Textatelier
BLOG vom: 20.08.2006

Hasle im Entlebuch: Natur und Kunst im Biosphärenreservat

Autor: Walter Hess
 
Haben Sie auch schon festgestellt, dass man sich von seinem Wohnort aus meistens strahlenförmig in die weite Welt hinaus begibt? Je nach Bedürfnis fährt man in eine der unzähligen Himmelsrichtungen. Dies führt dann dazu, dass man Gebiete und Strecken, die im Hintergrund quer dazu verlaufen, kaum aus eigener Anschauung kennt.
 
So erging es mir mit dem Entlebuch. Ich fahre entweder in der Direttissima (übers Wynental) nach Luzern (und zurück) oder nach Bern (und zurück); aber es ergibt sich nie, dass ich von Luzern nach Bern fahre. Und deshalb kannte ich das Entlebuch bisher aus eigener Anschauung nicht. Aber es hat schon vor Jahren mein Interesse geweckt. Dieses wurde noch durch den Umstand verstärkt, dass diese Innerschweizer Landschaft im September 2001 von der UNESCO, der Weltorganisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, als erstes Biosphärenreservat der Schweiz gemäss Sevilla-Strategie anerkannt worden ist. Laut dieser Organisation sind Biosphärenreservate „die herausragenden Zeugnisse der Geschichte der Menschheit und der Natur (...) stumme und doch beredte Zeugen grossartiger Kulturleistungen und Naturphänomene“. Dazu tragen Topographie, Boden, Klima und Erschliessung bei, und das Entlebuch, das kaum industrialisiert ist, kann diesbezüglich Massstäbe setzen. Dieser sanft gewellte, reich strukturierte ländliche Raum mit allen Grüntönen, den Wäldern, Hecken sowie Einzelbäumen, ihren Einzelhäusern und kleinen Siedlungen kann diesbezüglich Massstäbe setzen. Das Entlebuch besitzt Naturschätze wie kaum eine andere Region in den Voralpen und ist dafür arm an Siedlungsbreien.
 
Die Suche nach der Wurst
Doch greife ich in meinem Enthusiasmus vor. Ich suchte schon lange nach einem zusätzlichen Anlass, um dieses Entlebuch zu besuchen. Denn ich unternehme nur dann Ausflüge, wenn ich damit mehrere Ziele erreichen kann. Eine wunderschöne Landschaft allein genügt noch nicht, um mich aufs Feld zu locken. Und in Bezug aufs Entlebuch kam der zusätzliche Grund unverhofft: Ich las im „NZZ Folio“ 2006-08 über den Metzgermeister René Dahinden in Hasle LU, der mit seiner Jubiläumswurst vom Verband der Schweizer Metzgermeister das Punktemaximum einheimsen konnte und offenbar auch für seine Bratwürste, seinen Fleischkäse und Rohessspeck berühmt ist. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass im naturreservatorischen Entlebuch gesunde Tiere bei natürlicher, kleinbäuerlicher Haltung leben, was sich in herrlichen Würsten und Fleischkäse niederschlagen muss.
 
Das „NZZ Folio“ jubilierte: „Dahinden ist dort hinten im Entlebuch zu Hause, wo die Schweiz noch urtümlich ist – in einem Biosphärenreservat, wo die Natur noch respektiert und die Menschen so bodenständig sind, dass sie Würste über alles schätzen. ‚Der Entlebucher isst mehr Wurst als Entrecôte’, weiss Dahinden, ‚das ist unsere Tradition.’“ Und ich gebe freimütig zu, dass mir eine exzellente Wurst weit mehr als ein fett- und geschmacksarmes Filetstück bedeutet. Die geschätzten Nutzerinnen und Nutzer werden deshalb ein Einsehen haben, wenn mich nichts mehr zurückhielt, nach Hasle LU und damit eben ins Entlebuch zu fahren – 2 Fliegen auf einen Streich. Am Samstag, 12. August 2006, fuhren meine Frau und ich los. Sie isst zwar konsequent nur Bio-Fleisch; doch überzeugte ich sie dahingehend, dass ein naturverbundenes Tierleben auch eine Art Bio sei.
 
