Textatelier
BLOG vom: 14.07.2012

Die Erlöserin: „Dementia“, die Göttin des Vergessens

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Meiner makaber anmutenden Betrachtung schicke ich diesen Vers voraus: 
Göttin Dementia
Komme holde Göttin des Vergessens
Befreie mich aus dem Gedächtnis
Tilge meine Erinnerungen allesamt
Erscheine mir mit Schritten sanft.
Gewähre mir diese letzte Wohltat:
Lege sacht die Hand auf meine Stirn’.
E.B. 
Dementia (laut Duden = Demenz) ebnet gemeinhin dem Todesengel den Weg. Die Leute werden immer älter, und mehr und mehr Menschen werden vom Altersschwachsinn betroffen. Die Medizin vermag die Folgen der Senilität zeitweise zu lindern und zu verzögern.
 
Die Dementia soll keineswegs mit den alltäglichen Vergesslichkeiten gleichgestellt werden. Das ist zwar beruhigend, wenn ich selbst Dieses und Jenes vorübergehend vergesse, sei es den Namen eines Bekannten, einer Blume usf. Hin und wieder habe ich auch Termine verpasst oder muss nachrechnen, wie viele Jahre ich verheiratet bin.
 
Bezüglich Namen, die ich vergesse, bilde ich mir „Eselsbrücken“. Eine Nachbarin, deren Name ich immer wieder vergesse, heisst – wie heisst sie schon wieder? Im Garten haben wir einige Sträucher Rosemary (Rosemarin). Also begrüsse ich diese liebenswürdig mit Rosemary. Immer wieder vergesse ich den englischen Name für das Küchenkraut Sage (Salbei). Meine Eselsbrücke dafür heisst ‚Saint’ und führt mich zur Sage, also „weise“ bedeutend, mit der Gartenschere für den Lammbraten. Übrigens gibt es viele Heilkräuter, die das Gedächtnis anregen.
 
Entfällt mir ein Wort, sei es auf Deutsch, Englisch oder Französisch, grüble ich nicht mehr verbissen in meinem Gedächtnis. Bin ich entspannt, kommt es mir zugeflogen …
 
Wer von Dementia befallen wird oder nicht – das scheint dem Würfel des Zufalls vorbehalten zu sein. Sie wird auch dem Erbgut zugeschrieben. Mein Vater litt an Dementia, meine Mutter nicht. Sie pflegte ihren Mann liebevoll, doch zunehmend mit körperlichen Mühen ihrerseits verbunden. Immer wieder genoss mein Vater lichte Augenblicke. Sie spazierten in die Stadt, tranken Kaffee und genossen etwas Patisserie. Meine Mutter legte ihn nachher früh abends schlafen, und er sagte dabei: „Wir haben doch einen schönen Tag gehabt!“
 
Im Anfangsstadium der Dementia bemerken die davon betroffenen Personen, dass ihre geistigen Kräfte schwinden, und sie stemmen sich gegen diesen Schwund. Dabei können sie ausfällig gegen ihre Nächsten werden. Der dümmste Fehler ist, ihnen Vorwürfe zu machen. Dabei brausen sie leicht auf. Wer im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten ist, bemerkt erst mit der Zeit, dass ein Mensch unter Dementia leidet – und er/sie sich an den Leidenden anpassen muss und nicht umgekehrt.
 
Wer geistig regsam ist, habe einen Impfstoff gegen den Gedächtnisschwund, wird vielfach behauptet. Ich bin geneigt, mich – mit Vorbehalt – dieser Ansicht anzuschliessen. 2 betagte Damen aus unserer Nachbarschaft behaupten, sie könnten ihre geistige Frische dank dem Pokerspiel und Lösen von Rätseln erhalten, wie letztere in vielen Variationen in den Zeitungen erscheinen oder in Buchform erhältlich sind. Andere schwören auf ihre Hobbys, die sie geistig frisch und fidel erhalten.
 
Wer nach vielen Jahren beruflicher Tätigkeit von einem Tag auf den andern in den Ruhestand versetzt wurde, wird oft von Depressionen heimgesucht. Während des Berufslebens fehlten ihm die Zeit oder die Lust, seine Freizeit sinnvoll zu nutzen. Dann sollte der Pensionär seine schlummernden Wünsche erwecken. Viele ältere Jahrgänge erfreuten sich einst im Chorgesang, spielten in einer Blaskapelle mit und knüpften dort neue Freundschaften an. Sie verkümmern nicht, hinterm Fernsehen verschanzt, solange sie ihr aktives Tummelfeld wieder finden und weiterhin pflegen.
 
Immer wieder erweist sich mir, dass kreative Aufgaben für mich die Salzlecke des Lebens bedeuten. Dabei bleibe ich geistig elastisch, so bilde ich mir ein. Jeder kann – ob jung oder alt – etwas im Leben finden, das Freude und Zuversicht verschafft, auf das eigene Naturell abgestimmt. Die wahre Erlöserin findet sich im Selbstvergessen …
 
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