Textatelier
BLOG vom: 03.12.2009

Schmackhafter Grünkohl: Der „Star“ unter den Kohlarten

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Als wir Anfang November 2009 eine Wanderung von Mappach nach Gupf (unweit von Kandern im Markgräflerland D) machten, kamen wir an einem grossen Grünkohlfeld vorbei. Es waren prächtige, dunkelgrüne Pflanzen. Vor dem Feld und auch zwischen den Reihen entdeckte ich blühende Kamillen (Matricaria recutita L.). Ich zupfte ein Blütenköpfchen ab, zerrieb dieses und atmete den typischen Kamillenduft ein. Die Kamille ist ja eine der beliebtesten und meistgebrauchten Heilpflanzen. Mich erstaunte nur, dass sie noch blühte. Die normale Blütezeit erstreckt sich von April bis September. Aber wahrscheinlich wuchs sie in einem vor Wind geschützten Areal heran. Das Leben in Gesellschaft zum Grünkohl (Brassica oleracea convar. acephala var. sabellica L.) tat ihr offensichtlich wohl.
 
Zurück zum Grünkohl: Auf dem Schopfheimer Wochenmarkt sah ich nur an einem einzigen Stand den Grünkohl, während an fast jedem anderen Stand Rot- oder Weisskohl angeboten wurden.
 
Das typische Wintergemüse wird bei uns leider nicht so oft angebaut, weil die daraus bereiteten Speisen nicht jedermanns Sache sind. „Den Grünkohl esse ich nicht, den sollen die Preussen verspeisen“, sagte zu mir kürzlich eine Nachbarin. Sie bevorzugt Rotkohl (Rotkabis) Weisskohl (Weisskabis), Brokkoli und Wirsing (Wirz). Der Grünkohl ist ihr ein Graus. Der Grünkohl ist besonders in Norddeutschland und Nordrhein-Westfalen populär.
 
Früher galt der Grünkohl in Baden-Württemberg als gutes Hasenfutter und in Ostdeutschland als Hühnerfutter. Die Hasen und Hühner gediehen prächtig.
 
Der Grünkohl ist ein Blattkohl. Die Blätter sind etwas grösser als die des Kohlrabis, aber genauso langstielig. Die Blattenden sind gekräuselt und haben aus der Nähe das Aussehen einer Rosette; aus der Distanz könnte man sie noch mit der Petersilie verwechseln, nur dass sie viel grösser sind. Das Blattwerk ist von hellgrüner bis dunkelgrüner Farbe.
 
Regional hat der Grünkohl folgende Bezeichnungen in Deutschland: Braunkohl, Hochkohl, Winterkohl oder Krauskohl. Die Schweizer kennen den Grünkohl unter dem Namen Federkohl.
 
Der Grünkohl wird übrigens nach dem 1. Herbstfrost bis April geerntet. Durch den Frost wird die Stärke teilweise in Zucker umgewandelt. Der Kohl wird schmackhafter und entfaltet sein volles Aroma. Es gibt jetzt auch Sorten, die schon vor dem 1. Frost geerntet werden. Im Frühjahr treiben neue Blätter. Diese können dann wie Brokkoli zubereitet werden. Passende Gewürze zu Grünkohlgerichten sind Kümmel, Rosmarin und Thymian.
 
Wie in der „Jahreszeiten-Küche Gemüse“ nachzulesen ist, ist der biologisch angebaute Grünkohl leichter verdaulich als der konventionelle. Beim Kochen des biologischen Grünkohls werden empfindliche Näschen nicht so stark durch einen penetranten Geruch malträtiert.
 
Pinkel und Grünkohl
Meine Wanderkollegen dagegen lieben den Grünkohl mit Wurst. Aber leider werden Gerichte mit dem „Star unter den Kohlarten“ nur wenig in regionalen Gaststätten angeboten. Ich kann  mich noch gut an die Kantinenkost bei Thomae erinnern. Dort zauberte der aus Norddeutschland stammende Koch Grünkohlgerichte mit Pinkel. Pinkel (plattdeutsch für Mastdarm, ostfriesisch von pink = kleiner Finger) ist eine geräucherte Grützwurst, die gerne in der Gegend um Oldenburg, Bremen und Osnabrück sowie in Ostfriesland und Friesland zu Grünkohl gegessen wird. Der Name Pinkel kommt daher, weil die fette Wurst beim Räuchern „tropft“ („pinkelt“).
 
Die Norddeutschen sind ganz verrückt nach diesem Gericht. Sie veranstalten winterliche Kohl- und Pinkeltouren zu Landgasthöfen. Dort werden dann Grünkohl mit Pinkel oder Grünkohleintöpfe mit Bauchspeck und andere Würste (z. B. Kohlwurst) verzehrt. Dazu gibt es viel zu trinken, etwa Bier und Korn.
 
Hier und da wird auch der Kohlkönig bzw. das Kohlkönigspaar gewählt. Die Gewählten müssen dann im nächsten Jahr das Grünkohlessen organisieren. Zu den in Oldenburg gekrönten prominenten Häuptern gehören übrigens Helmut Kohl, Otto Schily, Christian Wulff, Angela Merkel, Annette Schavan und Guido Westerwelle. Die Prominenten müssen sich für die Interessen der Stadt einsetzten und mindestens einmal Oldenburg besuchen.
 
Was ist in Pinkel drin?
Als wissensdurstiger Blogger wollte ich wissen, welche Bestandteile der Pinkel enthält. Ich machte mich schlau und war erstaunt über die Zutaten: Speck, Hafer- oder Gerstengrütze, Rindertalg, Schweineschmalz, Zwiebeln, Salz, Pfeffer und andere Gewürze. Es gibt zahlreiche Variationen. Die Pinkelmasse wird traditionell in verzehrbare Schweine-Dünndärme gefüllt. Aber auch essbare Kunstdärme (Kollagendärme) als Hülle sind üblich.
 
