellen wurden die Marschierenden auf Tafeln hingewiesen, dass bei Regen wegen der Rutschgefahr die kleine Schlucht nicht begangen werden sollte. Am Morgen des Mittwochs hatte es noch kräftig geregnet. Kaum waren wir aus dem Zug in Wyhlen gestiegen, wurde das Wetter immer besser, später lugte sogar die Sonne zwischen den Wolkenfetzen hervor.
 
Im Gänsemarsch liefen wir auf einem schmalen Weg ins Rauschbachtal hinein. Durch das tief eingeschnittene schmale Tal floss der Rauschbach, der nicht besonders viel Wasser führte. Überall lagen bemooste Baumstämme herum. Einige waren abgeschnitten, um die Tourengänger durchzulassen. Ab und zu liefen wir über neue Holzstege und auch über Treppenstufen. Die Wege waren an einigen Stellen sehr rutschig. Als der Pfad an einer Stelle steil in die Höhe ging, kamen einige Wanderer ins Rutschen. Eine Frau, die trotz ihrer Ausrüstung mit Wanderstöcken ausrutschte, musste von 2 hilfsbereiten Herren wieder auf die Beine gestellt werden. Die anderen schlugen sich am Rande des Weges an festeren Stellen des Waldbodens durch. Wir waren natürlich besonders an den Schuhen und unteren Teilen der Hosenbeine gehörig verschmutzt. Die zu Boden gesunkene Frau war jedoch schlechter dran; sie war ab der Hüfte mit Schlamm verschmiert.
 
Für uns war es schon die 3. Schlammwanderung (Wutachschlucht, Wolfsschlucht und Rauschbachschlucht). Aber der Naturschlamm ersparte uns manch eine Schlammpackung. Unser Wanderführer entschuldigte sich und bemerkte, er habe die kleine Abzweigung vor dem verschlammten steilen Weg nicht gesehen.
 
Apfel-Most und Holzfass-Bier
Bald darauf erreichten wir den trockenen und breiten Westweg mit der roten Raute, der uns direkt nach St. Chrischona führte. Wir kamen etwa um 12:45 Uhr an. Da wir noch bis zu Beginn der Führung um 14:00 Uhr Zeit hatten, suchten wir das in der Nähe befindliche Restaurant Waldrain auf (www.waldrain.ch). Auf der Sonnenterrasse nahmen wir ein kleines Mahl aus dem Selbstbedienungsrestaurant ein und tranken Apfelmost. Ewald und ich verzehrten eine Käsewähe, die vorzüglich schmeckte.
 
Am Nachbartisch trank ein älteres Wandermitglied ein seltsames Bier aus einer bauchigen, langhalsigen Bügelflasche. Auf die Frage, was das für ein Bier sei, antwortete der Mann: „Ein Holzfass-Bier“. Von so einem Bier hatten wir noch nie etwas gehört. Ewald holte sich eine 0,33 Liter-Flasche und ich konnte auf dem rückseitigen Etikett dies lesen: „Als einzige Brauerei der Schweiz lagern wir unser ,Holzfass-Bier’ in alten Eichenfässern. Die Atmung durch die Holzporen und der Austausch von Geschmackstoffen mit dem Holz geben diesem Bier seinen unnachahmlichen Charakter. Die einzigartige Malzmischung ergibt ein vollmundiges und aromareiches Bier, welches in Gaumen und Nase eine spezielle Blume entwickelt.“
 
Ewald gab mir eine Kostprobe vom Bier ab. Ich fand das amber/honigfarbene trübe Bier schmackhaft; es hatte jedoch einen geringfügigen rauchigen Nachgeschmack. Wie ich aus dem Internet erfahren konnte, wird das Bier von der Brauerei Locher in Appenzell in 5. Generation gebraut. Eine weitere Bierspezialität ist das Vollmond-Bier, das bei Vollmond gebraut wird (www.appenzellerbier.ch).
 
Auch für Whisky-Freunde hat die Brauerei etwas zu bieten. Es ist der „Appenzeller Säntis Malt“. Dieser wurde 2010 vom Whisky-Papst Jim Murray zum besten Tropfen Europas gekürt. Er setzte sich gegen mehrere hundert edle Whiskys durch.
 
Aufgaben des Sendeturms
Nach der Stärkung wanderten wir zum Eingang der Sendeanlage, die sich auf der Rückseite des dreibeinigen Turms befindet. Robert Born empfing uns zu einer 1-stündigen Führung. Zunächst sahen wir einen Film über die Aufgaben und Angebote der Swisscom-Broadcast AG (www.swisscom.ch/broadcast); dann folgten Infos von unserem Führer über die Geschichte, Zahlen und Fakten des Turms.
 
