Textatelier
BLOG vom: 18.12.2011

Kulturerbe in Einsiedeln: Erster Besuch im Museum FRAM

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
2010 wurde das Einsiedler Museum FRAM eröffnet. Es soll der Bewahrung und Förderung des reichen Einsiedler Kulturlebens dienen. Die Sammlung des Museums umfasst zur Hauptsache das Benziger Archiv mit rund 25 000 Büchern, Bildern, Drucken und Dokumenten des ehemaligen Einsiedler Benziger Verlags sowie die Sammlung Meinrad Lienert und Sammlung Einsiedelensia.
 
Gegenwärtig wird die Wechselausstellung Zauberwahn und Wunderglauben gezeigt. Wir haben sie an einem Werktag besucht, hatten alle Zeit, uns den Texten und Exponaten zuzuwenden, waren sofort angetan von der Atmosphäre dieses sanft renovierten Hauses und vom Respekt dem Ausstellungsgut und der dazugehörigen damaligen Glaubenswelt gegenüber. Schon im Text der Ausstellungs-Einladung wies ein Satz der Direktorin lic. phil. Detta Kälin in diese Richtung. Sie schrieb: Jede subjektive religiöse Erfahrung entzieht sich einer Wertung und ist als solche zu respektieren.
 
Vieles, was wir dann zu sehen bekamen, war uns noch bekannt. Die Schätze aus den kleinen Läden, die dem Kloster vorgelagert sind, hatten in jungen Jahren ihren Zauber auch auf uns ausgeübt. Und noch heute sind viele Andenken an eine Wallfahrt nach Einsiedeln unverändert erhältlich: Kerzen, Rosenkränze, Engel, Heiligenfiguren, Schmuckketten mit Kreuzen oder Medaillons.
 
Als Kinder schätzen wir Mädchen vor allem die sogenannten Bildli, Abbildungen von Engeln, Maria oder Heiligen, die wir ins Gesangbuch legten und während der Predigt anschauten oder tauschten. Religiöse Bildung entstand anfänglich durch Bilder. In der Ausstellung wurde auch berichtet, dass Heiligenbildchen als allgemeiner Schutz verstanden worden seien.
 
Der Glaube an etwas Geistiges braucht auch noch Unterstützung vom Fassbaren, an dem man sich halten kann, was man sehen, greifen und dann begreifen kann.
 
An Amulette kann ich mich nicht erinnern, obwohl es sie gegeben hat. Sie interessierten mich offenbar nicht. In der Ausstellung wurde ein hiesiges mit solchen aus Afrika, Kongo, Ägypten, Nubien und Tibet vorgestellt und ihre nahe Verwandtschaft aufgezeigt. Primo hatte da sein Aha-Erlebnis. Er hatte dieses in den Verkaufsauslagen vor Jahren schon gesehen, konnte es aber nicht einordnen. Ähnlich benützten wir früher Silberkettchen mit einem Medaillon, ohne zu wissen, was ein Amulett ist.
 
In der Ausstellung las ich: Die Kirche verbot von Anfang an alle Magie und Zauberei als Aberglauben, als ein Werkzeug des Teufels. Doch letztlich schwebte die Frömmigkeitspraxis der Menschen in der Grauzone zwischen dem, was Theologie „Glauben“ beziehungsweise „Aberglauben“ nannte, ohne dass sich die Gläubigen dessen bewusst geworden wären.
 
Die Verbote blieben wirkungslos.
 
Die Menschen von früher hatten ein hartes Leben. Sie waren den Naturgewalten ausgeliefert, hatten mit vielen Ängsten und Nöten zu kämpfen, die wir heute nicht mehr kennen. Sie fühlten sich dem Numinosen, unheimlich Geheimnisvollen ausgeliefert. Es ist nachvollziehbar, dass man sich in auswegsloser Situation an die Magie der Vorfahren erinnerte. Die Ausstellung zeigt Zauber- und Mirakelbücher.
 
Als Kind hörte ich von solchen Geschichten, meist an Beerdigungen innerhalb der Verwandtschaft in Zürcher Oberland. Sie machten mir Angst.
 
Einen Segen gegen alle Unbill zu erbitten, schien mir sinnvoller. In der Ausstellung werden gedruckte Haussegen ebenfalls vorgestellt (1856 bei J. Eberle, Einsiedeln gedruckt).
 
Gefallen hat mir folgende Geschichte:
 
Einst tränkte ein Bauer seine Kühe, da kam die Kastenvögtin, die bekannte Schwyzer Hexe, tätschelte einigen Tieren auf die Laffen und meinte: „Iär hend so schööns Veh" (Ihr habt so schönes Vieh). Der Bauer lachte, zeigte auf die Stalltüre und sagte: „Ja, ja, du kannst mir kein Veh verderben. Schau, was dort auf der Tür steht. Da stand geschrieben: „Phüeti Gott und walti Gott“ (Behüt euch Gott, es walte Gott).
 
Heute ist Einsiedeln auch ein touristischer Ort, ein Ort vor allem für den Skisport. Wer früher hieher kam, suchte das Heiligtum von Maria im Benediktinerkloster auf und sprach deshalb von Maria Einsiedeln. Dorthin wandten und wenden sich auch heute noch gläubige Menschen, wenn sie schwierige Entscheidungen treffen müssen, wenn sie krank oder in grosser Not sind. Es kommen aber viele Menschen einfach immer wieder gern hieher, weil sie die in der Gnadenkapelle ausströmende, ausgleichende Kraft fühlen. Blanche Merz hatte hier hohe Bovis-Einheiten gemessen.
 
Auf einer Postkarte von 1964 ist auf dem Poststempel das Kloster abgebildet. Der Text dazu lautete: „Einsiedeln 1000 Jahre Kulturstätte.“ Jener auf einem Brief von 2003 (und vermutlich auch heute noch so gebräuchlich): „Einsiedeln Kultur Sport Erholung.“
 
Wenn Gläubige bei Maria Hilfe erfahren hatten, dankten sie später mit einer Gabe für ihre Rettung. Ihre persönliche Geschichte, die sie als Wunder betrachteten, wurde als Bild auf Holz gemalt und dem Kloster als „Ex Voto“, als Dankesgabe, übergeben. Diese erstaunlichen Bildergeschichten hatten mich schon in jungen Jahren bewegt. Ein kleiner Teil davon ist noch im hinteren Bereich der Klosterkirche aufgehängt.
 
Die Ausstellung zeigt auch Protokollbücher, in denen die Geschichten jener Menschen festgehalten wurden, die wundersame Hilfe erfuhren und diese dem Kloster dann mitteilten.
 
Anderseits haben in der Ausstellung auch kritische Zeitungsartikel aus der Neuen Zürcher Zeitung ihren Platz. Sie schrieben gegen den Wunderglauben an, zweifelten, dass er echt sei.
 
Und jetzt nähme es mich wunder, wie eine vergleichbare Ausstellung in 50 oder 100 Jahren aussähe. Wenn ich es jetzt erführe, wäre es ein wirkliches Wunder.
 
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