Textatelier
BLOG vom: 27.04.2013

Straussenwirtschaft: 1000 Spiegel und ein Wildschwein

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Nachdem wir uns die Wanderkarte „Nördliches Markgräflerland“ (1:35 000) vom Schwarzwaldverein besorgt hatten, arbeitete Toni von Lörrach D eine Tour 12 km südlich von Freiburg im Breisgau aus. Die Wanderung begann am 10.04.2013 am Parkplatz des Trimm-Dich-Pfades, oberhalb von Ehrenkirchen, und führte durch einen Buchenwald in Richtung Ebringen und Talhausen nach Pfaffenweiler und wieder zurück nach Ehrenkirchen. Wir erreichten den Parkplatz am Trimm-Dich-Pfad nach 2,5 Stunden. Mit dem Wetter hatten wir Glück. Es zogen zwar schwarze Wolken auf, aber wir wurden vor einem Regenguss verschont. Als wir in Richtung Schweizer Jura und Vogesen blickten, sahen wir eine Regenwand, die der Wind vor sich hertrieb.
 
Die Geschichte von Ehrenkirchen
Bevor ich die Besonderheiten am Wanderweg näher beleuchte, etwas zur Gemeinde Ehrenkirchen: Die früher selbständigen Gemeinden Ehrenstetten, Kirchhofen, Norsingen, Offnadingen und Scherzingen wurden 1973/74 zur neuen Gemeinde Ehrenkirchen zusammengefasst. Ehrenkirchen mit seinen 7217 Einwohnern hat einiges zu bieten, wie die mit einem Zwiebelturm versehene barocke Wallfahrtskirche „Mariä Himmelfahrt“, das Wasserschloss in Kirchhofen und die Ölbergkapelle. In Kirchhofen ist die Firma Hübner, ein weltweit expandierendes Unternehmen der Naturheilmittel- und Reformwarenbranche, zu Hause. Unweit von dieser Firma liegt das Wasserschloss, in dem der kaiserliche Feldherr Lazarus von Schwendi (1522−1583) seinen Lebensabend verbrachte. Ehrenstetten ist übrigens der Geburtsort des bekannten Malers, Bildhauers und Architekten Christian Wenzinger (1710−1797).
 
Ein Kreuz und ein Bannstein
Nun wollen wir uns auf die Wanderung konzentrieren. Zunächst durchquerten wir einen lichten Buchenwald mit einem Waldlehrpfad. In diesem Wald befinden sich 2 bemerkenswerte Sehenswürdigkeiten. Die erste ist das Hans-Jürgen-Kreuz und die zweite der Hohbannstein. Das Kreuz wurde 1756 erstellt. Darüber gibt es eine Legende. Am Sockel des Kreuzes und auf einer neuen Tafel steht folgender Text: „Der Pfaffenweiler Metzger Hans Jörg Elmlinger sei unterwegs gewesen zum Viehkauf. Als ein Räuber ihn überfiel, bat er um eine letzte Gnade, die er nutzte, seinen Hund herbeizupfeifen, der rechtzeitig eintraf und den Räuber in die Flucht schlug.“
 
Bei unserer Wanderung brauchten wir keine Räuber zu fürchten. Aber Chaoten gibt es leider auch in diesem Gebiet. Das merkte ich am Hohbannstein, der 1996 durch Verrückte schwer beschädigt und 1997 wieder als „Hoher Bannstein“ erstellt wurde. Die 5 Anliegergemeinden Bollschweil, Ebringen, Kirchhofen, Pfaffenweiler und Wolfenweiler finanzierten gemeinsam die Kopie. Der beschädigte historische Hohbannstein von 1748 befindet sich heute im Dorfmuseum von Pfaffenweiler. Auf der Oberseite des Steins sind 5 Gemarkungsgrenzen eingeritzt, an den Seitenflächen die Wappen der jeweiligen Ortschaften.
 