Der Vormittag war regnerisch, trübe, fast kalt; doch für den Nachmittag waren Aufhellungen prophezeit – unter anderem ideal für die Fotografie von Moorlandschaften: aufsteigende Nebel bei klarem Licht. Wir fuhren durchs Wynental und in Richtung Sursee und kamen nach gut einer Stunde im Entlebuch an: Wolhusen−Entlebuch−Hasle (Oberdorf 10). Unser Autopilot führte uns genau zur Metzgerei Dahinden. Die Raffstoren waren unten, an der Tür ein Plakat: Betriebsferien. Ein Schock. Meine Frau, stets lernbereit und -fähig, warf noch ein, wir müssten daraus lernen: zuerst anrufen, ob das Geschäft offen sei. Ich mochte ihr nicht widersprechen. Wir erfrischten uns nebenan in „Bieri’s Café Eggä“ und sprachen uns Worte des Trosts zu.
 
Hinauf nach Heiligkreuz
Wenn ich jeweils einen Ausflug vorbereite, beschränke ich mich auf ein eng begrenztes Gebiet: Lieber dieses gründlich anschauen und erforschen als weite Landschaften durchfahren und die Schönheiten am Wege übersehen. Und so hatte ich mir vorgenommen, mich diesmal auf die Gemeinde Hasle LU zu konzentrieren. Beim Kartenstudium war mir die Siedlung Heiligkreuz aufgefallen, 1127 Meter über dem weit und breit nicht vorhandenen Meer. Ich dachte mir, von dort oben müsste die Aussicht übers Amt Entlebuch gut sein. Allerdings regnete es noch immer.
 
Doch nachdem ich meinen Fleischkäse schon verpasst hatte, wollte ich nicht auch noch Landschaftserlebnisse ans Bein streichen. Wir fuhren also die asphaltierte Strasse empor, genossen Ausblicke nach Entlebuch, in die Region Schüpfheim und zum voralpinen, saftig grünen Kranz von sanft bewirtschafteten Hügeln, wo offensichtlich Menschen leben und wirtschaften, die ihren Naturbezug nicht verloren haben. Auch eine nasse, mit Wolken verhangene Landschaft hat ihren Reiz.
 
Heiligkreuz liess nicht lange auf sich warten. Wir spürten wegen des Stationenwegs, der das Leiden Christi in 14 Bildern schildert, und des Kreuzwegs sogleich, dass es sich hier um einen Wallfahrtsort handelt – mit dem gepflegten Hotel Kurhaus. Auch Wallfahrer brauchen Futter. Gleich am Ortseingang zweigt der hölzerne Seelensteg in einen verträumten Heidelbeer- und Farnwald im Hundsboden ab, wo der Besucher aufgerufen ist, Bilder, Geräusche und Düfte bewusst wahrzunehmen, mit den Bäumen zu sprechen und Kraft aus ihren Wurzeln zu holen. Dort ist die traditionelle Holznutzung aufgegeben worden. Die Natur besorgt die Waldarbeit – und wer könnte das besser, einfühlsamer?
 
bodybuild
Vis-à-vis der Kirche war eine Tür eines ehemaligen Bauernhofes offen – neben einem Plakat „bodybild“. Ich dachte zuerst, das sei ein Bodybuilding-Institut, wo es um die bekannte Körpermodellierung mit besonderer Betonung der Muskeln und des Waschbrettbauchs geht, den ich persönlich vorsichtshalber mit einigen Fettschichten überlagert habe, um seine Anziehungskraft aufs weibliche Geschlecht in erträgliche Dimensionen zurückzuführen ... Doch da waren meine Phantasien mit mir durchgebrannt: Es handelte sich um die Zentrale einer Ausstellung von Figuren in der Landschaft (9. Juli bis 24. September 2006), wie uns die Leiterin der Projektgruppe, Heidi Duss, Escholzmatt, in kompetenter Weise erläuterte. Wir hatten Glück, diese charmante und im besten Sinne kultivierte Dame persönlich zu treffen und uns von ihr in die Ausstellungsgeheimnisse einweihen zu lassen.
 
Es war weiterhin kalt, regnerisch und etwas windig. Wir zogen wetterfeste Jacken an, und meine Frau wollte die Wallfahrtskirche besuchen, wahrscheinlich eher um an einem trockenen Ort zu sein als sich an dem spätbarocken Bilderfest und dem imposanten Chorgitter, in dem ich stilisierte Pflanzen erkannte, zu erquicken. Ich konnte sie anschliessend überzeugen, mit mir zusammen wenigstens ein kleines Stück des Bodybilder-Wegs abzuschreiten, der zum „First“ hinauf führt. Veranstalter Landschaftskunst-Ausstellung ist der Entlebucher Kunstverein.
 
