Textatelier
BLOG vom: 21.06.2013

Oskar und die dramatischen Leiden des jungen Werther

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Als Jüngling las Oskar die leidige Geschichte des jungen Werther von Johann Wolfgang von Goethe, ein Werk, das ihn bedrückte und befremdete. Dieses Meisterwerk aus der Sturm-und-Drang Periode, anno 1774 erschienen, ist von Weltschmerz, Schwermut, Trübsinn und Melancholie durchtränkt. Im Briefwechsel mit seinem Bruder schüttete Werther sein Herz aus. Er hatte Lotte zu seiner unsterblichen Geliebte erkoren – eine platonische Liebe voller tränengesättigten Gefühlswallungen seinerseits.
 
Als Werther ihr begegnete, war die 19-jährige Lotte bereits dem älteren Albert versprochen. Werthers Leben endete im Freitod, kurz vor Weihnachten. Erst zuletzt erkannte sie Werthers Leidenschaft, die ihr galt.
 
Werther war im Haus von Lotte und Albert lang als gern gesehener und unterhaltsamer Gast ein und aus gegangen. Dies fiel Freunden und Bekannten des Paares auf. Wie ein Schlag aus heiterem Himmel empfahl ihm Lotte, wohl auf Anraten ihres Gemahls, eines Tages, seine Besuche einzuschränken. Werthers latenter Todeswunsch steigerte sich, und er kam zum Schluss, „eins von uns dreien muss hinweg, und das will ich sein!“ In der Erzählung ist Lotte eine Nebenrolle beschieden. Sie blieb ahnungslos, wie heftig Werther für sie empfand und sie begehrte. Für sie blieb Werther einer unter anderen ihrer Anbetern.
 
Dank seiner adligen Herkunft hatte Werther viel Musse, widmete sich allerlei Studien philosophischer Art und verfolgte auch seine Zeichenkunst in eine idyllische Landschaft eingebettet, ehe er Lotte begegnete, die ihn aus seiner geordneten Lebensbahn warf. Werther verlor sich mehr und mehr in Träumen, die er um Lotte flocht, wovon sie ahnungslos blieb.
*
 
50 Jahre später entdeckte Oskar „Die Leiden des jungen Werthers“ unverhofft wieder, seinerseits von wachsenden Lebensüberdruss ganz anderer Art befallen. Als er diese Erzählung zum 2. Mal las, stiess er auf diesen Goethe-Satz: „Man bildet seine Welt aus sich selbst“. Doch der Aufprall zwischen der aus sich selbst geschaffenen und der wirklichen Welt besiegelte Werthers Selbstmord.
 
Vorweg: Oskar ist seit 1968 glücklich mit Blanche verheiratet und hat als Familienvater seinen Teil geleistet. Er war keine Frohnatur, doch besass ein schauspielerisches Geschick, das er fallweise witzig und schlagfertig zur Schau stellte. In seinen beruflichen Auftritten wurde er oft als Akademiker eingeschätzt. Heute lebt er im Ruhestand.
 
Oskar ist für die raue Wirklichkeit zu zart besaitet, zu sentimental. Das merkt ihm niemand an, da er sich hinter einer Maske verbirgt. Er übt sich mehr und mehr im Schweigen und hütet seine Gedanken, als seien sie seine Schäfchen. Bestürzt las er die Nachricht, dass sich eine Mutter mit Kind vor einen Schnellzug geworfen hatte. Ein Vater, von Schulden getrieben, übergoss sich mit Benzin und steckte sich in Brand. Ein Mädchen wurde in der Schule fortwährend gefoppt und erhängte sich. Ein Mann trieb mit blossen Fingern seiner Geliebten die Augen aus den Höhlen. Hinzu kommen Genozide und Kriegsverbrechen. Verzweiflungs- und Schandtaten beherrschen die Welt, kam Oskar zum Schluss. Schreckensnachrichten verbreiten sich heute in Windeseile. Ein Ekel schlich sich in ihm ein, den er nicht los wurde.
 
Es ist dem Menschen freigestellt, den Freitod zu wählen. Aber er sollte mit Bedacht vorbereitet werden, damit niemand in der Umgebung aus seiner frei gewählten Erlösung Schaden erleidet. Oskar beschäftigt sich seit etlicher Zeit, um seinen Todeswunsch zu verwirklichen. Aber das gütige Schicksal kam ihm zuvor. Oskar erlag einem Herzschlag.
 
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