Textatelier
BLOG vom: 28.05.2010

Auf Speichinger-Suche in Emmingen-Liptingen D gelandet

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
Eine der grossen Sehenswürdigkeiten, die man einfach erlebt haben muss, ist die Gemeinde Emmingen-Liptingen D nicht. Nähert man sich dem Dorf von Süden, auf der Strasse 491 von Engen oder durch verträumte Mischwälder im hügeligen Gebiet von Aach, Eigeltingen, Eckartsbrunn und vorbei am Wasserburgerhof, wie das in unserem Fall geschah, erreicht man auf knapp 800 m ü. M. eine Hochebene, die wegen leichter Aufwallungen den Namen allerdings nur beschränkt verdient. Von einer Baumreihe begleitet, führt die Strasse an einem gelben Rapsfeld und einem abgeernteten, braunen Getreideacker vorbei, hinter denen ein Bauernhof in einer leichten Geländevertiefung zwischen einem Obstbaumhain in Deckung gegangen ist. Auf der Weiterreise sieht man das Dorf Emmingen bald vor sich. Friedlich ruht es in einer leichten Mulde und klettert zum Hohenfirst hinauf, der es bloss um etwa 45 m überragt. Mit roten Ziegeln oder Sonnenkollektoren bedeckte Satteldächer beschützen einen Haufen von Wohnbauten zwischen Obstbäumen, die bei unserem Besuch von 21.05.2010 gerade in Blüte standen. Der Treppengiebel der Kirche ist das Wahrzeichen des Dorfs, ohne die totale Dominanz zu markieren. Die Proportionen stimmen.
 
Die Geschichte dieser Besiedelung reicht mindestens ins Jahr 820 zurück, als Emmingen unter der Bezeichnung „Villa que dictur Eminga“ (Eminga genanntes Landhaus/Dorf) in einer Urkunde des Klosters St. Gallen auftauchte; oft wird bereits der alte Name mit 2 M geschrieben: Emmingen. Später kam das Gebiet nacheinander in den Besitz der Klöster St. Georgen und Salem. Ab dem 13. Jahrhundert erschienen die Herren von Emmingen als Lehensleute der Grafen von Zollern; 1249 wurde ein Kunrad von Emmingen erwähnt.
 
Auf familiären Spuren
Natürlich hatten wir einen besonderen Grund, an diesen Ort, ehemaliger Bestandteil der Herrschaft Hohenhewen, zu reisen. Und dieser war ebenfalls geschichtlicher Natur. 2008 hatte mir meine Cousine Rita Lorenzetti geschrieben, dass die Eltern unserer Grossmutter („Grosi“), Josefine Fässler-Speichinger, aus Emmingen stammten. Und so schien es mir sinnvoll zu sein, gemeinsam zu unserem deutschen Wurzelstrang zu reisen. Wir taten dies in Begleitung von Ritas Ehemann Primo, der durch seine nie erlahmende Aufmerksamkeit mich von Irrwegen abhielt.
 
Zum Programm vom 21.05.2010 gehörte selbstverständlich ein Besuch im renovierten Dorfmuseum Emmingen in einem über 200 Jahre alten Fachwerkbau an der ansteigenden Hauptstrasse mitten im Dorf. Dieses Haus mit den blutrot eingefärbten Balkenriegeln ist die Zierde des Orts, abgesehen vom grossen eisernen Dorfbrunnen.
 
Ich hatte uns telefonisch bei Veronika Lörch angemeldet. Wir wurden nachmittags um 15 Uhr von Horst Lörch, dem Museumsbetreuer, und dem geschichtskundigen Josef Renner (89) wie alte Bekannte freundlich empfangen. Herr Renner kam vom Venushof herbei; seine Familie hatte das Anwesen 1891 für 25 000 Mark erworben. Wir erhielten eine Fülle von Informationen aus erster Hand. Rita Lorenzetti wird über die Speichinger-Herkunft aufgrund ihres Wissens und unserer Nachforschungen einen Bericht aus familiärer Sicht schreiben. Ich beschränke mich hier auf den Hinweis, dass es sich wirklich lohnt, dieses liebevoll restaurierte Museum mit dem zusammengetragenen örtlichen Kulturgut zu besuchen. Unvergesslich ist für mich u. a. ein Nachthemd aus grauem, grobem, handgewobenem, „rüschenem“ Lein, das die Haut bei jeder Körperbewegung wunderbar erfrischend massiert würde, also Hautunreinheiten beseitigte.
 