Im erwähnten Gebäude neben der restaurierten Kirche beeindruckte uns sogleich die Installation „In der Stube“ von Mirjam Gottier, Reconvilier BE: 2 weibliche Gipsfiguren hängen in dem Raum herum und verbreiten eine depressive, müde Stimmung. Auf dem alten Kachelofen liegt Geschirr und Besteck aus Gips, eine trostlose Szene, ein Zustand der Teilnahmslosigkeit, Gleichgültigkeit, der aufrüttelt und uns zu neuen Entdeckungen anspornte, um nicht ebenfalls in Apathie zu verfallen. Ganz in der Nähe begegneten wir den „2 Talkonauten“ (chinesische Raumfahrer), geschaffen von Josef Felix Müller, Eggersriet SG. Es sind mit knorrigen Blumensträussen mit dick aufgetragenen Farben winkende muntere Wesen in Weiss von einem anderen Planeten, bei denen die Motorsäge deutliche Spuren hinterliess und die sich anschicken, die Entlebucher Wirklichkeit zu ergründen. Und dann ist dort noch ein ehemaliger Viehstall, dessen Stirnwand Marliese Mumenthaler, Luzern, mit einem „grossen Platz“ mit einem Menschengewimmel und ihren Schatten bemalt hatte, verlorene Einzelwesen in einer synthetischen Umgebung. Stadt-Atmosphäre. Wir suchten eher die Natur.
 
Eva spannte den Schirm auf, und wir machten uns auf den Weg Richtung First, wenigstens ein Stück weit. Aus einer feuchten Wiese betrachtete uns ein übergrosser, fast 2,5 m hoher Kopf eines exotischen Menschen aus Mammutbaumholz („Lebensbaum“), geschaffen von Alois Hermann, Luzern. Das Gesicht schaute weltverloren und teilnahmslos in die Landschaft. Es schien zu fragen, ob wir nicht doch lieber umkehren wollten.
 
Wir beschleunigten unseren Schritt, um zu etwas innerer Wärme zu kommen, wurden aber immer wieder abgebremst und zum Beobachten gezwungen. Denn da stand auf einem rostfarbenen Stahlträger eine Figur aus Metalldrähten wie auf einem Sprungbrett über der Bergstrasse. Hans Thomann, St. Gallen, hatte dieses Kunstwerk, „Quo vadis“ genannt, geschaffen. Spätestens jetzt nahm uns diese Landschaftsausstellung derart in Beschlag, dass wir wussten, wohin wir gehen sollten – sicher nicht zurück.
 
Auf dem Dach eines kleines Hauses am Waldrand etwas unterhalb der Strasse (Portmanns Weidschürli) räkelte sich die oszillierende (im blühenden Baum) „Schlafende“ im grünen Kleid, eine Foto auf Kunststoffolie von Cornelia Capella, Luzern. Hoffentlich erkältet sie sich nicht. Das Strässchen führt dann in einen steilen Wald hinein und biegt sich nach rechts. Und dort, am Abhang, haben sich 26 kleine Erdgeister, Gnome, Kobolde, wie immer man sie auch nennen mag, versammelt. „Nöggi“ nannte sie ihr Erschaffer, Thomas Birvé, Wilen OW. Die mit Lehm bestrichenen und dunkel eingefärbten Figürchen aus Tannenholz neben einem Wildbach mögen ein Hinweis auf die Naturkräfte sein, die sich auf uns zu übertragen schienen.
 
Und dann kamen wir an einer roten Bank vorbei, vor dem ein länglicher roter Kasten aufgebaut war. In den würfelartigen, aneinander gereihten Räumen posieren 3 Hauptfiguren, wovon 2 im Badekleid. Das Geschehen in den Nischen muss persönlich interpretiert werden. „Eine Aussicht“ nannte Ursula Bucher, Kulmerau, ihr Werk, das vielleicht auch Assoziationen ans Rotlicht-Milieu hat.
 
Eine landschaftsdominante, 10 m hohe, kopfvoran abstürzende Figur von Erwin Hofstetter, der in Entlebuch aufgewachsen ist und heute in Luzern lebt, war vielleicht eine Anspielung an den Ikarus-Mythos – ein Mahnmal? Ein Wanderer, dem wir begegneten, machte einen Bezug zum Versandhandelsbetrieb Ackermann, dessen grosses Betriebsgebäude in Entlebuch von hier aus zu sehen war und der innert eines Jahres rund 300 der 500 Stellen abzubauen gezwungen ist; ich könnte mir vorstellen, dass diese Handelsform wegen der immer höheren Portokosten unmöglich geworden ist. Wir haben jeweils auch die Wollmuster franko Haus zugestellt erhalten, die man portofrei wieder zurücksenden konnte, mit oder ohne Bestellung. Wer strickt heute noch? Auch textile Fertigprodukte von guter Qualität wurden angeboten. Die Krise des Versandhandels ist ein schwerer Schlag fürs Entlebuch, zweifellos.
 