1954 wurde ein 1. Sendeturm aus Gerüststangen als Antennenträger mit einer bescheidenen Höhe von 30 Metern für ein Programm des Schweizer Fernsehens errichtet. Damals gab es nur 76 Fernsehgeräte im Grossraum Basel. Am Fuss des Turmes war eine einfache Holzhütte, in dem ein Fernseher aufgestellt wurde. Während der Fussball-WM in der Schweiz 1954 kamen Leute aus der Umgebung, um die Übertragungen zu sehen. 1956 erfolgten erste Sendungen von Radio DRS über UKW. 1963 wurde ein 136 Meter hoher Antennenträger erstellt. Der heutige imposante Turm wurde zwischen 1980 bis Ende 1983 errichtet. Seit einigen Jahren überträgt der Sendeturm digitale Schweizer Fernseh- und Rundfunkprogramme. Auf Grund der guten Lage der Sendestation können grosse Teile der Nordwestschweiz mit Radio- und TV-Programmen versorgt werden. Ausserdem gibt es Richtstrahlverbindungen für Telefondienste. Der Sendeturm ist heute für das Schweizer Telekommunikationsnetz eine wichtige Anlage.
 
Der Sendeturm hat noch eine besondere Einrichtung, nämlich in 103 m Höhe ein 2 × 100 m3 fassendes Wasserreservoir der Industriellen Werke Basel. Es dient zur Wasserversorgung von St. Chrischona. Früher war das Reservoir in der ehemaligen Wallfahrtskirche St. Chrischona untergebracht. „Aber im Laufe der Zeit wurden die Häuser immer grösser und überragten die Kirche. Ihr könnt euch vorstellen, wie der Wasserdruck in den Leitungen war“, sagte Robert Born.
 
Auf die Frage, welche Schwankungen der Turm hat, erklärte Robert Born, die Spitze des Turmes schwanke 2,5 m und auf Höhe der Aussichtsplattform 30 cm. Die Angaben beziehen sich auf eine Windgeschwindigkeit von 160 km/h.
 
46 Stockwerke zur Aussichtsplattform
Nach weiteren technischen Erläuterungen und Einblick in den Senderaum wurden wir zum 26 Personen fassenden Aufzug gebeten. Dann ging es über 46 Stockwerke in 1,5 Minuten zur Aussichtsplattform in 137 m Höhe.
 
Die Besucher verliessen den Aufzug, und es folgte ein vielstimmiges „Ah“. Wir wurden nämlich mit einem atemberaubenden Rundblick durch die Glasfenster der Plattform überrascht. An diesem Tag sahen wir zwar nicht die hohen Berge des Berner Oberlands, sondern sehr gut die bewaldeten Erhebungen des Schweizer Juras, der Vogesen und des Schwarzwalds. Wir erblickten Basel (Sichtverbindung: 9 km), Liestal (12 km), Chasseral BE (68 km), Blauen, Feldberg (41 km), Belchen und viele kleinere Orte in der näheren und weiteren Umgebung. Wie man uns sagte, kann man bei guter Sicht bis zum Jungfraujoch BE (116 km), Titlis (105 km) und den Säntis im Appenzellischen (130 km) sehen.
 
Aber wir hatten an diesem Tag trotzdem Glück. Die aufgelockerte Bewölkung liess eine gute Sicht zu. Am Vormittag war eine Journalistengruppe da gewesen, und die hatte laut Born eine etwas getrübte Aussicht.
 
Über der Aussichtsplattform befindet sich noch ein Sitzungszimmer. Privat kann man den Raum am Tag für 150 CHF/Stunde oder nach 18:00 Uhr für 250 CHF/Stunde mieten.
 
Wir genossen die herrliche Aussicht auf 137 Meter über Grund mit vollen Zügen. Man kann so ein Erlebnis nicht beschreiben. Es fehlen einem die Worte. Es war nicht zu vergleichen mit der Aussicht aus dem Fenster eines Flugzeugs. Hier verschwand die Landschaft nicht in der Ferne, sondern wir hatten einen ruhigen Blick auf die unter uns liegende Welt. In der Nähe des Turms sah ich noch eine Weide mit Kühen. Diese Tiere waren winzig klein.
 
Nach diesem grandiosen Erlebnis ging es wieder per Lift abwärts. Wir bedankten uns bei Robert Born, der eine Flasche Wein vom Schwarzwaldverein überreicht bekam.
 
Kurz darauf machten wir uns auf den Weg in Richtung Riehen BS/CH. Am Bahnhof als wir auf den Zug warteten, gab es noch eine Stärkung. Wir erhielten von einem teilnehmenden Ehepaar einen Prinz Saubirne Schnaps (www.prinz.cc). Es war ein Urlaubsmitbringsel der Beiden. Alle waren höchst erfreut und entzückt, als sie den köstlichen Tropfen verkosteten.
 
Anhang: Turmdaten
Betonvolumen: 10 000 m3
Armierungsstahl: 1300 t
Stahlrohrturm: 135 t
Stahl für Antennenterrassen: 120 t
Vorspannstahl: 90 t
Bauzeit: fast 4 Jahre
Baukosten: 50 Millionen CHF, plus etwa 50 Millionen CHF für die Anlagen.
 
Internet
www.biertest-online.de (Beurteilung des Holzfass-Bieres)
 
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