In Holland ist ein Grünkohleintopf aus Grünkohl und Kartoffeln (stamppot boerenkool) mit einer Gelderländischen Räucherwurst (Gelderse Rookworst) eine Delikatesse. In Dänemark und Südschweden wird Grünkohl mit dem traditionellen Weihnachtsschinken verspeist.
 
Später verwendete der besagte Koch bei Thomae auch einheimische Würste wie Schübling oder eine geräucherte Bauernwurst. Die Gerichte schmeckten erstaunlicherweise ganz gut.
 
Noch ein Erlebnis mit dem Koch aus dem hohen Norden: Der erwähnte Koch war übrigens derjenige, bei dem ich mich einmal wegen eines zähen Fleischstückes beschwerte, und dann entgegnete: „Das liegt nicht am Fleisch, sondern an ihren Zähnen.“
 
Grünkohl wurde von meinen Eltern nie angebaut. Sie verschmähten die norddeutsche Kost. Sie bauten lieber Rot-, Weiss-, Rosen- und Blumenkohl an.
 
Schon die Römer schätzten ihn
Der Grünkohl entstand aus einer Wildform und hatte seinen Ursprung in Griechenland. So wurde schon um 400 v. u. Z. ein krausblättriger Kohl beschrieben. Die Römer bezeichneten ihn als Sabellinischen Kohl. Die Römer schätzten den Grünkohl als gesundes Wintergemüse.
 
Bauern, die den Grünkohl anbauten, brachten es zu Ansehen und Wohlstand. Das ist heute leider nicht mehr der Fall. Jetzt wird angebaut, was verlangt wird und etwas Geld bringt. Zu Wohlstand kommen meistens nur die Supermärkte. Ich kenne einige Bauern in der Region, die selbst vermarkten (Hofladen, Markt), weil sie dann oft 50 % mehr für ihre Waren bekommen als vom Supermarkt. Und das muss man unterstützen.
 
Grünkohl-Akademie
Am 17.02.2003 wurde in Berlin die Grünkohl-Akademie-Oldenburg gegründet. Diese Vereinigung ist eine ebenso „stramm marktorientierte, handelnde, wie kompetent grundlagenforschungsmässig arbeitende Bildungs-und Forschungsinstitution mit nationaler/internationaler Ausrichtung“ (Infos dazu siehe unter Internet-Adressen).
 
Der „Star“ unter den Kohlarten
Der Grünkohl ist der „Star“ unter den Kohlarten. Er enthält die meisten Vitamine und Mineralstoffe aller Kohlarten. So ist der Grünkohl mit fast der doppelten Menge an Kalzium (210 mg/100 g) als dieselbe Menge Vollmilch (120 mg/100 g) ausgestattet. Weitere Mineralstoffe und Spurenelemente (jeweils in 100 g): Kalium (450 mg), Natrium (35 mg), Magnesium (30 mg), Phosphor (85 mg), Eisen (1,9 mg). Der Grünkohl weist ferner noch erstaunliche Mengen an Gesamtcarotinoiden (5,2 mg/100 g), Vitamin E (1,7 mg/100 g) und mehr Vitamin C (105 mg/100 g) auf als dieselbe Menge an Zitronen und Orangen. Weitere Inhaltsstoffe sind Eiweiss, Kohlenhydrate, organische Säuren, wenig Fett und reichlich Ballaststoffe. Man kann im wahrsten Sinne des Wortes sagen „Grünkohl hat es in sich“. Er ist eine gute Quelle zur Abwehrsteigerung. Wichtig ist, dass man den Grünkohl nicht „totkocht“, da sonst die hitzeempfindlichen Vitamine kaputt gehen (z. B. Vitamin C).
 
Der hohe Kaliumanteil entwässert auf natürliche Art. Man darf ihn ohne Übertreibung als Diätetikum bei Wasseransammlungen bezeichnen.
 
 
Anhang
DieZubereitung von Grünkohl
Wer Grünkohl erntet oder kauft (Grünkohlblätter sollen saftig grün und fest sein!), muss ihn innerhalb von 2‒3 Tagen verarbeiten. Am Besten lagert man ihn im Gemüsefach des Kühlschranks. Die Vorbereitung erfolgt so: Grünkohl waschen, dann die Mittelrippen flach schneiden.
 
Die Zubereitung: Dämpfen, sieden im Dampf oder sieden in Würzwasser. Überschüsse können auch gedörrt oder genauso wie Spinat eingefroren werden.
 
Grünkohl kann so zubereitet werden wie alle Kopfkohlarten und Blattgemüse (Spinat, Schnittmangold). 188 Grünkohl-Rezepte finden Sie unter www.chefkoch.de.
 
Wer Grünkohl noch nie gegessen hat, sollte unbedingt das gesunde Wintergemüse probieren. Ich bin überzeugt, er wird Ihnen schmecken.
 
Internet
http://de.wikipedia.org (Infos über Grünkohl, Grünkohlessen, Pinkel)
www.wdr.de („Jetzt ist Grünkohl-Zeit“)
www.hausgarten.net (Infos über den Anbau von Grünkohl, Infos über Schädlinge)
 
Literatur
Krebs, Susanne; Loretan, Hildegard: „Die Jahreszeiten-Küche Gemüse“, Unionsverlag Zürich 1989.
Scholz, Heinz: „Kohl – „Besen“ für Magen und Darm“, „Natürlich“ 1990-01.
Scholz, Heinz; Herzog, Felix: „Schlank und gesund mit Gemüse“, Midena Verlag, Küttigen/Aarau 1991.
 
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