Textatelier
BLOG vom: 13.10.2007

Entgleiste Dynamik: Baggerangriff auf die Bünzaue in Möriken

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Am Schalter der Gemeindekanzlei Möriken-Wildegg (beim Gemeindesaal Möriken AG) kann man einen professionell gemachten Prospekt „Bünzaue Möriken. Dynamik bringt Leben“  beziehen, dessen Inhalt zum Teil auch auf Orientierungstafeln beim Feuerwehrmagazin am Mühlemattweg unter der Kirche wiedergegeben ist. Auch auf der Webseite www.buenzaue.ch gibt es Informationen dazu. So wird über das „Projekt Bünzaue“ gründlich informiert, ein erfreulicher Zustand mit erzieherischem Hintergrund. Und hoffentlich legt sich die aargauische regierungsrätliche Auenbegeisterung nicht! Der Kanton Aargau www.ag.ch stand informatorisch lange Zeit nicht zurück; doch viele der ehemals umfangreichen Internetseiten scheinen verschwunden zu sein. Erhalten geblieben ist ein Abschnitt: „Was ist ein Auenschutzpark?“: „In vielen Auen ist die natürliche Dynamik des Wassers durch Verbauungen gestört. Das macht es nötig, dass nicht nur geschützt, sondern aktiv aufgewertet wird. Im Auenschutzpark erhalten die Flüsse mehr Raum und können ihre Landschaft wieder selbst gestalten.“
 
Im erwähnten offiziellen Auenschutzpark-Aargau-Prospekt ist zu lesen: „Ziel soll sein, der Bünz zwischen Bahndamm in Othmarsingen und dem Baugebiet von Möriken weitgehend freien Lauf zu gewähren. Es soll eine Landschaft entstehen, in der dynamische Prozesse toleriert werden. Das ständige Entstehen von Kiesflächen und das durch Sukzession oder Überflutungen ständige Verschwinden sind nicht nur seltene Phänomene, sie sind auch aus ökologischer Sicht sehr wertvoll. Die Bünzaue ist das einzige Auengebiet im Aargau, in dem dieser Prozess seit Mai 1999 auf beschränktem Raum ungestört ablaufen kann.“
 
Wer in dieser von einer zunehmenden Naturzerstörung und -ferne gezeichneten Zeit noch eine Spur von Gefühl für natürliche Abläufe bewahrt hat, saugt solche Worte gierig wie Honig von den letzten überlebenden Bienen auf. Das Wort Sukzession, das im amtlichen Text vorkommt, bezeichnet eine zeitliche Aufeinanderfolge der an einem Standort einander ablösenden Pflanzen- und Tiergesellschaften, also eine Dynamik, die den Namen verdient und der man heute das Allerwelts-Prädikat „spannend“ verleihen könnte. Und was solch eine Dynamik in der Praxis bedeutet, haben die grossartigen Überschwemmungen vom 12./13. Mai 1999 demonstriert, die ich schon im Blog vom 13.09.2006 besungen habe (Bünzaue und Aare-Umgehung: Wo Fliessgewässer fliessen). Auch der erwähnte Prospekt äussert sich mit prophetischem Unterton im 3. Satz dazu:
 
„Im Mai 1999 ist über Nacht eine neue Landschaft entstanden, welche seither nach jedem Regen ein anderes Gesicht erhält.“
 
Nun sind wir zwar an die Entstehung neuer Landschaften durchaus gewöhnt, und das ist ja nicht immer etwas, was unser Herz erquickt, doch in der Bünzaue schon:
 
„Die Pionierflächen werden sukzessive von aufwachsenden Pflanzen besiedelt, so dass sich das Landschaftsbild zusätzlich ändern wird. Irgendwann wird wieder ein Hochwasser kommen, und der Prozess beginnt von neuem.“
 
Unterschwellig suggeriert dieser Text meiner unmassgeblichen Ansicht nach, dass solche Hochwasserereignisse (das Wort Katastrophe umschifft man mit guten Gründen) geradezu erwünscht seien. Und wunderbarerweise kam es in der Nacht auf den 09.08.2007 tatsächlich wieder dazu. Auenschutzgebiete, Feuerwehren, Katastrophenschutz-Organisationen, Medien und dergleichen blühten auf.
 
