Textatelier
BLOG vom: 04.02.2010

Zum Bankdaten-Streit D/CH: Das unanständige Anderssein

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
Auf den Schweizer Banken liegt viel Steuerfluchtgeld aus dem Ausland herum; es schmilzt oder vermehrt sich, je nach dem Zustand und Verlauf der Finanzmärkte. Das heisst, viele Leute bringen ihr meistens bereits als Einkommen besteuertes Kapital bei den CH-Banken oder ähnlichen Einrichtungen in Steuerparadiesen in Sicherheit, auf dass es sich hoffentlich vermehre statt wegen progressiver Steuersätze in der eigenen Finanzhölle schmore, bis nur noch Asche zurückbleibt.
 
Die Schweiz ist ein Tiefsteuerland, und in diesem besteht an sich keine grosse Veranlassung zu Steuerhinterziehung und -betrug. Die Abgaben sind erträglich, keinesfalls ruinös. Und ein lebhafter Steuerwettbewerb zwischen Kantonen und Gemeinden sorgt zusammen mit einem haushälterischen Umgang mit den Geldern dafür, dass dies so bleiben wird.
 
Andere Länder, andere Sitten: Viele Staaten sind am Rande des Bankrotts, müssen innerhalb von Staatenklüngeln wie der EU mit ihrem Griechenland-Debakel noch für die Misswirtschaft in eingebundenen Partnerstaaten geradestehen, sich an den räuberischen US-Kriegen beteiligen, um Strafen zu entgehen, und demzufolge ständig Geld drucken und zusammenkratzen, nötigenfalls auch durch kriminelle Datenbeschaffungen mit Hilfe von Fachleuten, die Zugriff auf die Bankdaten haben, diese stehlen und dafür Millionen einstreichen, wenn der Staat kauft. Wenn der Staat kauft – und Deutschland hat damit Erfahrung –, ist das ein Ansporn zu weiteren kriminellen Taten für Datendiebe.
 
Wenn durch Miss- und Kriegswirtschaften die Steuern immer weiter erhöht werden müssen, wird dadurch die Steuerflucht zusätzlich angespornt. Der Unsinn der Globalisierung, deren hässliche Fratze sich immer deutlicher abzeichnet, hat neben viel anderem Elend auch dazu geführt, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich vergrössert. Umso stossender ist es, wenn sich Reiche ihren pekuniären Bürgerpflichten entziehen können – schon wieder auf Kosten der Armen.
 
Daraus ergeben sich unhaltbare Zustände: Die ehrlichen Steuerzahler bluten noch intensiver, die Steuerflüchtlinge aber vermehren ihr Vermögen. Wäre wenigstens in diesem Sektor das ursachenbezogene Denken und Handeln üblich, würde man darnach trachten, Zustände zu schaffen, die kein Fluchtgeld provozieren, auch durch einfachere Steuersysteme. In Deutschland gibt es etwa 36 Steuerarten und Zehntausende von Steuerverordnungen.
 
Aber der Herzenswunsch nach erträglichen Steuerverhältnissen versinkt im Grau der weltfremden Theorie. Die neoliberale Globalisierung treibt immer mehr Staaten in den Ruin, wobei die bankrotte USA ihrem Billionendefizit als das mit Abstand abschreckendste Beispiel dienen kann. Ihre Finanzverhältnisse sind dermassen desolat, dass sie nicht einmal die Bedingungen für einen EU-Zutritt erfüllen könnte. Das Schuldendebakel wird wegen des ständigen Anstiegs der Militärausgaben (intensiviert auch unter Barack Obama, Friedensnobelpreisträger und Garant für einen zusätzlichen Dynamitverbrauch) laufend vergrössert. Die US-Vasallen wie Deutschland wurden faktisch gezwungen, sich personell und finanziell an den sich ständig ausweitenden Kriegszügen von Bush Junior und jetzt eben Obama zu beteiligen. Wenn die Staaten noch etwas Geld für soziale Aufgaben und die Bildung aufbringen wollen, müssen sie selber Raubzüge veranstalten, denn aus dem Volk ist nicht mehr genügend herauszupressen. Lässt man dem Volk keinen finanziellen Spielraum mehr, kann es auch nichts kaufen. Dabei ist die ganze globale Wirtschaft auf Umsatz ausgerichtet – mehr noch: auf Wachstum, auf dauerhaftes Wachstum (was sowieso nicht funktionieren kann). Sonst stellt sich eine Abwärtsspirale ein, und alles bricht zusammen. Man kann sich leicht vorstellen, was auf uns demnächst zukommen wird.
 
