Textatelier
BLOG vom: 03.02.2006

Privatsphäre ade! Der bewährte Terrorvorwand erlaubt alles

Autor: Walter Hess
 
Das strahlende Vorbild George W. Bush macht global Schule: Die Bekämpfung des Terrorismus wurde von ihm nach jenem dubiosen 11. 9. unverzüglich zum Krieg erklärt. Denn unter Kriegsverhältnissen kann das zivile Recht beliebig zurechtgebogen und auch ausgehebelt werden. Und selbst ans Menschen- und Kriegsrecht halten sich die Bushkrieger nicht mehr.
 
Soll man der Terrorismusbekämpfung wirklich überall alle Werte opfern? Das Schweizer Bundesamt für Polizei (Fedpol) hat soeben einen 2. Vorentwurf für neue Massnahmen zum Staatsschutz ins Internet gestellt. Laut diesem Vorschlag, dem offensichtlich der Big Brother zu Gevatter stand, sollen die Ermittler im Kampf gegen den Terrorismus in die Privatsphäre eindringen können, wenn ihnen darnach zumute ist.
 
Man sollte angesichts solcher Ansinnen wieder einmal George Orwells historisches und hoffnungslos veraltetes (von der Wirklichkeit überholtes) Werk „1984“ lesen, das von einem Staat erzählt, der seine Bürger bespitzelt, um sich ihrer wehren zu können. Je mehr sich dieser Staat von den Bürgern entfernt, wie das im Rahmen der globalisierten Gleichmacherei und Unterwerfung der Völker üter wirtschaftliche Übermächte geschieht, desto notwendiger wird dieser Kampf der politischen Machthaber gegen ihre Bürger, wenn sie sich ihre Pfründe sichern wollen.
 
Jetzt hats auch die konservative Schweiz mit ihrer stabilisierenden Rückständigkeit erwischt: Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) soll dahingehend abgeändert werden, dass bei Terrorismus, Spionage und Proliferation (Weiterverbreitung von Atomwaffen) als „Ultima ratio“ (letztes, äusserstes Mittel) die Informationsbeschaffung in der Privatsphäre möglich werden soll. Im Prinzip geht es wieder einmal um eine Anpassung an die Möglichkeiten, die andere europäische, dem US-Einfluss erlegene Länder bereits haben. Es will gar nicht so recht zu Bundesrat Christoph Blocher passen, wenn er hier plötzlich mitmacht. Bricht sein Widerstand gegen das stupide Mitläufertum allmählich zusammen? Das wäre eine nationale Katastrophe. Noch im August 2005 hat er die Wünsche der Staatsschützer nach neuen Befugnissen für das präventive und flächendeckende Schnüffeln zurückgewiesen. Und jetzt kommt ein Vorschlag, der sich nur geringfügig vom vorhergegangenen unterscheidet. Was ist mit Herrn Blocher geschehen?
 
Nach der neuen Variante soll das Schnüffeln bei einem konkreten Verdacht beginnen können – und konkret verdächtigen kann man schliesslich jedermann, jede beliebige Person. In USA-Folterlagern werden konkret Verdächtige – das können auch politisch Unbequeme sein –, gequält und misshandelt, jahrelang festgehalten und so ausser Verkehr gesetzt.
 
Die vorerst noch etwas mildere Schweizer Lösung: Wenn bei einem konkreten Verdacht (was wird darunter eigentlich verstanden?) auf Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit die herkömmliche Informationsbeschaffung nicht ausreicht, sollen die Überwachung von Post, Telefon und Mail, das Anbringen von Mikrofonen in Privaträumen und das verdeckte Eindringen in fremde Computersysteme angeordnet werden können. Das Anordnungsverfahren sieht vor, dass das Fedpol die vorgesehenen Massnahmen bei einer unabhängigen dreiköpfigen Kontrollkommission beantragen kann. Diese prüft den Antrag unter rechtlichen Gesichtspunkten. Fällt die Prüfung positiv aus, geht das Dossier an den Chef des Justiz- und Polizeidepartements (EJPD), der nach politischen Überlegungen entscheidet. Er kann den Entscheid nicht delegieren. Die Umsetzung der erlaubten Massnahmen muss von ihm bewilligt werden. So kommt man zu legalisierten Fichenaffären, die in der Schweiz traditionell wenig Anklang finden. Um den Schutz von Informanten zu gewährleisten, will das Fedpol im Rahmen der Professionalisierung des Schnüffelns sogar die Möglichkeit von „Tarn-Identitäten“ schaffen. Brauchen wir das zu unserem Glück wirklich?
 
Nun, es ist noch nicht so weit, und es ist zu hoffen, dass wiederum Schreie der Empörung durch jenes Land gehen werden, in dem es nach wie vor kaum eine organisierte Kriminalität gibt. Jedenfalls stand dies im Bericht des Bundes zur inneren Sicherheit aus dem Jahr 2001 so zu lesen. Und es ist mir nicht aufgefallen, dass sich inzwischen Wesentliches geändert hätte.
 
Blocher prägte seinerzeit eine Partei (SVP, Schweizerische Volkspartei), die sich als Nein-Sagerin profilierte, nicht jeden vereinheitlichten Unsinn mitmachte. Und die Bedeutung dieses Nein-Sagens ist in unserer infantilen Mitläufer- und Fan-Gesellschaft nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Wo immer Grundwerte durchlöchert werden sollen, ist ein klares Nein angesagt. Es bedeutet Widerstand. Amerikanische Zustände gelten immer weniger als erstrebenswert. Und unsere strafrechtlichen Möglichkeiten genügen vollkommen.
 
Deshalb: NEIN. NEIN.
 
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