Textatelier
BLOG vom: 11.01.2016

Die Bremer Stadtmusikanten - überraschend aktuell!

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland


Da sind zuerst einmal ein paar Dinge zu klären:

Stadt – Musik – Musikanten – Bremen

Die Stadt ist der Gegensatz zum Land:
Auf dem Land ist man nicht in einer Stadt. – „In der Stadt“ ist nicht „auf dem Land“ – aber beides ist „im Land“. Die Definition bezieht sich nicht auf die größere Einheit „Land“ im Sinne von „Staat“ oder „Teil eines Staates“.

Musik machen bedeutet, Töne zu einer Komposition zu ordnen. Ein einzelner Ton ist keine Musik, zwei Töne können es schon sein. Ob das bereits Kunst ist, soll hier nicht beurteilt werden.

Ein Musikant macht zu einer bestimmten Gelegenheit Musik, mehrere Musikanten schliessen sich zu diesem Zweck zusammen.

Ein Stadtmusikant ist ein in einer Zunft organisierter Musikant. Eine Zunft im Mittelalter ist ein Zusammenschluss von Individuen, die dasselbe Gewerbe betreiben.

Die Stadt Bremen wird genannt, kein erfundener Ort. Bremen, eine alte Handelsstadt, liegt im Norden Deutschlands.

Wir fassen zusammen:
Die Bezeichnung „Bremer Stadtmusikanten“ umfasst eine Gruppe von Individuen, die für einen bestimmten Zweck oder in der Stadt Bremen Musik machen (wollen).

Fragen über Fragen: Was nicht verraten wird: Wer sind sie? Sind es Menschen oder Tiere oder sonstige, Musik machende Wesen? Welche Art von Musik machen sie? Aus welchem Grund wollen sie Musik machen? Steckt etwas dahinter oder nicht? Ist der Name eine allgemeine Bezeichnung oder bezieht er  sich auf eine bestimmte Gruppe? Warum heisst die Gruppe so? Ist es eine Auszeichnung oder nicht? Bezieht sich dieser Titel auf eine ganz bestimmte Geschichte? Gibt es diese Zunft überhaupt noch?

Ich finde einen Untertitel: Er lautet: Ein Tiermärchen. Der Duden nennt „die Gestalten Esel, Hund, Katze und Hahn, die beabsichtigen, in Bremen Stadtmusikanten zu werden.“

Was ist ein Märchen?
Es gibt 2 Bedeutungen!
Da erfindet jemand eine Geschichte, um daraus Vorteile zu erlangen.
Da ist die im Volk überlieferte oder von einem Dichter erfundene Erzählung, in der es nicht mit realistischen Dingen zugeht: Übernatürliche Kräfte und Gestalten greifen in das Leben der Menschen ein und helfen meistens, etwas zum Guten zu wenden.

Die Gebrüder Grimm haben diese Geschichte aufgezeichnet und 1819 in die Sammlung „Kinder- und Hausmärchen“ aufgenommen.

Es ist also keine Tierfabel! Oder etwa doch? Ist es nun eine Dichtung, in der Tiere im Vordergrund stehen und eine Fabel, also eine lehrhafte Erzählung, der eine Lebensweisheit zugrunde liegt?

Möglich ist es. Um das heraus zu finden und den Grund, warum diese Tiere diese Absicht hegen, bleibt nichts anderes übrig, als die Geschichte zu lesen.

Zuerst erfährt der Leser etwas aus dem Leben der 4 Tiere:

Der Esel soll verkauft werden, weil er nicht mehr gut laufen und deshalb die Arbeit für ihn immer schwieriger wird. Ein Verkauf würde ihm den sicheren Tod bringen.

Auch der Hund leidet unter Altersgebrechen. Er kann nicht mehr gut sehen, ist auf der Jagd nicht mehr zu gebrauchen und soll erschossen werden.

Die Katze ist ebenso in die Jahre gekommen. Sie kann keine Mäuse mehr fangen, ihre Zähne sind stumpf geworden. Die Eigentümerin will sie ersäufen.

Dem Hahn geht es gut, aber er soll zu einer Mahlzeit für Gäste werden.

Die Tiere können sich unterhalten und sie haben Intelligenz.

Aus verschiedenen Gründen müssen sie fliehen, da sie sonst nicht überleben würden. Auch in der heutigen Zeit müssen Menschen fliehen, weil sie um ihr Leben fürchten müssen!

Der Esel hat eine Idee, wie man es schaffen könnte, ein Leben ohne Furcht und Hunger zu erlangen, sie wollen arbeiten, und zwar als Musikanten. Er hat nämlich erkannt, dass alle 4 begabt sind.

Die allermeisten Flüchtlinge, so weit sie bereits erwachsen sind, wollen vor allem eins: arbeiten, um für sich und ihre Familien den Lebensunterhalt zu verdienen!

Die Tiere entdecken ein Haus, in dem es sich Räuber gut gehen lassen, die sitzen an einem gedeckten Tisch mit allerlei leckerem Essen. Die Tiere sind intelligent, erschrecken die Räuber, die fliehen. Es bleibt genügend Nahrung für alle übrig und niemand muss hungern.

Die Flüchtlinge in heutiger Zeit müssen sich der Dienstleistung von Räubern bedienen, den Schleppern, und sie hoffen, dass diese sie dorthin bringen, wo sie sicher sind und erst einmal genügend zu essen bekommen.

Jetzt müssen sich die Tiere in diesem Haus verteidigen und behaupten. Sie verhalten sich so, dass die Räuber das Feld räumen. Den Tieren gefällt es in ihrer neuen Heimat, und sie entschliessen sich, dort zu bleiben.

Die Flüchtlinge müssen, oftmals gegen die Schlepper, sich selbst in Sicherheit bringen. Sie müssen Asyl beantragen, Gründe dafür angeben, warum sie ihre Heimat verlassen haben. Sie verhalten sich so, dass ihnen Unterkunft gewährt wird.

Es wird ihnen aber versprochen, wenn der Asylantrag genehmigt wird, können sie einer Arbeit nachgehen und sie dürfen bleiben und sich dort niederlassen, wo sie möchten.

Ob die Tiere die angestrebte Tätigkeit als Stadtmusikanten auch ausüben können, darüber wird nichts berichtet, nur dass es gut war, dass sie geflüchtet sind, denn sie haben dadurch ihr Leben gerettet und Glück gehabt.

Das werden die Flüchtlinge in unserem doch so fremden Land auch erfahren, befreit es sie und ihre Familien doch von der Todesangst. Ob sie dabei in einer Stadt wohnen oder auf dem Land, das bleibt erst einmal Nebensache.

Jeder Vergleich hinkt, aber es gibt doch überraschende Parallelen!
In Abwandlung des letzten Satzes in den meisten Märchen: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann bleiben sie am Leben!

 


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