Doch da zeichnete sich auch Hoffnung ab: Am Landschaftskunstweg steht „die Schwangere“ mit hoffnungsvoll ausgebreiteten Armen, eine Bronze auf Eisen von Robert Indermaur, Almens GR. Früher sagte man, eine Frau, die ein Kind erwartete, sei „in der Hoffnung“. Das menschliche Leben geht weiter und hat eine Zukunft, im Entlebuch sicher auch dank seiner Einstufung als Biosphärenreservat, die doch die denkbar beste Auszeichnung ist und zum Besuche dieses herrlichen Fleckens Erde verlockt – das hier zum Fest für jene wird, die das Beschauliche, Ruhige und Tiefgründige zu schätzen wissen.
 
Und in einem luftigen Festzelt begegnet man beim Aufstieg zur Anhöhe oberhalb der Reistegg einer kuriosen Menschengruppe in Massivholz. Die Künstler Werner Ignaz Jans, Riet-Aesch ZH und Bistagno AL (I), und Hans Bach, Zürich und Oberstammheim ZH, haben unter dem plastifizierten Stoffdach die erwähnten Holzfiguren versammelt, die dort beobachtend und sinnend herumstehen und -sitzen, den freien Blick ins Mittelland hinaus offensichtlich geniessen und Geschichten auch erotischer Natur zu erzählen scheinen. Man kann sich unter sie mischen, ihre Befindlichkeiten erspüren und beobachten, wie Witterungseinflüsse ihre Körper mit tiefen Rissen versehen haben. Äussere Einflüsse können die Landschaftskunst durchaus mitgestalten.
 
Weiter oben, hinter grossen Meterholzstapeln, scheint ein lebensgrosses Bildhaueratelier eingerichtet zu sein. Paul Louis Meier, Reussbühl, hat digitale Fotografien in 3 Fotowände umgestaltet, auf denen unter anderem die stelenartigen Plastiken des Künstlers abgebildet sind – alles in erfrischenden Weisstönen.
 
Inzwischen hatte sich auch der Himmel aufgehellt. Die Sonne verdrängte den Regen und zauberte Bilder von einer Klarheit hervor, wie es sie nur im Anschluss an reinigende Regenperioden gibt. Von einem Umkehren war keine Rede mehr. Inzwischen hatten wir auch die Faszination des Kunstweg-Wanderns erlebt, das entspannt und immer wieder überraschende Ergebnisse hinzaubert, so beispielsweise einen feuerroten Ring an einer steilen, erodierten Felswand mit den Worten sich seiner selbst sicher sein, wobei man beim Lesen im Kreis nie richtig weiss, wo man anfangen und wo aufhören soll. Und anschliessend stehen 5 knapp lebensgrosse, aus Zement geformte Porträts am Wegrand, bekannte Persönlichkeiten wie Hans Küng und Günter Grass am Wegesrand. Grass war gerade wegen seiner endlich zugegebenen Mitgliedschaft bei der Waffen-SS in Kritik geraten; hoffentlich kann er dennoch weiterhin als moralisches Gewissen fungieren. Für mich hat er seine moralische Glaubwürdigkeit nicht verloren, weil alles aus den speziellen Zeitzuständen heraus verstanden werden muss. Die weiteren Zementporträts gelten Hans Falk, Hugo Lötscher und Hans Erni. Diese Begegnungen waren Grund genug zum Philosophieren – doch die von einem vergoldenden Licht verklärten Naturräume liessen das kaum zu. Die Bilder waren zu schön.
 
Auf dem First
Hunger und Durst meldeten sich  – und das Restaurant „First“ (1127 m ü. M.) tauchte am Horizont auf. Wir kehrten ein, waren die einzigen Gäste und wurden von der Wirtin aufmerksam und üppig bedient; sie machte uns auf den ersten Schnee auf der nahen Bergkulisse aufmerksam und wünschte uns einen guten Abstieg nach Heiligkreuz. Da riesige dunkle Nebelschwaden herannahten, die sich als Wolken erwiesen, mussten wir auf einen Abstecher zum Moorlandschaftspfad verzichten. Wir warfen im Untergeschoss des Gasthauses noch einen kurzen Blick auf die Videoinstallation des Luzerner Künstlers Hugo Schaer, der in der Ukraine lebt: zarte Tanzszenen zur Musik von Jevhen Stankovych.
 