Anmelden kann man sich bei der Familie Lörch, Schulstrasse 29, D-78576 Emmingen, Telefon 0049 7465 751; ich mache hier aus Überzeugung etwas Reklame.
 
Im Gasthof „Adler“
Ebenso wohl wie im Dorfmuseum haben wir uns in der Mühlbachstube des Gasthofs „Adler“ beim Mittagessen gefühlt. Diese gastliche Stätte ist eine der 3 Wirtschaften in Emmingen. Früher gab es hier 8 Wirtschaften, wie uns der hilfsbereite Willi Gnirss, eine Zufallsbekanntschaft, in der Nähe des Feuerwehrlokals erzählte, dessen Urgrossvater Speichinger hiess. Neben dem „Adler“ sind es das Restaurant „Frieden“ und der Gasthof „Gabele“.
 
Das Traditionshaus „Adler“, im schwäbisch-alemannischen Baustil im Unterdorf erbaut, wird von Thomas Bär als Inhaber geführt; seit 1901 ist die Liegenschaft beim trägen Dorfbach im Familienbesitz. Bis 1976 war der Gaststätte eine Metzgerei angegliedert, und wir hatten das bestimmte Gefühl, dass dieser Umstand bis heute nachwirke: Die Fleischportionen waren riesig, auch abseits des 350 g schweren Holzfällersteaks vom Schweinehals, an das wir uns selbstverständlich nicht heranwagten. Ich begnügte mich mit einem schwäbischen Zwiebelrostbraten mit Spätzle und Salat (15.20 Euro), um der lokalen Küche Genüge zu tun, bzw. einen Eindruck von der lokalen Esskultur zu erhalten, der in jeder Beziehung zufriedenstellend war. Die 2 ausserordentlich schmackhaften, perfekt gewürzten und gebratenen Rumpsteaks (Rinderlende) waren derart gross und dick, dass ich nur eines schaffte. Ich bat die nette, dienstbereite und einfühlsame Kellnerin um einen Robidog, um das Fleisch im Hinblick auf die allfällige Anschaffung eines Hunds mitnehmen zu können. Primo belehrte mich dahin gehend, dass das von mir erbetene Gefäss richtigerweise Doggybag heisse. Die Serviererin nahm das Thema gut gelaunt auf und erzählte von einem Vater, der seine Fleischresten ebenfalls mitnehmen wollte und ebenfalls eine Hundetasche bestellte, worauf sein Sohn freudestrahlend ausrief: „Oh, kaufen wir einen Hund ...?“
 
Rita und Primo genossen ein „Badisches Leckerli“ (Schweineländchen mit Champignons) bzw. ein flambiertes Rinderfilet in jenen Portionen, wie sie in Deutschland eben gang und gäbe sind. Dazu musste selbstredend ein Trollinger her. Dies ist ein kräftiger Rotwein aus rotblauen, spät gelesenen Weintrauben, in dem Primo sofort eine Spur von Restsüsse ortete, die bei diesem kräftigsten aller deutschen Rotweine fast unvermeidlich ist. Dieser Wein wird fast ausschliesslich in Baden-Württemberg angebaut, abgesehen von seiner Urheimat Tirol – aus dem Tirolinger entstand der Trollinger. Der Schwabe fühle sich bei einem Glas dieses Weins wie im 7. Himmel, heisst es, und wir hatten durchaus Verständnis dafür.
 
Von der Kirche und von Kriegen
In Kirchen fühle ich mich dem erwähnten Himmel Nummer 7 regelmässig weniger nah, unter anderem weil das Deckengewölbe im Wege ist. Dennoch statteten wir der Kirche Emmingen neben Rosskastanienbäumen einen Besuch ab, unter anderem weil darin Gedenktafeln zu Ehren der Gefallenen während des 1. und 2. Weltkriegs angebracht sind. Und wiederum trifft man mehrmals auf den Namen Speichinger:
 
Musketier Konrad Speichinger, Res. Inf-Reg. 249,2 Comp., gest. 18.03.1915, 20 ½ Jahre alt.
-- Musketier Anton Speichinger, Res. Inf-Reg. 211,4 Comp. 12.09.1916 (?, Jahreszahl unleserlich).
-- Unteroffizier Hans Speichinger, 05.11.1920‒31-01.1945 in Italien.
-- Unteroffizier Josef Speichinger, 23.01.1926‒23.04.1945 bei Ehingen-Donau.
 
