Textatelier
BLOG vom: 22.04.2014

Kunstschatz aus einer untergegangen Kultur: Ishtar-Tor

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
2000 Jahre sind eine lange Zeit. Viele Ausgrabungen zeugen davon, dass es schon damals bedeutende Kulturen und viele Städte gegeben hat, die eine Zeitlang in Blüte standen und dann wieder vergingen. Manche Reste aus dieser Zeit sind noch heute zu bewundern, die Portra Nigra in Trier, viele Gebäude in Rom, das Forum Romanum, das Pantheon (ist noch nicht ganz so alt), die Pyramiden in Ägypten und andere in anderen Teilen der Welt.
 
Vor einigen Tagen war ich im Pergamon Museum in Berlin. Dort kann man das meines Erachtens schönste erhaltene Bauwerk, jedenfalls in Teilen wieder aufgebaut, betrachten, das vor fast 2500 Jahren errichtet worden ist, das Ishtar-Tor, ein Stadttor aus Babylon, der Hauptstadt von Babylonien, erbaut zwischen 605 und 562 vor unserer Zeitrechnung unter Nebukadnezar II.
 
Das Alter sieht man den glasierten Reliefs auf blauem Untergrund nicht an, es sind wirklich die Original-Ziegel, die bewundert werden können. Auf dem leuchtend blauen Hintergrund sind aus den Ziegeln zusammengesetzte Figuren erkennbar, Einhorn, Löwe, Stier und Drachen als Fabelwesen, zum Teil mit langem Hals und am Ende des Körpers ein langer Schwanz. Stolz sehen die Tiergestalten aus.
 
Die Fabeltiere stellen den heiligen Löwen der Ishtar, den Stier des Adad und den Drachen des Marduk dar. Die blaue Farbe entspricht dem Original.

Blau ist nach dem Glauben in der Region die Farbe des Nordens. Bei den Ausgrabungen (um 1900) durch den deutschen Archäologen Robert Koldewey wurde festgestellt, dass nicht nur das Tor, sondern auch viele Häuser der Stadt Babel mit blau glasierten Ziegeln verkleidet waren.
 
Das Tor ist riesig, aber war wohl nicht das grösste von mehreren Toren hintereinander, die in die Stadt hinein führten. Die Stadtmauern umfassten nach Koldewey eine Länge von 18 km. Das Tor ist prächtig, so prächtig wie einst die Stadt auch gewesen sein muss. Es war ein Innentor, das am Ende der Prozessionsstrasse in der Stadt stand.
 
Unter dem König erreichte die Stadt eine bis dahin unerreichte politische, ökonomische und kulturelle Blüte. Er schaffte es, die konkurrierende ägyptische Macht zurückzudrängen.
 
Nebukadnezar stand nicht über den Göttern. Er diente dem Stadtgott Marduk und dessen Sohn Nabu, auch Nebu genannt, dem Gott, der den Königen die Macht gab und der Göttin Ishtar. Ihnen sind die Bauten gewidmet und der König erfüllte die rituellen und kultischen Königspflichten. Er strebte nach Erhalt der mächtigen Priesterkaste, um das Gleichgewicht der Gruppen im Lande zu gewährleisten.
 
Auch der aus der Bibel bekannte Turm zu Babel wurde unter diesem König gebaut. Im Museum sieht man ein Modell dieses Gebäudes, auch Zikkurat genannt, das eine quadratische Grundfläche (90×90 m) umfasste und 91 m hoch gewesen sein soll.
 
Die Könige der damaligen Zeit führten zwar Feld- und Eroberungszüge, waren aber nicht selbstherrlich, sondern, wie in ihren Briefen zu erlesen ist, Personen, die ihre Astrologen und Orakelpriester beauftragten, mit den Göttern Kontakt aufzunehmen, damit sie ihnen sagten, was sie tun sollten. Diese Könige bekamen von ihren Orakelpriestern zu hören, dass sie Bettler seien oder dass sie mit ihrer Sündhaftigkeit die Götter erzürnten; man sagte ihnen, wie sie sich zu kleiden hätten und was sie essen oder nicht essen sollten. Wir wissen nicht, ob es wirklich so war, diese Aussagen sind Interpretationen der Keilschriften.
 
Damit kommen wir zu Ishtar, der mächtigen Göttin des Kriegs und des sexuellen Begehrens, der das Stadttor gewidmet ist. Ishtar kann in männlicher oder weiblicher Form auftreten. Ihr Symboltier ist der Löwe oder die Löwin. Das Tor zeigt 60 Reliefdarstellungen von Löwen. Es ist vorstellbar, dass der König mit dem Stadttor die Göttin gnädig stimmen wollte, damit seine Feldzüge erfolgreich seien.
 
Man kann nicht anders als staunend und überwältigt vor diesem Bauwerk stehen, besonders, wenn man das Alter bedenkt und die Schönheit, die es heute noch ausstrahlt!
 
Quellen
 
Pfeiffer, R.H.: „State Letters of Assyria“, New Haven: American Oriental Studys 1935, Brief Nr. 265, 439, 553 in: Jaynes: „Julian, Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der Bikameralen Psyche“, Verlag Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1988, S. 305.
 
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