Textatelier
BLOG vom: 14.01.2009

Sanft gedacht: Poesie von Prudhomme, 1839 bis 1907

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Der französische Poet Sully Prudhomme erhielt den 1. Nobel-Literaturpreis im Jahr 1901. Er wurde 1881 zum Mitglied der „Académie Française“ ernannt. Den Preis stiftete er zur Förderung junger Schriftsteller.
 
Einst hochgepriesen, ist er heute selbst in Frankreich weitgehend vergessen. Wie lange ist sein Gedichtband, vom Pariser Verlag Alphonse Lemerre 1901 veröffentlicht, in meiner Büchersammlung ungelesen liegen geblieben? Erst in den letzten Jahren hat sich mein Interesse an der Poesie allmählich erhöht.
 
Prudhommes Gedichte sind wehmütig und melancholisch, ausser wenn er sie der Natur widmete. Sein Stil ist schlicht und einfach. Eine unglückliche Liebe hat sein Gemüt lebenslang bedrückt. Er blieb ein Junggeselle. Wegen eines Augenleidens musste er sein Ingenieurstudium aufgeben und studierte stattdessen Jurisprudenz. Eine selbst gewählte Einsamkeit begleitete seine letzten Lebensjahre. Prudhomme war der klassischen Literatur und Philosophie (Lucretius, dessen Werk „De Rerum Natura“ er übersetzte) zugetan. Seinen eigenen philosophischen Nachlass hat er als Dialog in Versform in „La Justice“ (1878) hinterlassen. Sein „Journal Intime“ erschien 1922.
 
Seine Verse geben seine inneren Gefühle preis, wie etwa in seinem Gedicht „Pensée perdue“, hier von mir (sinngemäss) verdeutscht:
 
Verlorener Gedanke
Er ist so sanft der Gedanke/Und um seinen Reiz zu fühlen/Entspringt er einer begonnenen Vision/Beim jähen Erwachen als Splitter erhascht.
 
Dem enthüllten Herzen entsprungen/Vermag es ihn kaum zu erfassen/Und dennoch ist er in der Seele/Und man würde sterben, um ihn zu beendigen.
 
Woran habe ich eben gedacht?/Welchem Traum ist er entschwunden?/Muss ich um ihn Tränen vergiessen?/Wie er mich verblüfft zurücklässt.
 
In dieser glückseligen Sekunde/Brachte ihn keine Mühe zurück/Ich habe Freude in der Welt gekostet/Nur im Traum, und mein Traum ist verschollen.
 
Ich kenne sie, diese allerschönsten Gedankensplitter, die aus Träumen nachschwingen und wie Schmetterlinge unfassbar davon gaukeln.
*
Sein schwärendes Liebesleid ist im Gedicht „Le vase brisé“ versinnbildlicht, und diesem gilt eines seiner berühmtesten Gedichte. Hier musste ich Zuflucht zu folgender Übersetzung nehmen (der Name des Übersetzers ist nicht genannt), allerdings mit einigen Retuschen meinerseits versehen: 
Die zerbrochene Vase
Die Vase in der welkt das Eisenkraut
ward durch des Fächers Hieb gerissen,
der Fächer hat sie kaum berührt:
kein Laut hat den Riss enthüllt.
 
Doch die Wunde zart,
jeden Tag am Kristall nagt,
unsichtbaren und sicheren Ganges,
rund um langsam zieht.
 
Tropfen für Tropfen entrinnt das frische Wasser,
zur Neige ging der Blüten Saft,
noch ahnt es niemand,
sie ist zerbrochen, rührt sie nicht an.
 
Oft ist es auch die Hand, die man liebt
die das Herz streift und es verletzt,
wie von selber entsteht im Herz ein Riss
die Blüte seiner Liebe welkt.
 
Fürs Auge der Welt ein heiles Bild,
fühlt in sich wie sie wächst und leise weint
die feine doch tiefe Wunde.
Sie ist zerbrochen, rührt sie nicht an. 
Vermessen versuche ich nachstehend, Sully Prudhomme innerlich nachzuempfinden:
 
„Zwischen gestern und morgen/Verbreitert sich die Wand zur Mauer/Dazwischen liegt das Heute begraben/Seit mein Liebling mein Herz gebrochen hat.“
*
Abschliessend streue ich noch 2 Gedichtbrocken in der Originalsprache ein, kurz auf deutsch annotiert:
 
L’imagination
J’imagine! Ainsi je puis faire /Un ange sous mon front mortel! Et qui peut dire en quoi diffère/L’être imaginé du réel.
(Der Imagination entspringt ein Engel, doch wer kann zwischen Vorstellung und Wirklichkeit scheiden?)
 
La poésie
Quand j’entends disputer les hommes?/Sur Dieu q’ils pénètrent point/Je me demande où nous en sommes/Hélas ! toujours au même point.
 
(Wenn ich Leute über Gott disputieren höre, den sie kaum verstehen, frage ich mich, wo wir damit stehen. Immer auf der gleichen Stelle.)
 
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