Textatelier
BLOG vom: 07.03.2009

Schloss Beuggen: 189 Vaterunser und ein Wackel-Opferstock

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Über das unweit von Rheinfelden gelegene Beuggen war früher ein Deutschordenshaus, später ein Krankenhaus, Brüder- und Kinderhaus, erzählt Eugen Zeller, der ein Enkel des Gründers Christian Heinrich Zeller (17791860) war, zum Teil merkwürdige Episoden. Er widmete sein Buch den ehemaligen Pflegekindern und Schülern.
 
Die Geschichten, die ich in meiner Sammlung habe, kramte ich jetzt, nach dem Besuch des Schlosses am 04.03.2009, wieder heraus.
 
189 Vaterunser
Die Brüder mussten in der Ordenskapelle täglich 189 Vaterunser beten. Dazu kamen ebenso viele Ave Maria. „Die Brüder sollen sich gewissenhaft prüfen, ob sie keines dieser Gebete versäumt haben und sollen überzeugt sein, dass solche Versäumnis’ ,an ihrer Seele würde gerochen und bezahlet werden'“, so Zeller. Für jeden lebenden Gönner und Wohltäter des Ordens mussten zusätzlich 30 Vaterunser, für die zuletzt gestorbenen ebenso viele und für jeden im Konvent verstorbenen Ordensbruder 15 Vaterunser gebetet werden. Für jeden verstorbenen Komtur (Verwalter) waren 100 Vaterunser fällig. Die Brüder waren also sehr beschäftigt! Es wurde genauestens darauf geachtet, dass jeder zu den Betstunden und Messen (meistens um 4 oder 5 Uhr am Morgen) erscheint. Schlafmützen bzw. Langschläfer wurden gnadenlos geweckt. Sie mussten ja beten. Später wurde für das leibliche Wohl gesorgt.
 
Komtur wurde evangelisch
Als der Komtur von Beuggen Ludwig von Reischach um 1525 zum evangelischen Glauben übertrat und sich kurz darauf vermählte, war dies in den Augen des Landkomturs ein untragbarer Zustand. Der Vorgesetzte verfasste ein Schreiben, aus dem hervorging, dass der Verwalter seines Amtes enthoben und er die Komturei sofort zu verlassen habe. Ludwig von Reischach widersetzte sich diesem „Befehl“ und wollte unbedingt in Beuggen bleiben. Er wurde jedoch gewaltsam vertrieben. Mit seiner Gemahlin fand er in Basel ein neues Zuhause. Der Rat von Basel wandte sich sofort an den Landkomtur und wies auf Entschädigungszahlungen hin. Dies verweigerte der Landkomtur. Daraufhin legte der Rat „Beschlag auf alle im Basler Gebiet gelegenen Güter, Zehnten, Zinse und Naturalabgaben des Ordenshauses Beuggen und wies sie dem Komtur Ludwig von Reischach als Einkommen zu“. Nach erfolglosen Protesten des Ordenshauses und des Landkomturs zogen die Beteiligten vor Gericht. 22 Jahre dauerte der Prozess, der dem Deutschorden riesige Summen kostete. Zu guter Letzt wurde dem Vertriebenen eine jährliche Pension von 200 Gulden zugesprochen. Der Kommentar von Eugen Zeller ist bemerkenswert; er lautete: „Hätte der Komtur von Reischach sich heimlich einige Mätressen gehalten, es wäre ihm wohl vonseiten seiner Vorgesetzten ungerügt hingegangen. Dergleichen kam bei den Ordensherren oft genug vor. Dass er aber eine ehrbare Ehe schloss, dafür musste er exkommuniziert werden.“
Schon damals herrschten also unglaubliche kirchliche Zustände.
 
Wer hat die grösste Geduld?
Christian Heinrich Zeller, übrigens befreundet mit Pestalozzi, war Inspektor der Anstalt von 1820 bis 1860, unterrichtete zeitweise in der Kinderschule. Als er einem besonders begriffsstutzigen Mädchen das Abc beibringen wollte, wurde seine Geduld schon beim „a“ auf eine harte Probe gestellt. Immer wieder sagte er zum Mädchen: „Der Buchstabe heisst ,a’. Wie heisst der Buchstabe?“ ‒ „Weiss it“, war immer die Antwort der Kleinen. Nach einigen erfolglosen Versuchen wandte er sich verzweifelt an die Klasse und meinte: „Welches unter euch hat mehr Geduld als ich?“ Darauf hin meldete sich ein Knabe und sagte, er habe mehr Geduld. Der Knabe namens Samuel setzte sich dann zu dem Mädchen und begann mit dem ungelehrigen Kind das „a“ einzuüben. Nach langer Zeit kam der Knabe freudestrahlend auf den Lehrer zu und rief: „Sie kennt jetzt den ,a’.“
 
