Textatelier
BLOG vom: 12.12.2006

Auguste Pinochet: Ein früher Neoliberaler durch und durch

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
„Wer Untertanen regiert, muss sie zwingen oder täuschen.“
Der Königsberger Philosoph und Zollbediente Johann Georg Hamann 1773 in seinem Pamphlet „Lettre perdue d’un sauvage du nord à un financier de Pe-kim“.
 
Er liess foltern, machte sich des Völkermords schuldig und förderte den Terrorismus: Ein früher Neoliberaler durch und durch, der Chile vor dem Kommunismus rettete (genau wie die USA es z. B. mit Vietnam hielten): Auguste Pinochet Ugarte ist am Sonntag, 10. Dezember 2006, ausgerechnet am „Tag der Menschenrechte“, im Alter von 91 Jahren offenbar an einem Herzinfarkt gestorben. Wie selbst das gegenwärtige politische Geschehen zeigt, gibt es Kriegsverbrecher, die sich jeder Bestrafung zu entziehen vermögen, weil sie die Achse der Guten bilden. Auch Pinochet kannte Winkelzüge zur Umgehung der Justiz. Seine Anwälte erklärten ihn für krank, Altersschwachsinn inklusive. Zudem war er „Senator auf Lebenszeit“, was ihn ebenfalls vor der strafrechtlichen Verfolgung schützte ... die Grossen lässt man laufen. Das Sprichwort stimmt noch immer.
 
Die Sache mit dem Hirnschaden nimmt man den Anwälten gern ab; denn wer Völkermorde begeht (dazu gehört auch die von der Achse USA-Israel-Grossbritannien praktizierte Zerstörung ganzer Landstriche und Länder – Irak, Libanon, Palästina) muss in einem schweren Grad vermindert zurechnungsfähig sein. Die kriegsgeilen Bombennationen verstehen es vorläufig noch, sich jeder Gerichtsbarkeit zu entziehen, was ein zusätzlicher Skandal ist. Und Amnesty International AI fordert völlig zu Recht, es seien aus dem Fall Pinochet Konsequenzen für eine künftig effektivere Strafverfolgung von Menschenrechtsverstössen zu ziehen.
 
Pinochet regierte Chile von 1973 bis 1990 als Vorsitzender einer Militärjunta mit rücksichtsloser Gewalt, nachdem er mit Hilfe der USA bzw. der CIA gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende erfolgreich geputscht hatte – und zwar 11 Tage, nachdem ihn dieser zum Heereschef ernannt hatte. Die Opposition, die den Allende-Sturz erzwingen wollte, erhielt u. a. finanzielle Unterstützung aus den USA. Allende war für einen demokratischen Sozialismus eingetreten, um so den Revolutionen in den Ländern Lateinamerikas ein Ende zu bereiten. Am 11. September 1973 brachte sich dieser demokratisch gewählte Präsident Allende mit einer Kugel aus der eigenen Kalaschnikow selber um; nach anderen Berichten wurde er beim Putsch ermordet, als die Luftwaffe den Präsidentenpalast Moneda bombardierte. Damit begann ein jahrelanges Martyrium für viele Chilenen mit Foltergefängnissen, wie sie heute auch von den USA unter dem Deckmantel der Terrorismus-Bekämpfung betrieben werden, eine Schande hier wie dort.
 
Das Chile-Modell machte in Südamerika Schule: In Peru, Brasilien, Bolivien, Uruguay und Argentinien kamen in den 1970er-Jahren, meist ebenfalls mit aktiver, hinterhältiger Unterstützung der USA, autoritäre und rechtsgerichtete Regime an die Macht. Die Kalten Krieger in Washington, denen es um die Vergrösserung der eigenen Macht und ihrer Wirtschaftssphären (auch um Rüstungsaufträge) ging, schützten den Kampf gegen den Kommunismus vor, und das Abendland in seiner US-Begeisterung war blöd genug, um auf diese Rabulistik hereinzufallen.
 
