Textatelier
BLOG vom: 20.05.2011

Schreiben. Die Welt zu lesen und auch zu verstehen suchen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
„Wenn du deine Rolle in der Welt besser verstehen willst, dann schreib. Versuche deine Seele ins Schreiben zu legen, auch wenn niemand es liest, oder, was schlimmer ist, jemand es liest, obwohl du es nicht wolltest. Der einfache Akt des Schreibens hilft uns, Gedanken zu ordnen und klar zu sehen, was uns umgibt. Ein Stück Papier und ein Kugelschreiber können Wunder bewirken – Schmerzen heilen, Träume in Erfüllung gehen lassen, verlorene Hoffnung wiederbringen.
Im Wort liegt Kraft.“
 
Paulo Coelho: „Unterwegs. Der Wanderer“, Diogenes Verlag AG, Zürich 2007.
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Die beiden Schülerinnen der Neuen Kantonsschule Aarau, Andrea Marti und Yaiza Rubido, kamen mit dem AAR-Bus am 26.04.2011 um 17.53 Uhr in Biberstein Dorf an, wo ich sie abholte und zu meinem Heim begleitete. Sie hatten mich per E-Mail angefragt, ob die Möglichkeit bestehe, mich zu interviewen: „Wir würden gerne für den Deutschunterricht eine Reportage über ihr Textatelier.com und ihre Tätigkeiten als Autor schreiben.“ Ich antwortete, dass ich strebsame junge Leute immer mit Vergnügen unterstütze.
 
Die beiden 16-jährigen Schülerinnen, die ich schon wegen ihres selbstsicheren Auftretens und ihrer gelösten Art älter eingeschätzt hatte, kamen, nachdem sie mich über meinen Lebenslauf befragt hatten, gleich aufs Wesentliche zu sprechen: „Warum schreiben Sie?“ Solche Fragen zwingen einen, in sich zu gehen. Was würde man auf die Frage „Warum essen Sie?“ antworten? Weil es sein muss. Der Kalorien wegen. Um den Hunger abzustellen. Des Genusses wegen, denn das Essen macht Freude. Weil es Abwechslung in den Alltag bringt. Weil man dabei zusammensetzt und sich entspannt unterhält, also wegen der soziokulturellen Bedeutung. Usf.
 
Aber warum schreibt man denn eigentlich? Für mich war es (neben dem Lesen) schon immer die schönste aller denkbaren Tätigkeiten. Man entwickelt dabei Gedanken (ich schreibe im 2- bis 3-Finger-System relativ langsam), ist gezwungen, die Gedanken zu ordnen und kann sie sowie sich selber weiterentwickeln. Max Frisch sagte es so: „Warum ich schreibe? Weil es schwer ist, das Leben auszuhalten, ohne sich auszudrücken." Ich war in der glücklichen Lage, dieses Schreiben, Lesen und Redigieren/Lektorieren schon im Alter von 24 Jahren zu meinem Broterwerb machen zu können. Mitte 2002 wurde ich pensioniert und schrieb weiter, seither ohne finanzielle Zwänge, unter denen ich ohnehin nie gelitten habe. Wer einmal Journalist war, bleibt es für immer.
 
Ein Hobby, auch wenn es zum Beruf wurde, braucht man ja nicht aufzugeben, nur weil man 65 ist. Ich kann mir das Schreiben einiges kosten lassen, und das bedeutet Unabhängigkeit (und gilt wohl auch für alle Mit-Autoren und Blogger des Schreibunternehmens Textatelier.com). Weil ich an ein hartes Arbeiten ohne das Zählen von Arbeitsstunden und -tagen gewöhnt, jetzt aber von vielen administrativen Aufgaben befreit bin, kann ich mich diesem Verfassen von Texten vermehrt zuwenden und damit meine Schreib-Kondition trainieren und verbessern. Schliesslich ist das Zusammenfügen von Buchstaben und Satzzeichen eine Übungssache, wie alles andere auch.
 
Das Beschreiben ist ein Fotografieren mit der Sprache, und deshalb lassen wir bei den Blogs (Tagebuchblättern) Bilder weg, weil sonst der Zwang, etwas schriftlich anschaulich darstellen zu müssen, entfiele. Für Feuilletons, aus der Fantasie heraus geboren, eigne ich mich weniger; dafür haben wir unseren Emil Baschnonga in London.
 
Darüber philosophierte ich gegenüber meinen beiden aufmerksamen Zuhörerinnen, die mir später eine Kopie von ihrer Reportage sandten. Für mich war es interessant, zu erleben, was denn von meinem Gefasel im Kopf meiner beiden Gesprächspartnerinnen übrig geblieben war. Das Tonaufzeichnungsgerät von Yaiza Rubido hatte irrtümlicherweise nicht aufgenommen, wie die Interviewerin erst am Schluss des gut einstündigen Gesprächs entdeckte – mir ist solch eine Panne kürzlich auch passiert. Doch ist bekanntlich das, was man im Kopf behält, das Wesentliche.
 