Besonders pflichtbewusst arbeitete das Oberflächenwasser in der Bünzaue (Blog vom 13.08.2007: Tiefsinniges zum Hochwasser: Klugheit aus dem Schaden). Die Bünz nützte die tolle Gelegenheit, sich mehr Platz, mehr Ellbogenfreiheit zu verschaffen, auf Kosten von humusiertem Landwirtschaftsland, das schlicht und ergreifend abgetragen und fortgeschwemmt wurde und wahrscheinlich auf einem Stauseeboden dem Wasser den Platz strittig macht. Eine Kanalisationsleitung (Abwasser) wurde weggespült. Selbst die Sauberwassertransportleitung, die von der Kläranlage Wohlen AG in die Aare führt, wurde durch die Erosion gefährdet, wobei die Frage erlaubt sei, weshalb denn Sauberwasser eigentlich in einer Röhre abgeführt werden muss und weshalb so viele Leitungen mit der Bünz ums Abflussgerinne konkurrenzieren.
 
Eine archaische Landschaft war entstanden, die an den folgenden Tagen nicht nur ich, sondern auch ganze Familien genossen haben. Sie regte zum Schauen und Spielen an, ein Erholungsraum sondergleichen für Kind und Kegel.
 
Selbstverständlich führt ein derartiges Geschehen zum üblichen Konflikt Natur/Landwirtschaft, dem im Falle der Bünzaue durch eine Landumlegung vorgebeugt wurde: Die maximal tolerierte Überflutungsfläche bzw. insbesondere das potenziell erosionsgefährdete Land wurde der Öffentlichen Hand zugeteilt. Insgesamt umfasst die Bünzaue 60 Hektaren Land, wovon rund die Hälfte der Öffentlichkeit gehört. Was noch an Kulturland hinterblieben war beziehungsweise ist, dürfen die Bauern schonend bewirtschaften, auf dass der offene, im Sinne von unbewaldete Charakter des Tals erhalten bleibe (zumal die Natur in unseren Zonen den unbändigen Drang verspürt, überall Wald zu schaffen). Umbruch (das Umbrechen der Ackerkrume) und Düngung sind hier allerdings verboten.
 
Ich nahm an, die Sukzession gehe munter weiter und freute mich aufs nächste Hochwasser, das ja durch Eingriffe ins Klimageschehen, Bodenabdichtungen und Gewässerkanalisierungen provoziert wird und mit Sicherheit bald wieder kommt. Doch dann erreichte mich am 5. Oktober 2007 die folgende E-Mail von einem gleich gesinnten Bekannten: „An der Bünz, die das Hochwasser so einmalig (für den Kanton Aargau) renaturierte, sind offenbar umfangreiche Flickarbeiten unter der Leitung des Kantons im Gange. Dynamik und Auenschutzpark Aargau finden anscheinend wieder vermehrt nur auf den Prospekten und Exkursionen mit Naturama-Beteiligung statt. Bagger sprechen für eine andere Entwicklung.“
 
Ich war aufgeschreckt und begab mich nach Möriken, wanderte von der Kirche aus auf der Othmarsingerstrasse bis zu Briners grossem Bauernhof, wo eine Kutsche auf den Einsatz wartete und Rinder allerhand Grünzeug zermalmten, an Schlachtgewicht tapfer zulegend. Das bekieste Mergelsträsschen zur Bünz war mir vertraut. Ein Bagger schien meine Ankunft beim Bach mit hocherhobener Schaufel zu begrüssen. Dort unten, in der Roossimatt, war der Mühlemattweg teilweise unter- und weggespült worden, und er wurde gerade wiederhergestellt. Ein Vibrator hatte das eingebrachte Material bereits verfestigt. Am Nordufer der Bünz waren Baumstämme aneinandergereiht, und quer dazu zeigten Stammabschnitte gegen den Bach, wahrscheinlich um die Fliessgeschwindigkeit zu bremsen, bis sie dann selber mitgerissen werden.
 
Unterhalb der weggeschwemmten kleinen Betonbrücke, die hinüber zur Bünzhalde und zur Witmatte führt, war der ausgeebnete Kies direkt neben der Gewässerabflussrinne vom regelmässigen Muster von Baggerzähnen durchfurcht. Was das soll, habe ich nicht herausgefunden. Es spielten und erholten sich hier keine Menschen mehr. Immerhin hatte sich eine grosse, entwurzelte Silberweide in liegender Position noch vor den maschinellen Angriffen halten können.
 