Wir wählten den kürzesten Weg nach Heiligkreuz, der manchmal an ein Bachbett erinnerte. Unmittelbar nach dem Berggasthaus kamen wir an der 3,65 m hohen „Heldenmutter“ vorbei, einer Plastik aus naturbelassenem Zedernholz von Klaus Prior, Lugano und Cassine (Piemont), die wir schon von Heiligkreuz aus weit oben am Horizont gesehen hatten und die zu wandern schien, obschon sie keine Beine hat. Sie schaute in die Napflandschaft und kehrte uns den Rücken zu. Sie strahlte jene Gelassenheit aus, die wir wegen des einsetzenden Regen sehr gut gebrauchen konnten.
 
Eva, eine berggängige Bündnerin, setzte zu einem leichten Laufschritt an, und ich vergrösserte meine Schrittlängen. Unterhalb der Jacke waren meine Hosenbeine triefend nass, und im ausgewaschenen Fahrweg flossen kleine Bächlein. Doch nach 40 Minuten war Heiligkreuz in Reichweite. Im Wald besuchten wir ein kunstvolles Iglu aus unförmigen Hölzern und fanden in der Nähe einen Steinpilz, retteten ihn vor dem Frass einer Nacktschnecke – wir entschuldigen uns bei diesem Tier, dass wir es um diesen Genuss geprellt haben.
 
Einkauf in Schüpfheim
Von Heiligkreuz fuhren wir steil abwärts nach Schüpfheim hinunter, weil uns ein netter Antiquitätenhändler in Hasle auf die dortige Metzgerei Felder aufmerksam gemacht hatte, wo wir einen Fleischkäse fanden, der mich ganz an die Qualitäten erinnerte, die es früher gab, und auch Kalbsbratwürste und ein Entlebucher Steak aus Brät, Schinken, Käse usf. waren zu erstehen. So war auch dieses Problem gelöst. Und in der Käserei Fredy Studer-Vogel degustierten wir grössere Bissen von ausgereiftem Alpkäse (Alp Schlacht, Sörenberg), die in Bezug auf Rasse und Konsistenz nahe bei einem Parmesan waren, und nahmen grössere Brocken mit. In der Landi Flüehli fanden wir Entlebucher Stangenbohnen, Salate usf.
 
Wir trafen lauter liebenswürdige, zugängliche Menschen, die wahrscheinlich von ihrem harmonischen Lebensraum geprägt sind. Sogar die beiden Polizisten, die mir eine Busse von CHF 100 auferlegten, hatten meine Sympathie. Wir hatten zwischen den Einkäufen auf dem Bahnhofplatz hinter einem Fahrverbotssignal gewendet, so dass wir nicht wissen konnten, dass wir in ein verbotenes Strassenstück – direkt vor dem Polizeiposten – eingebogen waren. Meine Frau, die mein Fahrverhalten minutiös überwacht, hatte auch kein Signal gesehen. Die Polizisten versuchten angeblich, uns vom Weiterfahren abzuhalten, was ich ebenfalls übersehen hatte. Denn ich hatte mich auf den Verkehr zu konzentrieren und konnte mich nicht um freundlich winkende Polizeimänner kümmern, was einleuchten mag. Dann parkierte ich vor der erwähnten Käserei. Die beiden uniformierten, dienstbeflissenen Herren eilten herbei, stellten sich korrekt vor, interessierten sich lebhaft für Fahr- und Fahrzeugausweise und wollten mir freundlicherweise noch den Ort des Versehens zeigen; das sei nicht nötig, entgegnete ich, ich hätte zu ihnen als Entlebucher volles Vertrauen. Offenbar war die Busse gerechtfertigt, die ich der Einfachheit halber gleich in bar bezahlen durfte.
 
Ich hatte kein schlechtes Gefühl, etwas Geld im Entlebuch zurückzulassen, das uns so viel Erbauung beschert hatte – ohne  gleich das Ehrenbürgerrecht zu beanspruchen. Die beiden pflichtbewussten Beamten trösteten mich noch, es gebe keinen Eintrag im Strafregister. Also wird kein Mensch davon erfahren, was für mich sehr beruhigend wirkte. Denn ich lege viel Wert auf Diskretion, auf Datenschutz im weitesten Sinne. So fuhren wir denn, wenn auch mit etwas nasser, aber doch unverändert reiner, schneeweisser Weste heimzu. Dabei entging uns kein Verkehrssignal mehr, zumal sie jetzt alle vor und nicht hinter uns waren.
 
Und so kam es zu keinen weiteren Geschichten mehr, wie sie das Leben so zu schreiben pflegt. Aber für den Moment waren wir damit ja schliesslich hinreichend eingedeckt.
 
Der Steinpilz zum Risotto war ein Fest.
 
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