Pinochets grosses Vorbild war der spanische Diktator Francisco Franco. Pinochet war ein gnadenloser Modernisierer, sozusagen eine Globalisierer-Frühgeburt, der während seiner Diktatur 3197 Menschen getötet und mindestens 28 000 hinter Gitter (in Konzentrationslager als Foltergefängnisse, wie sie gerade wieder üblich werden) gebracht und gemartert haben soll, was im Vergleich zu den weltweiten Machenschaften der USA zwar bescheiden ist (US-Soldaten dürfen sich z. B. erlauben, in besetzten Gebieten fast wahllos auch Zivilisten auszulöschen), aber noch immer erschreckend genug. Das chilenische „Guantánamo“ war eine Zeitlang das Estadio Nacional. Zudem hat Pinochet Hunderttausende ins Exil (viele begaben sich nach Schweden) getrieben, worunter auch die derzeitige Präsidentin Michelle Bachelet, die denn auch von einem Staatsbegräbnis und von Staatstrauer nichts wissen wollte. Ihr Vater gehörte zu den Folteropfern Pinochets.
 
Die USA und Grossbritannien waren selbstverständlich Verbündete von Pinochet; sein furchtbarer Stil kam da auf fruchtbaren Boden. Jetzt tut man in Washington so, als ob man der Opfer des Pinochet-Regimes gedenke, die man seinerzeit durch eine aktive Regime-Unterstützung förderte und dann mit Schweigen überging. Die chilenische Wirtschaft wurde mit Hilfe junger, in den USA ausgebildeter Wirtschaftsexperten mit brachialer Gewalt und Bajonetten auf den neoliberalen Kurs getrimmt (Pinochet liess sich selber immer wieder in den USA weiterbilden, wo er ab 1956 auch als Militärattaché gewirkt hatte). Chiles Wirtschaft entwickelte sich zu den (nach dem landläufigen Globalisierungsverständnis) „fortschrittlichsten“ des südamerikanischen Kontinents.
 
Der Stil hat sich bewährt: Inzwischen ist deshalb für gleichartige Projekte bei den Brachial-Globalisierern das Waffenarsenal noch wesentlich schlagkräftiger geworden, bis hin zu den Streubomben, radioaktiv strahlenden Geschossen und den von den USA in Entwicklung begriffenen Mini-Atombomben (das Atombombenarsenal der USA genügt bereits, um die gesamte Erde als Lebensraum zu zerstören). Wofür denn hat man eigentlich dort ein derart gigantisches, in seinen Dimensionen über jede Vernunft hinausgehendes Zerstörungspotenzial zusammengestellt?
 
Die chilenische Wirtschaft lief gut; und die Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich, die typische Globalisierungsfolge. Dementsprechend trauern die Gewinner um Pinochet, die anderen freuen sich, dass ein Verbrecher das Zeitliche segnen musste, so dass es in Chile nach dem Tod des Tyrannen sogar zu Strassenschlachten kam. Aus diesem Anlass lohnt es sich auch, die demokratischen Folgen des Neoliberalismus zu bedenken: Demokratische Organisationen wurden unter Pinochet ausgehebelt (politische Parteien geächtet), Bürgerrechte und Freiheiten durch einen Überwachungsstaat ersetzt; Geheimdienste wie der DINA spielten eine zunehmende Rolle.
 
Pinochet könnte ein Mahnmal und ein starker Anlass zum kritischen Überdenken der heute ablaufenden neoliberalen bzw. neokonservativen Geschehnisse sein – er müsste es sein. Aber das Denken in grösseren geschichtlichen Zusammenhängen ist nicht mehr üblich. Und so wird denn weiterhin auf den Menschenrechten herumgetreten, als ob es nie einen tyrannischen Machthaber und US-Zögling Auguste Pinochet gegeben habe. Und auch der einsame „Tag der Menschenrechte“ ist vorbei. Heute gibt es keinen Tag ohne gravierende Verstösse gegen die Menschlichkeit mehr.
 
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