Schwarze Euros aus Deutschland
Das ist das Umfeld, in dessen Zentrum die Steuerflucht steht. Viel Schwarzgeld kam in die Schweiz. Allein aus Deutschland sollen es angeblich rund 200 Milliarden Euro sein – wer kann das schon genau wissen? Die Schweiz ist nicht nur ein Hort des Gelds, sondern auch der Stabilität und der Sicherheit, und darauf gründet sich der Erfolg der hiesigen Banken als Vermögensverwalter.
 
Für Ausländer besteht die Möglichkeit, Geld in der Schweiz anzulegen und es in ihrem Heimatland korrekt zu versteuern, Bank(kunden)geheimnis hin oder her. Die Verpflichtung der Banken zur Diskretion ist einfach ein wichtiger Bestandteil des Schutzes der Privatsphäre, der bis vor dem Globalisierungsirrsinn allgemein Wertschätzung hatte. Sogar Deutschland anerkennt dieses in etwas milderer Form als Gewohnheitsrecht. Die Banken haben, hier wie dort, die Vermögensinteressen ihrer Kunden zu schützen, wozu die Beratung in Sachen Steuerhinterziehung gewiss nicht gehört, wohl aber eine solche in Sachen Steueroptimierung. In Deutschland sind viele Bücher zur Thematik „Steueroasen“ oder „Steuerparadiese“ auf dem Markt, optimierungshalber. Auch die Industrie erliegt den Anreizen zur „Steuerverkürzung“ manchmal aus einem legitimen Überlebenstrieb heraus, denn sie investiert mit Vorliebe dort, wo die Abgaben klein, erträglich sind. Daraus ergibt sich (wie innerhalb der Schweiz unter Kantonen) ein wohltuender Steuerwettstreit zwischen den Staaten, wobei auch hier Stabilitätsfragen mitspielen, Aspekte der langfristigen Sicherheit. Legale Möglichkeiten zur Steueroptimierung dürfen ausgenützt werden, wobei das wegen komplexer Steuersysteme (wie in Deutschland) allerdings eine anspruchsvolle Aufgabe und oft nicht ohne Fachberatung möglich ist.
 
Beim gegenwärtig grassierenden Steuerstreit Deutschland/Schweiz stellt sich die Frage, ob die CH-Banken aktiv zur Steuerhinterziehung geraten haben, was ich mir nicht vorstellen kann; Ausnahmen mögen die Regel bestätigen. Sicher aber ist, dass viel Geld, das in der Schweiz angelegt ist, am Fiskus der Anleger-Heimatländer vorbeigeschleust worden ist. Doch kann man mit guten Gründen die Auffassung vertreten, das Verhältnis des jeweiligen Bankkunden zu den Steuerbehörden seines Herkunftslands gehe die Bank überhaupt nichts an. Ihre Aufgabe ist keine kriminalistische, sondern sie besteht darin, das ihr anvertraute Geld nach den Wünschen des Anlegers zu verwalten. Wenn ich am Bankschalter 100 Franken auf mein momentan praktisch ertragsloses Sparbüchlein einzahlen möchte, würde ich mich dagegen verwehren, dass die Bank zuerst einmal recherchiert, ob ich das Geld gestohlen oder rechtmässig zusammengespart habe.
 
Dadurch wäre eigentlich die Frage beantwortet, wie sich eine Bank verhalten soll. Selbst wenn sie vermutet, dass ankommendes Kapital Schwarzgeld oder aus kriminellen Quellen stammt, würde sie dies im Prinzip nichts angehen, denn sie ist ja keine überreligiöse Institution zur Überwachung der Moral ihrer Kunden. Doch kann sie sich um des Geschäfts willen nicht alles leisten; bei unethischem Verhalten, das heisst bei Beteiligung an Diebstählen zum eigenen Vorteil (Hehlerei), würde ihr Ruf leiden. Siehe Potentatenvermögen wie jenes des bestechlichen haitianischen US-Vasallen Jean-Claude Duvalier und seines Clans. Dasselbe gilt im Prinzip auch für jene Staaten, denen auf kriminelle Art beschaffte Bankdaten angeboten werden, die jene Steuereinkünfte endlich locker machen würden, welche ihnen bisher vorenthalten wurden.
 
Optimierungen
Wenn ein Staat wie Deutschland aus Gründen der Geldbeschaffung mit Dieben zusammenarbeiten sollte, würde das bedeuten, dass auch Banken zum Zwecke der Gewinnvermehrung mit Betrügern geschäften dürften, dass also der Freiwilderei Tür und Tor geöffnet wären. Der Zweck (Geldmacherei) heiligte dann alle Mittel: Entweder man verhält sich korrekt oder aber es ist alles erlaubt. Und das kann es ja wohl nicht sein, wie der letzte Redensarten-Modeschrei lautet.
 