Gegen den nordseitigen Hang, auf dem Wohnhäuser stehen, wurde im Blockwurfverfahren ein Mäuerchen erstellt, das der Bünz mitteilt: Bis hierher und nicht weiter! Es geht also um den Schutz des Siedlungsgebiets. Wie heisst es doch im Prospekt so schön: Die Bünz erhält einen „weitgehend freien Lauf“ – das „weitgehend“ bestätigt die Erkenntnis, dass jede Freiheit ihre Grenze hat. Und es ist immer die Frage, wo man denn die Grenzen setzen will.
 
In der Gemeindekanzlei Möriken habe ich für 20 CHF die „Chronik von Möriken-Wildegg“ (1992 erschienen) gekauft. Darin ist (auf Seite 79) ein Ausschnitt aus der von Ernst Heinrich Michaelis 1837–1843 aufgenommenen Karte reproduziert, die das Mäandrieren der Bünz zwischen Möriken und Othmarsingen (Gebiet Hasli) erkennen lässt. Etwas weiter hinten (Seite 99: „Bewässerungsreglement“) liest man, dass es schon 1883 ein „Bünz-Korrektions- und Wässerungsreglement für die Mattenbesitzer der Gemeinde Möriken“ gab. Damals bestanden noch 14 Wuhre (= Wehre, Stauanlagen zur Beeinflussung des Wasserstands bzw. der Bewässerungskanäle), die inzwischen bis auf wenige Reste verschwunden sind.
 
Anlass für die Korrektionen waren „verheerende Hochwasser der Bünz mit Folgeschäden an Kulturen und abgerissene Uferpartien“. Schon damals wurden Ufer und Böschungen durch Anbringen von Holz- oder Faschinenwehren gesichert. Auch wurde verordnet, „die allzu scharfen und unnatürlichen Krümmungen auf möglichst rationelle Art zu begradigen“. Dabei habe ich schon gewisse Bedenken, ob denn die scharfen Krümmungen von Menschenhand und nicht durch die Natur angelegt worden waren ... Da ging es wahrscheinlich auch ums Aushubmaterial, das den Landeigentümern zur Auffüllung alter Läufe überlassen wurde.
 
Gegenüber der Zeit vor etwa 125 Jahren hat sich in den Köpfen einiges geändert: Die Natur ist auf kärgliche Restbestände geschrumpft, und die Wertschätzung für ihre Äusserungen ist gewachsen – eigentlich ein marktwirtschaftliches Prinzip, wonach das Rare einen höheren Wert repräsentiert als Massenware. Doch auf das praktische Handeln hat sich dies noch nicht kräftig genug ausgewirkt. Dank des schweren maschinellen Geräts können wir unseren persönlichen Veränderungsdrang elegant ausleben. Der Kopf würde eigentlich schon zu etwas mehr Zurückhaltung bei der Bändigung der Natur mahnen, doch unser hydraulisch verstärktes Fleisch ist schwach. Wir sind insgesamt noch nicht weiter als damals, als praktisch alle Gewässer in Kanäle umfunktioniert wurden
*
Im Legislaturprogramm 2006–2009 der Gemeinde Möriken wird die Bünzaue mit einem einsamen Satz abgefertigt: „Nutzungskonzept für die Bünzaue Möriken fertig stellen und Einsetzen einer Begleitkommission durch den Kanton.“
 
Da geht es also bereits wieder um die Nutzung. Doch ein Gebiet, in dem sich die Natur erholen kann, ist nützlich, von geradezu unermesslichem Nutzen, wenn auch ohne positiven Einfluss auf die auf Franken reduzierte Finanzplanung.
 
Möriken ist ein kulturell aktives Dorf, aber nicht alle Bewohner scheinen wahrzunehmen, was sie mit ihrer Bünzaue für ein Naturobjekt von nationaler Bedeutung haben. Bei meinem Besuch hingen überall Plakate, auf denen von „Banditen“ zu lesen war: Tags darauf, am 6. Oktober 2007, fand im renovierten Gemeindesaal die Premiere der so benannten Operette von Jacques Offenbach mit rund 200 Mitwirkenden statt. Es geht da um den Räuberhauptmann Falsacappa, der am Hof von Braganza (Portugal) Millionen ergaunern will. Ich wünschte den netten Mörikern, dass sie diesmal der guten Abwechslung halber von Publikum überschwemmt werden.
 
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