Textatelier
BLOG vom: 29.10.2005

Wunderbuch der Natur: Herbst- und Winterblumen

Autor: Emil Baschnonga

Bereits dreimal habe ich in diesem Jahr die unter dem Titel „Wunderbuch“ die von mir gehortete Trouvaille eines einzigartig schön und farbig illustrierten Blumenbuchs zur Hand genommen. Doch die Jahreszeit war noch nicht für ein Blog darüber reif.

 Am Sonntag, 30. Oktober 2005, werden in England die Uhren um eine Stunde vorgerückt. Jetzt liegt dieses Buch neben mir auf dem Pult, zu einer Zeit also, wo die Tage kürzer werden und Morgentau frühmorgens glitzernd Blätter und Ästlein bestreicht.

 Carus Sterne hat die Blumen geschildert und ihnen viel Wissenswertes aus der Folklore und Geschichte beigegeben, auch ihre volkstümlichen Pflanzennamen. Er sparte nicht mit Hinweisen auf Dichter und liess viele Zitate einfliessen. Liebevoll hat er jede noch so kleine und versteckte Blüte geschildert, wie sie etwa sie versteckt abseits einer Schutthalde oder vom Wegrand gedeiht. Vielen unter ihnen werden heilsame Wirkungen zugeschrieben.

 Sein Werk mit den106 Holzstichen, von Jenny Schermaus nach der Natur gemalt, erschien 1886, gedruckt von der K.k. Hofbuchdruckerei A. Haase, Prag. Dieses bibliophile Kleinod ist im besten Zustand, und beim Blättern trage ich zu ihm Sorge. Kein einziges Buch- oder Pflanzenblatt soll dabei leiden. Es ist in alter deutscher Schrift, vermutlich in Drugulin Fraktur, gesetzt worden, an die ich mich schon seit langem gewöhnt habe.

 Dieses Buch, in einem kleinen Buchantiquariat im Londoner Vorort Chiem aufgestöbert, hatte ich vor vielen Jahren meiner Mutter geschenkt. Leute brachten ihr immer wieder Blumen, die sie sofort nach der Natur malte.

 Ich bin zwar ein ausgeprägter Stadtmensch, dennoch schleicht sich jeweils im Spätherbst eine stille Wehmut ein, wenn ich in meinem Garten aufräume und weiss, dass der Wind bald die Birkenblätter zausen wird, bis sie vergoldet zu Laub werden. Dank dieses Gartens bin ich naturverbunden geblieben. Aber dieser Garten ersetzt keinen Bummel durch den Wald oder die Düfte vom herbstlichen Moder. Gern möchte ich wieder wie einst den Jura durchschweifen. Viele der Herbst- und Winterblumen sind dort und auch in Süddeutschland, im Schwarzwald oder in den Vogesen im Elsass sesshaft.

 Das Buch beginnt mit „Der Herbst und die Pflanzenwelt“, folgt den Feld-, Weg- und Wiesenblumen, mit einem Abstecher zu den Schuttpflanzen, bis der Weg durch den Herbstwald führt und bei den Winterblumen Halt macht.

 „ … hurtig blühen weiter im Herbst bis zum ersten Frost die wilden Pflänzchen in Hain und Flur, und manchmal sind die Kapseln, Schoten, Hülsen so schön wie die Blümlein“, schrieb Carus Sterne.

 Gehen wir hier an den Schuttpflanzen rasch vorbei, wie sie in der Nähe der Wege, Gehöfte und Gartenzäune gedeihen, „überall dort, wo organische Überreste … den Boden besonders kräftig gedüngt haben.“ Lassen wir uns nicht von den Nesseln ablenken, und halten wir es mit ihnen so: „Das Wegekraut sollt laten stah’n – Jung rühr’s nit an, ’s sind Nesseln dran.“ Eine gute Verhaltensregel, dünkt mich, diesen und andern Menschen-Nesseln – auch Kratzdisteln und Kletten – gegenüber. Der Natterkopf und die Ochsenzunge wachsen ebenfalls aus dem Schutt heraus.

 Im Herbstwald trifft man das Habichtskraut, auch „Mäuseöhrchen“ genannt, in vielen Unterarten. Mit dem Saft des Habichtkrauts sollen nach alter Sage Habichte und Sperber ihre Augen kräftigen und davon ihre ungewöhnliche Sehschärfe gewinnen. Die Goldrute bewohnt ebenfalls den Herbstwald und wurde auch „goldenes oder heidnisches Wundkraut“ genannt, weil es Wunden befestigt und auch als Mittel bei Wassersucht, Nieren- und Steinleiden Einsatz fand. Die Jasione verdient ihren Beinamen „Bergliebchen“ und wird von erstaunlich vielen Insekten besucht. Ob sie Friedrich Rückert (1788–1866) in seinen Blumenstrauss aufgenommen hat, sei dahingestellt: „In des Herbstes weicher Luft – Hab’ ich dir den Strauss gepflückt, – Auf der Schöpfung stiller Gruft – Noch mit Farben bunt geschmückt.“

 Ich pflücke hier abschliessend einige Pflanzennamen, wohinter sich viel Sagenumwobenes versteckt: Brautkraut, Dreifaltigkeitsblume, Ehrenpreis, Flöhkraut, Geduld-Ampher (auch englischer oder ewiger Spinat genannt oder auch als Mönchrhabarber bezeichnet). Um beim Gemüse zu bleiben, nennen wir noch den Schlangenknoblauch und die Stinkkresse … Nach dem Zahntrost sollte zuletzt die Wohlgemuth vorherrschen. Dieser Pflanze wird die Kraft nachgesagt, Gift und alle schädlichen Einflüsse vom Körper fernzuhalten und erst noch den Geist lustig und munter zu machen. Ich bettle um einige ihrer Samen!

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