Textatelier
BLOG vom: 30.07.2006

Libanon: Die übersehene Erdölkatastrophe im Ost-Mittelmeer

Autor: Walter Hess
 
Die meisten Nahost-Journalisten hängen in Jerusalem herum, lassen sich vom israelischen Government Press Office nach Strich und Faden verwöhnen. Die professionellen israelischen Medienbetreuer verteilen sende- oder druckreifes Material, je nach Wunsch, führen die Eingebetteten zu Orten, wo Raketen der Hisbollah Schäden anrichteten und organisieren Interviews mit sorgfältig vorinstruierten Interviewpartnern. Die Israelis verstehen sich aufs Propagandageschäft; die Palästinenser und Libanesen weniger, und die Journalisten, die grossenteils ohnehin auf der Seite der Israelis und deren Vormund Amerika stehen, sind froh, wenn ihnen die Arbeit abgenommen wird und sie das Hotel nicht verlassen müssen oder nur als Bestandteil eines wohlbehüteten Medienrudels.
 
Das ist denn auch der Grund dafür, dass wichtige Ereignisse, die nicht ins Kriegskonzept von Israel passen, nicht oder höchstens mit Verspätung an die Weltöffentlichkeit gelangen. Das soll hier anhand eines aktuellen Beispiels erläutert werden:
 
So hat die israelische Kriegsmaschinerie am 14. Juli 2006 das rund 25 Kilometer südlich von Beirut gelegene Elektrizitätswerk Jiyeh (Dschije) im Südlibanon bombardiert; dies geschah im Rahmen der Zerstörung der Infrastruktur als Kollektivstrafe für die libanesische Bevölkerung, die Israel erfolgreich von Nahrung und Medikamenten abgeschnitten hat. So stelle ich mir einen Völkermord in der globalisierten Welt vor.
 
Beim Bombardement des Elektrizitätswerks Jiyeh wurden (welch ein Zufall!) auch 5 der 6 Heizöltanks getroffen, wovon die Öffentlichkeit während rund 2 Wochen nichts erfuhr. Erst am Samstag, 29. Juli 2006, berichtete die französische Nachrichtenagentur AFP darüber u. a. wie folgt:
 
„Nach dem israelischen Bombardement der Öltanks eines libanesischen Elektrizitätswerks droht nach Angaben der Regierung in Beirut im Mittelmeer eine nie dagewesene Umweltkatastrophe. Es handle sich um ,die bisher grösste Umweltkatastrophe im Mittelmeer’, sagte Libanons Umweltminister Yacoub Sarraf am Samstag der Nachrichtenagentur AFP. Bisher seien zwischen 10 000 und 15 000 Tonnen Heizöl ins Meer geflossen. Dies könne nicht nur ‚furchtbare Folgen für unser Land, sondern für alle Länder am östlichen Mittelmeer haben’.“ Libanon könne im Moment nichts dagegen tun, so lange Israel seine Seeblockade aufrecht erhalte, soll Sarraf noch beigefügt haben. Die Berichterstattung geschah in Form der indirekten Rede, um den Eindruck zu erwecken, das sei eine Aussage aus gewohnt unzuverlässiger Quelle und bewiesen sei damit überhaupt noch nichts. Und offensichtlich hatte sich bis anhin noch kein Journalist bemüht, einen persönlichen Augenschein in Jiyeh zu nehmen und darüber aus erster Hand zu berichten.
 
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass auch die Medienabteilungen der Länder aus der Wertegemeinschaft diesbezüglich Stillschweigen bewahrt hatten. Sie waren ja informiert. Denn Sarraf hat laut seinen eigenen Angaben Grossbritannien, Italien, Spanien, die USA und andere Länder, die Erfahrungen mit solchen Erdölverpestungen haben, um Hilfe gebeten. Kuwait habe bereits 40 Tonnen Material geschickt, um das Öl zum Gerinnen zu bringen, sagte Sarraf noch.
 
Nun, nachdem es via AFP zu einem Informationsleck gekommen war, kamen einige Zeitungen nicht mehr darum herum, darüber zu berichten. Als bereits ein etwa 100 km breiter Küstenstreifen ölverseucht war, berichtete die NZZ online am 29. Juli 2006 mit der grösstmöglichen Zurückhaltung unter der Überschrift „Libanons Küste droht eine Ölpest“ neben einem eindrücklichen Bild aus Beirut, das bewies, dass die Ölkatastrophe bereits da war. Die Art der Berichterstattung mutete an, als ob nach einer Massenkarambolage getitelt würde: „Eine Massenkarambolage droht.“ Es war die Sprachregelung, die auch von anderen Medien übernommen wurde, so vom Tages-Anzeiger: „Beirut: Nach Öltank-Angriff droht Umweltkatastrophe im Mittelmeer.“ Das Schweizer Fernsehen SF DRS, das sonst den Geschehnissen im Libanon und im Gaza-Streifen vollkommen unbeholfen gegenübersteht, brachte einen eindrücklichen Bericht – Hut ab. Insgesamt aber war das Medienecho bisher höchst bescheiden.
 
Folge der Komplizenschaften
Als ehemals aktiver Journalist und Redaktor interessieren mich solche Informationsstrategien selbstverständlich nach wie vor. Die Kenntnisse von Hintergründen sind für mich persönlich auch deshalb wichtig, damit ich die Medienberichte einigermassen richtig interpretieren kann. Ich bin mir einiges gewöhnt; doch das Verhalten der Medien hat mich im vorliegenden Katastrophenfall besonders schockiert, weil es durch gleich 2 Faktoren bestimmt worden ist, die sich kumuliert haben:
 
1. Israel wird durch die Westmedien mit doppelt gefütterten Samthandschuhen angefasst, weil eine traditionelle Komplizenschaft besteht, Israel ein Recht auf Aggression eingeräumt wird und ausscherende Journalisten dann heftig attackiert werden. Israel-Kritik wird nicht geduldet; vor einigen Jahrzehnten verhielt es sich mit der Religionskritik genau so. Wer ein einigermassen unbeschwertes Journalistenleben führen wollte, ging dieser aus dem Wege. Sie war unter dem Motto „Verletzung von Gefühlen“ verpönt beziehungsweise verboten. Die u. a. darauf basierende Macht der Kirchen konnte inzwischen etwas zurückgebunden werden.
 
2. Umweltzerstörungen grossen Stils haben eine gewisse Normalität erhalten und sind deshalb kaum noch ein Medienthema. Wenn Wassertiere wie Fische sowie ohnehin bedrohte Meeresschildkröten und Wasserpflanzen im Erdölkleid einen jämmerlichen Tod erleiden, interessiert das nicht mehr. Der moderne Betroffenheitsjournalismus bezieht sich nicht auf Naturwerte, sondern ausschliesslich auf Menschen ausgewählter Nationalitäten, sicher aber nicht mehr auf Flora und Fauna oder gar jenen Teil der arabischen Bevölkerung, die nicht mit den USA und deren Untertanen kooperiert. Ihr Wert ist nicht nur gleich Null, sondern negativ.
 
Das lässt sich zwischen den Zeilen aus den Berichten ablesen. Falls es überhaupt zu Berichterstattungen kommt.
 
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