An einer anderen Stelle entdecke ich einen alten Grenzstein von 1781 mit der Aufschrift „Gemeiner Wald“. Neben einem Wappen und einer Krone waren die Buchstaben BKE eingraviert. Diese Buchstaben bedeuteten sicherlich Bollschweil, Kirchhofen und Ebringen.
 
Über den Scheerenweg und am Nussbach vorbei erreichten wir Talhausen (Ortsteil von Ebringen). Da wir die Orte Ebringen und Pfaffenweiler nicht auf geteerten Strassen erkunden wollten, entschieden wir uns, über den Oberen Dürrenberg und oberhalb von Pfaffenweiler zu unserem Ausgangspunkt zurückzuwandern. Bevor es soweit war, blieben wir auf einem Weg an den Pfaffenweiler Rebhängen stehen und genossen den Ausblick auf die Weinbaugemeinden Wolfenweiler und Pfaffenweiler, das Markgräflerland, die Vogesen und den Kaiserstuhl.
 
Straussi mit 1000 Spiegeln
Nach unserer Tour hatte Toni noch eine Überraschung parat. Er entführte uns in die Lorenz-Straussi. Wir fuhren vom Parkplatz aus in wenigen Minuten nach Ehrenkirchen-Kirchhofen zur Lorenz-Straussi. Schon rechts vom Eingang begrüsste uns ein metallener überdimensionaler Hahn, dann ging es über den Hof zum Eingang der Straussi. Das Gebäude wurde früher als Kuhstall und Scheune genutzt. Nach der behutsamen und liebevollen Renovierung mit alten Türen, Fenstern, Balken, Steinen und über 1000 Spiegeln in den Räumen präsentiert sich diese Straussi in einem eigenen Stil. Mancher würde sagen, es sei zu viel Kitsch drin. Aber es ist in der Tat eine Besonderheit, die ihresgleichen sucht. Der Sammler und Inhaber der Straussi, Claus Lorenz, dürfte mit seiner Idee voll zufrieden sein, zumal die Gäste in Scharen kommen und auch mit Lob nicht geizen. Aber die Straussenwirtschaft hat noch eine weitere Attraktion zu bieten, wie wir sehen werden.
 
Schon beim Eintritt in den 1. Gastraum sah ich nur noch Spiegel an den Wänden. Da konnte sich jeder anblicken oder auch andere beobachten. Später, als wir auf die Toilette gingen, kamen wir keinesfalls in eine spiegelfreie Zone, nein, auch hier waren grosse und kleine Spiegel an den Wänden angebracht. Nicht nur in der Kabine mit der WC-Schüssel, sondern auch über den Pissbecken sahen wir nur unsere Spiegelbilder. Man fühlte sich beobachtet. Solche spiegelnde Orte (wie auch das Spiegelkabinett beim Gletschergarten in Luzern und in vielen Schlössern usw.) waren früher sehr beliebt und sind immer ein multipliziertes Schauvergnügen.
 
Als wir in den 2. Gastraum gehen wollten, stolperten wir fast über ein Wildschweinbaby, das sich auf einem Teppich ausgebreitet hatte. Mit eleganten Schwüngen über das Hindernis steuerten wir einen freien Tisch an, liessen uns auf Holzbänken nieder und warteten auf das Vesper.
 
Zunächst einige Fakten zum Schweinchen. Wie ich hörte, gehört die 4 Monate alte Emma zum Stammpersonal. Von einer überaus freundlichen Kellnerin erfuhr ich die Geschichte dieses Babys. Emmas Mutter starb bei einem Wildunfall. Mitte Januar erhielt Claus Lorenz den Anruf eines befreundeten Jägers. Die Bache war gerade mit 6 Frischlingen unterwegs, als sie überfahren wurde. Claus Lorenz nahm einen Frischling auf, zumal er genügend Platz auf seinem Hof hatte. Seine Frau Carmen und er hatten schon bei der Aufzucht von Wildtieren Erfahrungen gesammelt. Emma gedieh prächtig, fühlte sich sauwohl. Sie geht sogar mit der Familie zum Bärlauchpflücken in den Wald. Sie bleibt dann immer brav bei Fuss.
 