Ein Musketier war ein mit einer Muskete bewaffneter Soldat; das war eine Handfeuerwaffe grossen Kalibers, die mit einer Lunte gezündet wurde.
 
In dieser südöstlichen Ecke des Schwabenlands wird an solchen Orten des Gedenkens, wo man den Namen von gefallenen, jungen Menschen in den besten Jahren begegnet, die Geschichte von Kriegen in Erinnerung gerufen, ohne dass man allzu tief in die Vergangenheit eintauchen muss. Neben den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts waren es der Deutsch-Französische Krieg (1870/71) bzw. der Französisch-Deutsche Krieg (der Angreifer wird nach englischem Sprachgebrauch zuerst genannt): Frankreich hatte dem Königreich Preussen den Krieg erklärt, und die süddeutschen Staaten stellten sich auf die Seite von Preussen (des Norddeutschen Bunds). An die 61 Opfer aus Liptingen erinnert ein grosser Gedenkstein bei der Kirche Emmingen.
 
Vom 24. bis 26.03.1799 tobte zu all dem Elend noch die „Schlacht bei Liptingen“, bei der sich Franzosen und Österreicher gegenüberstanden, die Köpfe einschlugen, wobei rund 1000 Soldaten das Leben verloren haben. Die Österreicher gingen als Sieger hervor, was die Liptinger als treue Habsburgervasallen zwar freute, doch liessen die Einquartierungen, Requirierungen von Lebensmitteln, Plünderungen usf. ein Chaos sondergleichen und wohl auch Armut zurück. Vom 03. bis 05.05.1800 waren die Franzosen wiederum ganz in der Nähe aufgetaucht, und es kam zu einer erneuten Schlacht im benachbarten Engen, Stockach und Messkirch, wobei diesmal die Franzosen siegten. Aus den österreichischen Untertanen zu Liptingen wurden in der Folge württembergische Staatsangehörige (Quelle: Gedenkschrift „Schlacht bei Liptingen 1799“ von Hans-Joachim Schuster, Herausgeber, 1999).
 
Selbstverständlich zehrt auch die katholische Kirche Emmingen von ihrer Geschichte. Sie ist im neuromanischen Stil 1841/42 erbaut. Der Turm mit den Treppengiebeln ist von der Vorgängerkirche aus dem 16. Jahrhundert erhalten geblieben. Im Inneren waren bei unserer Besichtigung noch die Elemente des Mai-Brauchtums anzutreffen, der Maibaum mit den langen Bändern. Der kunsthistorisch zweifellos bedeutende barocke Hochaltar von 1688 und die Seitenaltäre, wie man sie mit geringen Abwandlungen häufig sieht, standen ursprünglich in der Frauenklosterkirche Amtenhausen, bis sie abgebrochen wurde. Die Pfarrei Silvester Emmingen ab Egg, benannt nach dem heilig gesprochenen Papst (314 Silvester I. bis 31.12.335, einem Silvester), existierte schon 1275. Der Zusatz „ab Egg“ findet seine Rechtfertigung im Namen der dahinter liegenden Bergkette, der „Eck“.
 