Die Ängste des gewaltigen Essers
Hadara, ein abessinischer Jüngling, wollte sich zum Lehrer und Prediger ausbilden lassen. Er vertrug jedoch die raue Luft des Nordens nicht, bekam eine Lungenschwindsucht und starb am 23. Dezember 1838 in Beuggen. Er wurde im „Krankenzimmer“ aufgebahrt. Während dieser Zeit war auch ein Niederländer zur Ausbildung in Beuggen. Er hatte immer einen gewaltigen Appetit. Auch in der ersten Nacht nach dem Ableben des Abessiniers konnte er keine Ruhe finden. Immer wieder musste er an die „Schlachtplatten“ in der Vorratskammer denken. Leise schlich er die Treppe aus dem obersten Stock herunter. Sein Weg führte an dem besagten „Krankenzimmer“ vorbei, wo der Tote lag. Da packte ihn das Grauen, und er rannte wieder in sein Zimmer, wo er sich im Bett verkroch. Aber kurz darauf kam die Begierde nach der „Metzgete“ wieder, und er machte sich erneut auf den Weg. Aber das Grauen kam wieder. Er stellte sich vor, wenn plötzlich die Tür sich öffnen und der Geist Hadaras heraustreten und sich ihm in den Weg stellen würde ... Zurück, hinauf ins Bett! Kaum im Bett, kamen die Gelüste wieder, und er redete sich ein, dass ihm ein Toter ja nichts anhaben könne. Er stürmte ein drittes Mal hinunter, erreichte wohlbehalten die Küche und verdrückte eine gehörige Portion. Am nächsten Tag fand die Köchin einige leere Schüsseln und Platten vor.
 
Entrüstete Wirtin
Etliche Gäste, die vom Basler Missionsfest kamen und ins Württembergische weiterreisen wollten, blieben über Nacht in Beuggen. Wenn zu viele Gäste kamen, mussten sich 2 von ihnen ein Bett teilen. „Nicht wahr“, wandte sich die Hausmutter Zeller an eine Württembergerfrau, „es macht Ihnen nichts aus, mit dieser Tochter dort in einem Bette zu schlafen?“ Die Frau reckte sich in voller Höhe empor und sagte entrüstet: „Was glaubet Sie eigentlich, Frau Inschpektere, i bi d’ Traubewirti vo Raveschburg und geh in d’ Stund!“ Es ist nicht bekannt, ob die resolute Schwäbin daraufhin ein Einzelbett erhalten hat.
 
Resolute Köchin
„Zum täglichen Brot, um das man Gott bitten darf, rechnet Luther in der Auslegung der vierten Bitte auch ,getreue Dienstboten’. Mit solchen waren die Hauseltern von Beuggen auch gesegnet. Da war vor allem das ,Meili’ in der Küche. Sie war zwar ein wenig eine ,Raese'. Aber man sagt ja, eine Köchin, die nicht mitunter etwas scharf werde, die das Salz nur im Salzfasse und den Pfeffer im Gewürzkästchen habe, sei nicht viel wert. Unser Meili führte beide immer bei sich, direkt unter der Zunge, zu jederzeitigem Gebrauche fertig. Sie war damals, als sich der junge Hausvater verlobte, sehr gespannt darauf, wie die künftige Hausmutter aussehen werde. Mit scharfen Augen musterte sie die Braut bei ihrem ersten Besuche in Beuggen auf ihre Tauglichkeit zur Führung des Haushalts. Und sie war bald fertig mit ihrem Urteil: ,’s isch nüt mit dere, lueget numme ihri wisse Händ a, die cha nit schaffe’“, so Eugen Zeller. Die neue Hausmutter hatte in den ersten Jahren einen schweren Stand, sie wurde jedoch später eine tüchtige Hausfrau.
 
Gute Nacht
Anton Hippin führte die Schuhmacherwerkstatt. Er war ein Mensch mit heiterem Humor, sein Witz war von übersprudelnder Güte. Als während einer Predigt sein Nachbar einschlief, stiess er ihn mit dem Ellenbogen an und flüsterte ihm zu: „Man sagt einem doch anständigerweise Gute Nacht, ehe man schlafen geht.“
 
Wackelnder Opferstock
Anlässlich eines Jahresfests wurde ein betagter Opferstock hervorgeholt und aufgestellt. Eine Dame älteren Datums beschwerte sich bei einem Schulknaben: „Das isch emol en wacklige Opferstock.“ Darauf antwortete der Knabe mit einem guten Rat: „Tun Sie nur recht viel hinein, dann wird er bald fest auf den Beinen stehen.“
 
Feldlazarett in Beuggen
Zahlreiche Verwundete des Winterfeldzugs 1813/15 (Befreiungskrieg zwischen dem napoleonischen Frankreich und deren Gegner) kamen damals ins „Kaiserliche-Königliche Feldlazarett Beuggen“. Es waren unglaubliche Zustände im Schloss, zumal viele der Verwundeten unter Typhus, Pocken und anderen Seuchen litten. Die Pfleger und Wärter wollten die Krankensäle nicht mehr aufsuchen, da sie eine Ansteckung befürchteten. So wurde in manchen Türen Öffnungen gebrochen, in denen die Speisen hineingereicht wurden (noch heute kann man an der Tür zum Bagnato-Saal – heute Seminarraum – in Bodennähe eine Aussparung deutlich erkennen). Unter den Infizierten waren viele so geschwächt, dass sie nicht mehr an die Durchreiche gelangten. Sie mussten verhungern. Innerhalb von 1½ Jahren sollen 3000 österreichische und 300 deutsche Soldaten gestorben sein. Auch viele Bewohner der benachbarten Orte wurden durch die Seuchen dahingerafft.
 
1911 wurde ein Denkmal für die in Beuggen gestorbenen Soldaten errichtet.
 
Literatur
Eugen Zeller: „Aus sieben Jahrhunderten der Geschichte Beuggens 1246 –1920“, Verlag Gottlob Koezle, Wernigerode (ohne Jahreszahl).
„Schloss Beugen  – Geschichte, Gebäude, Gegenwart“, herausgegeben vom Freundeskreis Schloss Beuggen e. V. 79618 Rheinfelden, 2008.
 
Hinweis auf ein weiteres Blog über das Schloss Beuggen D
06.03.2009: Kraftwerkbau Rheinfelden: Wie Schloss Beuggen gerettet wird
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