Textatelier
BLOG vom: 21.02.2006

Schwebezustand: Das Zeitliche segnen od. verfluchen?

Autor: Emil Baschnonga
 
Nein, ich bin des Lebens nicht überdrüssig. Zeit ist etwas, das uns alle beschäftigt. Ob die Uhren ticken oder ohne Geräusche elektronisch gehen, ist einerlei, so lange sie gehen, nicht zu schnell und nicht zu langsam, damit wir auf die rechte Zeit eingespielt bleiben. Oft ist die rechte Zeit aber die falsche. Das erfahren wir immer wieder, sehr zu unserem Nachteil, wenn wir Züge oder Flüge verpassen oder im Stau stecken bleiben und deswegen ein Treffen verpassen.
 
Warum verhalten sich Frauen der Zeit gegenüber anders als Männer? Sie belieben, mit der Zeit leichtfertiger umzugehen und leben deshalb wohl im Durchschnitt länger als zeitgestresste Männer. Die Frauen lassen gern auf sich warten. Die Männer „verzappeln“, wenn ihre Gattinnen „Toilette machen“. Ich möchte dieses leidige Thema hier nicht weiter bebrüten.
 
Treffe ich aus London in der Schweiz ein, habe ich immer das Gefühl, dass in meiner Heimat 1 Minute mindestens deren 2 wert ist. Das entspannt mich ungemein. Es ist mir ein Luxus, Zeit zu vertrödeln, bis ich in den Schwebezustand der Zeitlosigkeit gelange. So bin ich schon wieder beim Zeitverhalten der Frauen angelangt und muss eiligst in den nächsten Abschnitt ausweichen.
 
Es gibt viele Leute, die wissen, wie man Geld spart, jedoch wenige gehen gleich geschickt mit der Zeit um. Sie büffeln unter Zeitdruck und werden um ihren Einsatz bewundert oder beneidet. Wie oft ertappe ich mich nicht selbst dabei! Während einer Verschnaufpause kühl überlegt, entdecke ich zeitsparende Abkürzungen meistens zu spät. Wem solche Zeitersparnisse gelingen, sammelt ein Kapital von Zeit und befreit sich von viel überflüssiger Heidenarbeit. Er kann dann etwas Gescheiteres mit der Zeit anfangen.
 
Die mit Warten verbummelte Zeit ist zum heutigen Zeitübel geworden: Ich will bloss von einem Menschen am Telefon eine Auskunft haben. Oft muss icht zuerst das Musikgeleier erdulden und mich zur rechten Abteilung „durchtasten“. Dann hängt man wirklich am Draht. Hin und wieder mischt sich der Automat ein und hat nicht mehr zu sagen als „Bitte warten“. Das kann so lange dauern, bis selbst die Telefonleitung genug vom Warten hat und abbricht.
 
Ich bedauere die Leute, die in einem „Call Center“ arbeiten. Tagtäglich funken sie mir in die Leitung, aber dagegen habe ich gewisse, nicht besonders lobenswerte Umgangsformen erworben, um sie innert Sekunden los zu werden. Meine Frau behandelt diese Anrufer bedeutend umgänglicher. Inzwischen erkaltet das Essen.
 
Ich komme nochmals auf die Uhren zurück, nicht die Armbanduhren, sondern auf die altmodischen Wanduhren mit Pendeln und Gewichten für die Zeiger und das Läutwerk. Früher gingen sie mir auf die Nerven. Mein Vater sammelte und renovierte sie und hatte die Hände voll zu tun, um sie in Einklang zu bringen. Das ist ihm nicht gelungen. Ein Gerassel löste das andere ab, alle halbe Stunden wieder. Jetzt habe ich seine und meine Uhren lieb gewonnen und eifere meinem Vater nach – mit gleichem Misserfolg. Wenn Besuch kommt, lege ich die lautesten Werke lahm.
 
Ich bin abergläubisch. Jetzt, nachdem ich Salz über die rechte oder falsche Schulter gestreut habe, verrate ich mein eigenes Zeitvermögen: meine innere Uhr. Ausser wenn ich übernächtigt bin, erwache ich mit meinem inneren Wecker zur gewünschten Stunde. Das kann in aller Herrgottsfrühe sein. Nach dieser Uhr richte ich meine Arbeit ein. Mit dieser Uhr weiss ich ganz genau, wann ich von Pflichten die Nase voll habe und etwas anderes tun möchte. Dann lege ich diesen Wecker still und vergesse die Zeit.
 
In diesem Sinn segne ich die Zeit im Zeitlosen.
 
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