„Sie können das Schweinchen am Bauch streicheln, aber nicht an der Schnauze“, riet uns die Kellnerin. Das liess sich Bernd von Rheinfelden nicht zweimal sagen, ging zur Sau und kraulte sie am Bauch. Das liess sie sich ohne Grunzen gefallen. Ein Wanderfreund, der bei mir am Tisch sass, meinte, er möchte gerne auch einmal am Bauch gekrault werden.
 
Später stand Emma auf und grunzte herum. Eine Betreuerin nahm das Schweinchen auf die Arme und brachte sie ins Freie. Dort verrichtete sie ihr Geschäft. Die Schweine sind sehr reinlich, sie legen ihren Kot immer an derselben Stelle ab. „Emma war bereits nach 2 Tagen absolut stubenrein und sucht für ihr Geschäft immer dasselbe Örtchen auf“, sagte Claus Lorenz.
 
Während unseres Aufenthalts war ein Fernsehteam dabei, dem Schweinchen auf den Pelz bzw. Borsten zu rücken. Der Kameramann ging mit seiner Kamera mit Leuchte ganz nah an das Schweinchen heran. Ob das dem Borstenvieh gefiel? Aber als „Star“ muss man sich einiges gefallen lassen.
 
Nun zu den Speisen. Kaum bestellt, erhielten wir unsere Getränke und kurz darauf auch die Speisen. Ich verzehrte geschmacklich sehr gute Fleischküchlein mit etwas zu kaltem Kartoffelsalat mit Bärlauch; dazu wurde ein Beilagensalat serviert. Die Wanderfreunde entschieden sich für Speckpfannkuchen mit Bärlauchquark, Salatteller mit Rucola und Putenstreifen. Das ist lobenswert: Der Koch verwendet für seine lukullischen Spezialitäten jahreszeitlich geerntete Gemüse und Früchte aus einheimischem Anbau.
 
Bevor es ans Bezahlen ging, hatte ich noch Gelegenheit, meinen Blick zu den dekorierten Wänden schweifen zu lassen. Zwischen den Spiegeln entdeckte ich manch ein altes Ölbild, dann eine Kirchenuhr und  eine alte Standuhr. Als wir die Straussi nach 18 Uhr verliessen, war die Bude proppenvoll. Das Personal hatte keine Minute für eine Verschnaufpause.
 
Nachdem ich der Frau unseres Hausverwalters von dieser Straussi erzählt hatte, fuhr sie einige Tage später mit ihrem Mann dorthin. Sie war, genauso wie ich, von der Professionalität und von der Grösse der Straussi überrascht. Sie fand die Spiegel originell; sie waren aber nicht ihr Ding. Dann bemerkte sie noch: „Wenn die eines Tages zum Sperrmüll müssen …!“
 
Sie bewunderte besonders die Volière im Aussenbereich mit echtem Hauseingang und einer Überdachung im Jugendstil. Leider konnte ich aus Zeitgründen nicht alles erkunden. Aber es gibt sicherlich ein nächstes Mal, wenn wir wieder dort speisen werden.
 
Übrigens gibt es im Badischen viele Straussen- und Besenwirtschaften, die nur zu bestimmten Zeiten im Jahr geöffnet sind. Die Lorenz-Straussi ist von Mitte März bis Ende Juni und Ende August bis Weihnachten geöffnet (Dienstag bis Samstag: 17 bis 24 Uhr; Sonn- und Feiertage: 12 bis 23 Uhr; Montag ist Ruhetag).
 
Fazit: Es war wiederum eine eindrückliche Wanderung mit einer originellen Schlusseinkehr. Toni sei Dank. Er findet nicht nur schöne Wanderwege, sondern auch besondere Einkehrmöglichkeiten – und davon sollen auch unsere Leser Nutzen ziehen.
 
Internet
 
Zeitungsbericht
Kugler, Hans Jürgen: „Wildsau-Baby Emma gehört in der Lorenz-Strausse zum Stammpersonal“, „Badische Zeitung, 20.03.2013.
 
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