Zudem steht auf einem Bergsporn beim eingemeindeten Ort Liptingen die Kirchenburg Emmingen, auch Emmingen ab Egggenannt, eine Burgruine. Wir waren vor der Mittagspause noch schnell in den Ortsteil Liptingen gefahren, um im Rathaus die Ortsverwalterin Ulrike Leiber zu treffen, die sich in Einwohnergeschichte auch von Emmingen auskennt und uns mit profunden Auskünften und Dokumenten weiterhalf. Besonders die Ortschronik „Emmingen ab Egg“ (in 2. Auflage 1971 erschienen) ist sehr ergiebig. Wie exakt auf unseren Fall zugeschnitten schreibt Hans Stärk im Vorwort dieses blau umhüllten Buchs: „So eine Dorfgeschichte liegt nie an der Oberfläche zutage. Dort tragen die Menschen und Dinge ihr Alltagsgesicht. Aber wer sich die Zeit nimmt, nach dem heimlichen Runzeln zu schauen, ein wenig zu blättern und zu lauschen, wird nicht enttäuscht. Da steigen vergangene Zeiten herauf mit Menschen von Fleisch und Blut, die hofften und liebten und kämpften wie wir. Und verwundert sehen wir plötzlich wie im Spiegel ein Stück vom Gesicht unserer eigenen Zeit und vom eigenen Ich.“
 
Die Deutschen
Wir haben bestätigt erhalten, dass sich ein Strang unserer familiären Wurzeln nach Deutschland windet; der Rest ist tief in der Schweiz verankert. Über dieses robuste Fundament der Abstammung freue ich mich selbstverständlich. Auch auf den deutschen Anteil bin ich stolz, habe ich doch das deutsche Volk, dessen Angehörige wir in der Schweiz einst pauschalierend „Schwaben“ nannten, immer als ausgesprochen tüchtig und bildungsbeflissen empfunden, das oft zu übermenschlichen Leistungen fähig war und sich nicht unterkriegen lässt – mit guten Gründen. Oder stimmt das heutzutage etwa nicht mehr?
 
„Heute haben die Deutschen ihr Selbstbewusstsein verloren“, stellte Josef Renner in der Stube des Dorfmuseums unter handbehauenen Fichtenbalken bei einem Glas Allgäuer Alpenwasser fest. Er hat vor rund 70 Jahren im Gebiet Ukraine am Russland-Feldzug teilnehmen müssen, den der vom Machbarkeitswahn besessene Adolf Hitler durchstieren wollte und niemals gewinnen konnte. Die Winter waren grausam; der Nachschub klappte nicht. Herr Renner war 4 ½ Jahre im Krieg und hat diesen offensichtlich trotz der ständigen Partisanenangriffen unbeschadet überlebt. Die Kälte im unbeheizten Museum machte ihm nichts aus.
 
Ich empfand diesen sympathischen, ja charismatischen Mann mit den lebhaften blauen Augen und der straffen, hellen, rötlichen, gesund durchbluteten Haut, dem ausgeprägten Kinn, der eine Wolljacke und einen dunkelgrauen Filzhut trug als Inbegriff eines Schwaben, der jedem Sturm trotzen kann, sich biegt und wieder gerade aufrichtet. Er ist von zurückhaltender Art, wortsparsam und ernst, wie es die schwäbische Art ist.
 
Und im Schwabenland mit seiner bäuerlichen Kultur befanden wir uns ja; es ist geografisch jenes Gebiet, in dem schwäbische Dialekte gesprochen werden, wobei die Grenzen selbstverständlich verwischt sind. Es umfasst Teile von (Baden-)Württemberg und Bayern.
 
Sein langes Leben hat unserem Historiker Renner in den vergangenen 6 Jahrzehnten vor Augen geführt, wie sich die Deutschen in Selbstkasteiung übten, sich unter die USA unterwerfen mussten, die, als der 2. Weltkrieg von den Deutschen ohnehin bereits verloren war, noch die schönsten deutschen Städte zertrümmerten, Stützpunkte aufbauten und sich ihre unerwünschte Anwesenheit bezahlen liessen. Politisch ist Deutschland noch heute am US-Gängelband – mit der Wegbereiterin und Bundeskanzlerin Angela Merkel an vorderster Stelle. Zudem hat Deutschland zu einem guten Teil das EU- und das damit verbundene Euro-Debakel zu finanzieren; über die gemeinsame Währung ist dieses potente Land auch an Griechenland gekettet. Deutschland wird an einer angemessenen wirtschaftlichen Erstarkung behindert, muss von seinem Volk hohe Steuern abverlangen, und viele bestens ausgebildete Menschen laufen davon. Herr Renner sagte das alles nicht so deutlich, doch las ich aus seinem leidenden Gesichtsausdruck, dass er die andauernde Schwächung seines stolzen Landes nur schwer erträgt. Er kann die Entwicklung nicht mehr verstehen. Ich auch nicht.
 
