Textatelier
BLOG vom: 10.12.2010

PS zur CH-Steuergerechtigkeits-Initiative und zu Privilegien

Autorin: Lislott Pfaff, Schriftstellerin, Liestal BL/CH
 
Gemäss Art. 127 der eidgenössischen Bundesverfassung sollen die Kantone alle Einwohner „nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ besteuern (der Absatz 2 lautet wörtlich: „Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind dabei insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten.“)
 
Die Steuergerechtigkeits-Initiative hatte also kein anderes Ziel, als diesen Verfassungs-Grundsatz teilweise in die Praxis umzusetzen und zumindest etwas weniger Ungerechtigkeit walten zu lassen. Sie wollte nämlich für hohe Einkommen von mindestens 250 000 Franken und für Vermögen ab 2 Millionen Franken in der ganzen Schweiz einen Mindeststeuersatz von 22 Prozent bzw. 5 Promille einführen. Die rechtsgerichteten Politiker aus dem Dunstkreis der neoliberalen Economiesuisse, welche die Initiative vehement bekämpften und behaupteten, damit würde vor allem der Mittelstand durch höhere Steuern belastet, haben eine unbewiesene Behauptung aufgestellt. Auch Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf sagte nicht die Wahrheit, als sie behauptete, jene Kantone, die heute einen höheren Steuersatz haben, müssten diesen gemäss Initiative nach unten anpassen, was zu finanziellen Engpässen und Abbau der Sozialleistungen führen würde. Die Initiative verlangte keinen Höchst-, sondern einen Mindestansatz. Die Kantone, die ihre Einwohner jetzt schon mit mehr als 22 % besteuern, hätten diesen Steuersatz und damit soziale und andere Leistungen auch nach Annahme der Initiative beibehalten können. Die  Behauptungen waren nach meiner Ansicht Schwarzmalerei und sollten das Abstimmungsresultat auf erpresserische Weise beeinflussen.
 
Nach dem Beispiel des Kantons Zürich will nun die SP Baselland mit einer Initiative auch in unserem Kanton das Privileg der Pauschalsteuer abschaffen. Ich hoffe, dass die Stimmberechtigten im Baselbiet diesmal vernünftiger entscheiden als bei der eidgenössischen Abstimmung zur Steuergerechtigkeits-Initiative, die – wie in allen Kantonen der Deutschschweiz ausser in Basel-Stadt ‒ auch in unserem Kanton verworfen wurde. Offenbar fiel das Stimmvolk wieder einmal auf die üblichen Clichés herein wie „Isolation der Schweiz gegenüber Europa“, „Schwächung des Wirtschaftsstandorts Schweiz“ usw.
 
Leider ist es eine historische Tatsache, dass das Schweizervolk bei Initiativen meist gegen seine eigenen Interessen abstimmt. Wobei ich jene 300 Superreichen nicht zum normalen Schweizervolk zähle, die zusammen 470 Milliarden Franken Vermögen besitzen. Manche davon sind aus dem Ausland in die Schweiz gezügelt – sicher nicht wegen unserer schönen blauen Augen. Von den 15 im Wirtschaftsmagazin bilanz dieses Jahr neu aufgelisteten Reichen (Kriterium: mindestens 100 Mio Franken Vermögen) stammen 12 aus dem Ausland. Notabene besitzen 3 % der in der Schweiz wohnhaften Personen zusammen so viel Vermögen wie die übrigen 97 %. Um so abstossender finde ich die vor der Abstimmung geäusserten Drohungen dieser Superreichen: Wenn ihr Stimmbürger und -bürgerinnen diese Initiative annehmen werdet, verlassen wir die Schweiz stante pede und wählen ein anderes Steuerparadies. Ich bin überzeugt, dass dies nichts Anderes als leere Drohungen waren und dass diese Leute auch bei einer etwas grösseren Steuerbelastung in der schönen Schweiz mit ihrem Arbeitsfrieden und ihrer politischen Stabilität geblieben wären. Wilhelm Tell hätte zwar mit Recht gesagt: „Lasst sie doch laufen!“ Leider fehlt es in der heutigen Schweiz an Tellensöhnen und -töchtern, sonst hätte das Volk nicht zugunsten des Gesslerhuts, mit anderen Worten zugunsten des grossen Geldes, abgestimmt.
 