Die beiden Schülerinnen schrieben aus der Erinnerung: Der Blog ist für Walter Hess ein Mittel um neue Kontakte zu knüpfen, sich die Wut und die Sorgen von der Seele zu schreiben und die Leute zum Nachdenken anzuregen. Er setzt sich dabei hauptsächlich mit aktuellen Themen auseinander, bei welchen er auch die anderen Tatsachen an den Tag befördert, welche die Medien unterschlagen. Der Lohn dafür sind Kommentare und E- Mails, die er von seinen Lesern bekommt. Er erhält auch viel Lob für seine Texte. (...) So etwas wie eine Schreibblockade kennt er nicht. (...) Seiner Hand lässt er beim Schreiben freien Lauf. Dabei erklärt er uns: ,Sobald man den Anfang hat, kann man immer wieder darauf aufbauen und weiter schreiben.’ Der rote Faden darf im gesamten Werk jedoch nicht verloren gehen, sondern sollte den Leser bis zum Schluss hindurchführen.“
 
Ich finde, dass darin der Kern meiner vereinfachten Darstellung recht gut getroffen ist. Zudem staunte ich über die Beobachtungsgabe und das Talent der beiden jungen Frauen, eine Situation durch Wörter bildhaft darzustellen: „Sein gemütliches Haus befindet sich am Ende einer Sackgasse in Biberstein, umgeben von einer ruhigen Gartenoase. Ein kleiner Teich rundet die idyllische Atmosphäre von lieblich duftenden Bäumen und Blumen ab. Der Weg ist mit Natursteinen ausgelegt. Er vertieft den Eindruck von Sicherheit und Geborgenheit. Der kleine Garten wird begrenzt durch einen steil abfallenden Hang, in welchen Walter Hess kleine Wege eingebaut hat. Neben dem heimeligen Sitzplatz plätschert leise ein kleiner Brunnen. Stolz erklärt uns Walter Hess: ,Dies ist frisches, klares Bibersteiner Wasser. Früher kam man extra von Aarau, um es hier zu schöpfen.’“
 
Für diese Schilderung würde ich die Bestnote 6 geben, wäre ich Lehrer. Im weitesten Sinne haben die Schülerinnen den Titel ihrer Textatelier.com-Reportage durch ihre eigene Formulierungskunst gerechtfertigt: Man kann die Landschaft lesen und man kann sie verstehen“ – das trifft auch auf Menschen zu: Auch Gesichter, Gesten (die Körpersprache mit der Haltung und den Bewegungen) können gelesen werden: Bei Andrea Marti deuten der hohe Haaransatz und die zurückgebundene, in einen Knoten am Hinterkopf auslaufende Frisur auf einen klar und durchdacht handelnden, von der Vernunft geprägten Menschen. Der weite Abstand der leuchtenden, grossen, braunen Augen von Yaiza Rubido lässt auf einen visionären Weitblick schliessen, und die langen, gewellten braunen Haare belegen die impulsive Art im Rahmen eines intensiven Gefühlslebens.
 
Der Anblick von Landschaften offenbart vorwiegend durch ihre Formen, auf Transport und Ablagerungen und die Wasserkräfte zurückgehend, sehr vieles von deren Geschichte, ihrem geologischen Innenleben. Die Natur (Fauna und Flora auf lebendigen und degradierten Böden) lässt detailliertere Rückschlüsse auf Standorteigenschaften zu, und das von Menschen Gestaltete (Land- und Forstwirtschaft, Bauwesen und die damit verbundenen Parzellierungen) hatte einst einen starken Bezug zu den örtlichen Gegebenheiten, die sich in der Zeit der Globalisierung allerdings zunehmend auflösen, indem der Einflussbereich grösser und das Resultat dadurch verschwommener wird.
 
Betrachtet man etwas von aussen, ist die Interpretation bei genügendem Kenntnisstand verhältnismässig einfach. Doch die Selbstbetrachtung und –interpretation ist schon wesentlich schwieriger. Oft ist man darauf angewiesen und entsprechend dankbar, einen Spiegel vorgesetzt zu erhalten, und das ist z. B. dann der Fall, wenn man zum Objekt einer gelungenen Reportage zu Ausbildungszwecken wird.
 
Dafür danke ich den beiden jungen Damen und wünsche ihnen bei ihrer weiteren Ausbildung und bei der nachfolgenden beruflichen Karriere den gebührenden Erfolg.
 
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