Textatelier
BLOG vom: 08.09.2012

Integration: Völkerwanderungen mit Blick auf die Welt

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Meine Freunde, Bekannten, Studenten und Schüler sind Deutsche; sie kamen aus Indien, Kolumbien, Rumänien, der Türkei, Griechenland, Polen, usw. Sie alle wohnen jetzt in Deutschland. So finden sich in allen Ländern der Erde Menschen aus anderen Volksstämmen. Teilweise sind sie aus politischen Gründen hier, weil sie verfolgt wurden, fliehen mussten, teilweise aus wirtschaftlichen Gründen, weil sie hier Arbeit gefunden haben. Viele davon sind schon mehrere Generationen in Deutschland und haben die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Je grösser die Stadt, desto mehr prägen Menschen, die ursprünglich aus anderen Ländern zu uns gekommen sind, das Stadtbild.
 
Die meisten von ihnen versuchen sich zu integrieren. Integrieren kommt aus dem Lateinischen integrare und bedeutet wieder herstellen, ergänzen. Es ist ein Wort, das sich aus der Vorsilbe in- als Negativwort und tangere = berühren zusammensetzt. Also sollen sich die zuerst nicht vorhandenen Berührungspunkte wieder herstellen.
 
Viele meiner Landsleute haben Berührungsängste mit Mitbürgern, die in den letzten Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind. Dabei ist das gar nichts Besonderes.
 
Es ist interessant, sich mit der europäischen Geschichte zu beschäftigen: Das Hin und Her der Volksbewegungen ab unserer Zeitrechnung hat etwas Faszinierendes. Niemand war sicher, dauernd gab es Kriege, Plünderungen, Veränderung der Herrschenden, Königsmorde, Einfälle anderer Völker. Die Besitzverhältnisse änderten sich dauernd, ein immerwährendes Auf und Ab. Eine Karte von Germanien zum Jahre 50 AD führt von Norden nach Süden folgende Volksstämme auf: Avionen, Warnen, Nuitonen, Bugier, Gotonen, Langobarden, Friesen, Chauken, Lemonier, Burgunder, Vandalen, Angrivarier, Cherusker, Fosen, Semnosen, Hermunduren, Chamaven, Brukterer, Marser, Usipeter, Sugambrer, Chatten, Mattiaker, Narister, Markomannen, Quaden; eine andere Karte nur vom Niederrheingebiet, also östlich des Rheins ab etwa dem heutigen Köln/Bonn Richtung Norden erwähnt noch Sunicer, Tungrer, Cugerner, Ubier, Bataver und Ananefaten in den heutigen Niederlanden. Das waren längst noch nicht alle, und sie waren auch nicht so genau abzugrenzen. So schlossen sich die Rugier und Heruler gotischen Verbänden an und vermischten sich. Es kamen die Hunnen hinzu, Römer vermischten sich mit Angehörigen deutscher Stämme.
 
So kann man beispielsweise über die Brukterer lesen: „Ende des 1. Jahrhunderts (98 n. u. Z.) wurden sie von den Angrivariern und Chamaven vernichtend geschlagen und fast ausgerottet. Reste flüchteten in das Gebiet der mit ihnen verbündeten Tenkterer und liessen sich südlich der Lippe nieder. Im 3. Jahrhundert breiteten sie sich rechtsrheinisch von etwa Köln, aber nicht nördlicher als Neuss, bis südlich Koblenz aus.“ Über die Cugerner heisst es: „Die Cugerner bewohnten Gebiete links des Rheins und scheinen in der grossen Masse aus dem Stamm der Sugambrer hervorgegangen zu sein.“
 
Heute noch bekannt sind uns die Goten, die Friesen, die Langobarden, die Cherusker (die bekanntlich die Römer besiegten), die Vandalen, Markomannen und die Bataver. Die meisten anderen sind im Laufe der Zeit ausgestorben oder in einem anderen oder mehreren Stämmen aufgegangen. Manchmal waren es nur einige hundert Stammesangehörige, manchmal einige Tausend und mehr. Im Laufe der Zeit kämpften sie mal in dem einen, mal in dem anderen Heer.
 
Die Römer nannten die Stämme, mit denen sie Verträge abgeschlossen hatten und denen kein römisches Recht zugesprochen wurde, foederatus. Entweder sie unterstützen die Römer bei ihren Kriegen und erhielten ihrerseits römische Unterstützung in Form von Lebensmitteln und Geld oder sie waren unzufrieden und kämpften gegen die Römer.
 
Die Römer ebneten den Weg zu Germanien: „Die germanische Welt war vielleicht die grossartigste und dauerhafteste Schöpfung des militärischen und politischen Genies der Römer“ (Quelle: Patrick Geary: „Die Merowinger“, München 1996, S. 7.). Es gab nie Völker, die homogen waren, immer waren Menschen unter ihnen, die einen anderen Ursprung hatten. Das gilt für alle Zeiten und Völker. 
 
Die Abschottungspolitik der sogenannten entwickelten Völker und Staaten der letzten 100 Jahre hat auch nie richtig funktioniert. Ob wir es wollen oder nicht, wir gehören alle Vielvölkerstaaten an.
 
Max Weber formulierte: „Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äusseren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen’ darstellen, ‚ethnische’ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht.“
 
Ich persönlich lebe gerne in einer solchen Gemeinschaft. Sie öffnet den Blick auf die Welt.
 
Quellen
Internet: Fast alle Bezüge sind Wikipedia entnommen.
Ausserdem: Irmgard Hantsche: „Atlas zur Geschichte des Niederrheins“, Schriftenreihe der Niederrhein-Akademie, Band 4, Bottrop, Essen 1999.
 
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