Man kann das negative Abstimmungsergebnis auch als Denkzettel des Volkes gegenüber der politischen Linken bezeichnen – ich bin da anderer Meinung: Es war eine Fehlleitung, infolgedessen eine Fehlleistung jener Stimmberechtigten, die an die Urne gingen. Mit der Ablehnung der Initiative macht der Schweizer Souverän Steuergeschenke an die Reichsten im Lande, ganz nach dem Muster des vielkritisierten US-Präsidenten Barack Obama. Müssen wir denn auch hier wie in vielen anderen Bereichen die Weltmacht nachäffen?
Lediglich eine winzige Minderheit von 1 % der Steuerzahler erfreut sich eines Einkommens von mindestens einer Viertelmillion, das für den geforderten Mindeststeuersatz massgebend gewesen wäre. Und höhere Steuern hätte erst noch nur jener Teil dieser Minderheit bezahlen müssen, der in einem der schweizerischen Fiskalparadiese wohnt, welche die Superreichen mit lukrativen Steuerprivilegien anlocken. Nicht der Mittelstand, das heisst jene Steuerzahler, die weit weniger als 250 000 Franken im Jahr verdienen, wäre bei Annahme der Initiative zur Kasse gebeten worden, sondern Leute wie der Textilhändler Cloppenburg (mit 2–3 Milliarden Vermögen), der Erdölmagnat Törnqvist (1,5–3 Milliarden Vermögen) oder der Pharmaboss Vasella (zirka 40 Mio Jahreseinkommen). „Reichtum ist selten mehr als der Rest von Verbrechen“, wie der Religions- und Gesellschaftskritiker Karlheinz Deschner in seinen „Bissigen Aphorismen“ sagte. Darf denn solcher Reichtum nicht etwas mehr zur Kasse gebeten werden als bisher?
 
Ich bin nicht Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, von deren Politik der Nationalrat und Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer behauptete, sie beruhe auf „Neid und Missgunst“ (wie will er das beweisen?). Ich bin auch nicht in allen Punkten mit ihrem politischen Programm einverstanden. Ohne Neid und Missgunst darf ich jedoch erklären, dass ich all den superreichen Schweizern und Ausländern, die bei uns wohnen, ihre Milliarden gönne. Hingegen sehe ich nicht ein, weshalb diese Milliarden nicht wenigstens zu einem kleinen Teil jenen Menschen zugute kommen sollten, die am Rande des Existenzminimums oder darunter leben müssen. Einer meiner Bekannten, der behinderten Menschen mit Jahreseinkommen von knapp über 20 000 Franken beim Ausfüllen der Steuererklärung hilft, ist empört, dass diese Unterprivilegierten ihr mehr als bescheidenes Einkommen noch versteuern müssen. Gerecht wäre es doch, findet er, solchen vom Schicksal benachteiligten Menschen die Steuern überhaupt zu erlassen. Durch diese minimen Verluste würden der Kanton Baselland und die Schweiz sicher nicht verlumpen. Und die Superreichen auch nicht …
 
Hätte ich nun solchen Steuerflüchtlingen wie Roger Federer oder Daniel Vasella zuliebe die Initiative ablehnen sollen, damit diese armen Millionäre bzw. Milliardäre ja nicht ein paar Fränkli mehr in die Staatskasse abliefern müssen? Nein, und deshalb habe ich mit Überzeugung Ja gestimmt und gehöre wie schon so oft zu einer Minderheit, die hinterher „ihre Wunden lecken“ muss (auch so ein Cliché im politischen Vokabular). Aber es geht nicht ums Wundenlecken ‒ bei dieser Abstimmung ging es einzig und allein um die moralische Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit der sogenannt solidarischen Schweiz. Aber die Solidarität ist leider wieder einmal untergegangen zugunsten des goldenen Kalbes.
 
Quellen:
az 04.12.2010 bis 29.11.2010
bz 07.12.2010
 
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