Textatelier
BLOG vom: 26.06.2007

e-med: Der Computer soll das Arzneien-Chaos etwas mildern

Autor: Walter Hess, Biberstein (Textatelier.com)
 
4 von 10 verordneten Medikamenten würden negative Wechselwirkungen verursachen, gaben Vertreter der Politik, der Schweizerischen Patienten-Organisation (SPO) und des Inselspitals am Montag, 25. Juni 2007, vor den Medien offen zu. Und weiter: „Studien belegen Fehlerquoten von bis zu 40 % bei der Medikamentenabgabe im Spital.“ Laut dem Leitenden Arzt Orthopädische Chirurgie am Inselspital, Stefan Eggli, können die 6500 in der Schweiz zugelassenen Medikamente rund 40 000 unerwünschte Wechselwirkungen verursachen. Kein Arzt und kein Apotheker könne diese Menge überblicken, was einleuchtet. Zudem bestehe die Gefahr von Schreib- und Lesefehlern beim handschriftlichen Rezept und von Patienten-Verwechslungen. „Die Sicherheit im Medikationsprozess an schweizerischen Spitälern ist ungenügend“, folgerte Eggli. Solche selbstkritischen Töne sind rar.
 
Natürlich ist das alles eine Schätzung im Zeichen der Untertreibung; denn was der Medikamenten-Cocktail bei den individuellen Empfindlichkeiten der armen Schlucker und im Rahmen der persönlichen Ernährungsgewohnheiten bewirkt, weiss kein Mensch, nicht einmal der allwissende Computer, der es jetzt richten soll. Die extrudierte, emulgierte, verdickte, entklumpte, umgerötete, eingefärbte, aromatisierend-geschmacksveränderte, stabilisierte – sprich: designte Nahrung ist ja inzwischen ebenfalls weitgehend zu einem üblen Chemikalien-Cocktail geworden.
 
Selbstverständlich kann unter solchen Voraussetzungen kein Arzt mehr wissen, was er tut, und der abgedroschene Gebetsmühlen-Zusatz in der Werbung, die zur unentwegten Steigerung des Medikamentenfressens im Interesse der Pharma-Manager und -aktionäre aufruft, bewirkt folglich auch keine Wunder: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Was sollen sie denn antworten? Sie können höchstens die Verantwortung abzuschieben versuchen. Denn Medikamente und Nahrungschemikalien veranstalten unendlich viele Wechselwirkungen; genau genommen müsste man jeden Cocktail aus diesen Giften für den Organismus, der auf Naturprodukte eingestellt ist, laufend (d. h. im Rahmen des gerade vorhandenen Nahrungsumfelds) separat testen, und das geht ja wohl nicht; der Aufwand wäre gigantisch. Jedem Patienten müsste ein Labortrakt mit auf den Weg gegeben werden.
 
Viele Kranke und insbesondere Chronischkranke sind bedauernswerte Medikamentenopfer, die keine Schadenersatzansprüche geltend machen können, weil ja auch sie nichts beweisen können. Sie sind einfach krank, im besseren Fall vorübergehend, häufig für immer, und dafür gibt es auch wieder Medikamente. Die Dauerkranken werden irgendwie künstlich am Leben gehalten, am Schluss in der Intensivpflegestation, was wenigstens der Lebenserwartungsstatistik gut tut.
 
Der Fall ist allgemein und nicht erst seit gestern bekannt, und schon kein ehrlicher Arzt wird da widersprechen. Deshalb haben Schweizer Parlamentarier und die SPO den Bundesrat und Swissmedic aufgefordert, Massnahmen zu treffen, um „unerwünschte Wechselwirkungen“ zu reduzieren. Gasagt, getan: Am Inselspital Bern sei ein „Pilotprojekt“ angelaufen, wurde soeben mitgeteilt. Woher kommt es nur, dass mir immer dann, wenn ich von Pilotprojekten höre, das Grounding in den Sinn kommt? Wahrscheinlich ist das Herumfliegen noch immer gefährlich, besonders auch jenes im siebenten Medikamentenhimmel.
 
Das Berner Inselspital also erprobt seit rund einem Jahr in seinem Pilotprojekt die Software „e-med“. In dieses Programm könne der Arzt das Medikament und die Dosis eingeben, hiess es in der Agenturmeldung dazu. Allerdings würde es auch kein Computer aushalten, wenn man Medikamente in ihn stopfen würde. Wahrscheinlich gibt man bloss irgendwelche Medikamentendaten ein. Und der Computer soll dann freundlicherweise eine sofortige Rückmeldung geben, wenn ein Risiko besteht. Laut Maximilian Hartel, wissenschaftlicher Assistent am Berner Inselspital, konnte die Fehlerrate damit drastisch reduziert werden.
 
Hoffen wir es. Doch eine Software ist so weich oder so hart wie der Programmierer, der sie konstruiert hat. Der Computer kann gut Verknüpfungen herbeiführen und kombinieren, aber Cocktailwirkungen in Bezug auf individuelle Empfindlichkeiten kann auch er nicht kennen, und mag er mit ganzen Bergen von Beipackzetteln gefüttert worden sein. Seitdem ich vor Jahren einmal mit eigenen Augen gesehen habe, dass ein schwer an Leukämie erkrankter junger Mann im Inselspital mit Aufschnitt (fettigen, salzigen, gepökelten Fleischwurstwaren) gefüttert worden ist, glaube ich nicht mehr so recht an eine allfällig dort vorhandene Kompetenz hinsichtlich der Abschätzung von Krankheitsgefahren, ein Umstand, der auch „e-med“ nicht besonders gut tun dürfte.
 
Natürlich ist es nicht verboten, den Computer als Hilfsmittel zu Rate zu ziehen. Aber ebenso wie dieses Gerät sollte endlich auf allen Seiten auch der gesunde Menschenverstand eingeschaltet werden, damit die Weichware, die den Rechner führt, überhaupt zu erhärteten Aussagen kommen kann. Und sonst kann man dann ja einfach dem Computer die Schuld geben, die er mit Fassung tragen wird. Wie üblich.
 
Ich traue der Sache nicht so richtig und bin dankbar, dass es der Schulmedizin mit Schützenhilfe uneinsichtiger Politiker noch immer nicht ganz gelungen ist, die Naturheilkunde und die damit verbundene Eigenverantwortung auszuhebeln.
 
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