Banken werden mehr und mehr gezwungen sein, offensichtliche Schwarzgelder zurückzuweisen – und zwar sollte das in allen Steuerparadiesen, auch den britischen und amerikanischen, gelten. Am Rande: In den US-Bundesstaaten gibt es erhebliche Steuerunterschiede, die ausgenützt werden können; besonders attraktiv sind Delaware, Florida, Montana, Nevada, Texas, Utah und Wyoming. Aber so weit geht die viel gepriesene globale Einebnung denn doch nicht. Das Problem liegt allein beim illegalen Verhalten auf allen Seiten, der Rest ist freie Marktwirtschaft, in der Gewinnoptimierungen mit Applaus belohnt werden.
 
Zum Steuerwettbewerb kommt der bereits angesprochene Standortwettbewerb – im industriellen und privaten Bereich. Viele Deutsche, die in die Schweiz übersiedeln, dürften in einem gewissen Sinne ebenfalls Steuerflüchtlinge sein – ich habe Verständnis für sie. Schliesslich ist ja die gesamte neoliberale Wirtschaft auf den Kampf um Gewinnzunahmen ausgerichtet, und weil Staatsgrenzen mehr und mehr niedergewalzt werden, verbessern sich die Möglichkeiten für ein globales Raubrittertum ständig. Die Staaten kommen in die Klemme, müssen ihre Überwachungsanstrengungen dauernd ausbauen und den Daten- bzw. Persönlichkeitsschutz abschaffen: Überwachungsstaat. Auf dem internationalen Bankensektor bedeutet dies einen automatischen Datenaustausch, dieses Lieblingskind der US-Weltherren. Die schnüffelfreudige US-Regierung lässt das internationale Finanzdatennetz SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) bereits seit 2001 überwachen. Aus alledem wurde der OECD-Standard zur Herstellung von Transparenz und zum Austausch von Auskünften entwickelt, der allen Staaten aufgezwungen wird, wollen sie nicht auf eine Graue Liste kommen und bestraft werden. In der EU ist der Austausch von steuerlichen Informationen zwischen den Finanzbehörden bereits fest verankert. Deutschland forderte seit Langem, der Zugang zu Bankinformationen sei unabhängig von einem konkreten Verdacht zu gewähren, die letzten Barrieren des Persönlichkeitsschutzes niederreissend.
 
Das Vernichtungspotenzial in der Vermassung
Die Rechts- und die Datenschutzverluderungen sind die zentralen Ereignisse, unter dem das CD-Bankdaten-Schnäppchen aus der Schweiz einzuordnen ist. Jede Gelegenheit wird wahrgenommen, um Länder und Branchen, welche den Persönlichkeitsschutz hoch bewerten und damit zweifellos ihre Geschäfte machen, in die Knie zu zwingen. Die Schweiz als einer der sicheren Häfen ist einmal mehr am Einknicken, selbst einige bürgerliche Politiker geben ihren Widerstand auf, weil das Anderssein in der Einheitswelt unanständig ist.
 
Der in der Schweiz lebende deutsche Werber Alexander Segert brachte es in einem Interview mit Welt online auf den Punkt: „Ich denke, die Schweizer haben zu wenig Selbstbewusstsein. Wenn sie als Staat und als Marke überleben wollen, sollten sie die Stärken ihres Landes viel offensiver verteidigen, die direkte Demokratie, Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und Volkssouveränität.“
 
José Ortega y Gasset seinerseits schrieb unter dem zukunftsweisenden Titel „Der Aufstand der Massen“, die Globalisierungszustände vorweg nehmend: „Die Masse vernichtet alles, was anders, was ausgezeichnet, persönlich, eigenbegabt und erlesen ist. Wer nicht ,wie alle’ ist, wer nicht,wie alle’ denkt, läuft Gefahr, ausgeschaltet zu werden.“ Die Sache mit der Erlesenheit und anderen Adverben bezog sich nicht auf die Schweiz, sondern ist als Verallgemeinerung zu verstehen.
 
Tragisch ist, dass zusammen mit dem Bankgeheimnis auch der Schutz der Intimsphäre allmählich flächendeckend fällt. So erobert die Globalisierung Bastion um Bastion. Es ist eine künstliche Welt, die sich laut Ortega y Gasset nicht selber erhalten kann: „Sie bedarf eines Künstlers.“
 
An Plattmacher-Künstlern, die das Künstliche auf einen Einheitsplafond herunterbrechen und ständig reparieren müssen, besteht kein Mangel. Dazu noch einmal der visionäre spanische Philosoph (1883‒1955) Ortega y Gasset im Kapitel „Primitivismus und Geschichte“: „Ein wenig Gehenlassen, und wenn Sie um sich schauen, ist alles verflogen.“
 
Literatur zum Thema
Hess, Walter: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7.
 
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