Bei den Pestkreuzen
Gegen Abend fuhren wir gegen Tuttlingen, bewunderten die sanft geschwungene, weit ausholende Landschaft, in der auch schon Eisenerz abgebaut wurde, mit den wunderlich geformten Vulkanbergen des Hegau. Überall beleben Schlote erloschener Vulkane die Landschaft, so etwa der besonders markante Hohentwiel bei Singen oder dem Hohenhewen, der Hausberg von Engen. Die Sicht reicht bis zu den Hohenstoffeln, den Berner Alpen, zum Gotthardmassiv, Rätikon, zu den Lechtaler Bergen usw.
 
Die 4 Pestkreuze auf einer leichten Anhöhe (783 m) nach dem Dorfausgang boten im Gegenlicht der Abendsonne, die hinter dunklen, sich auflösenden Wolken hervorschaute, ein fabelhaftes und schauerliches Bild. Die an allen 4 Zugängen zu Emmingen anzutreffenden Kreuz-Quartette, die von einer sogenannten Heiligen Säule begleitet sind, erinnern an die Zeit des Dreissigjährigen Kriegs, als die Schweden wüteten und die Pest als noch gefürchteter Feind fast die Hälfte der hier lebenden Menschen und auch Vieh dahinraffte; das war 1627 bis 1629. Mit der Aufschrift „Wanderer flieh! Hier haust die Pest!“ wurde an allen Ortszugängen versucht, ankommende Fremde zurückzuschrecken, zugleich aber auch die Erlösung von der Seuche erbitten.
 
Es handelt sich um hölzerne Kleeblattkreuze (Lazaruskreuze), deren Enden in ein dreiblättriges Kleeblatt auslaufen und die auch in der Heraldik oft dargestellt sind. 3 Kreuze stehen in einer Reihe, eines, mit 2 Querbalken, befindet sich exentrisch im Vordergrund. Je nach Blickwinkel ergeben sich immer wieder andere, eindrückliche Kreuzbalken-Kombinationen.
 
Auf den Spuren von Johann Wolfgang von Goethes 3. Reise in die Schweiz (um 1797) fuhren wir Schaffhausen entgegen, vollgepackt mit Eindrücken und neuen Erkenntnissen ... sie alle sind zollfrei. Sonst hätte es teuer werden können.
 
Die Donau-Quelle
Tags darauf zog in meiner Bibliothek das 1908 in Breslau erschienene „Handbuch der Geographie“ von Ernst von Seydlitz-Kurzbach den Blick auf sich. Ich schlug unter „Donau“ (siehe vorangegangenes Blog) nach und las: ... „Die Donau, 2860 km lang, als deren Quellfluss die bei Spaichingen in Württemberg etwa 750 m hoch entspringende Elta gelten muss, da Brigach und Brege allmählich zum Rhein absinken und in Trockenzeiten der Donau kein Wasser mehr zuführen, ist der hervorragendste Strom Österreich-Ungarns.“
 
Spaichingen ... da haben wir den Namen ja wieder. Der Ort liegt rund 10 km nördlich von Tuttlingen. Müssten wir vielleicht dort weiterforschen? Haben unsere Vorfahren mütterlicherseits vielleicht sogar die Donau erfunden ...
 
Anhang
Hölderlins Donau-Symbolik
Wo Friedrich Hölderlin (1770‒1843), ein Vertreter des schwäbischen Klassizismus mit romantischem Einschlag, die Donau-Quelle fand, in der Umgebung von Donaueschingen (beim Zusammenfluss von Brigach und Breg) oder in Spaichingen, ist schwer zu sagen. In seinem Gedicht, das dem modernen Leser schwülstig erscheinen mag, legte er sich geografisch nicht fest; denn darum geht es nicht. Er zeigt darin im Wesentlichen auf, wie die Donau, die 10 Länder berührt und Germania, das Land der Germanen, mit dem Orient verbindet, von wo das „Wort aus Osten“ sozusagen flussaufwärts kam und das Abendland erleuchtete, wobei Griechenland das Land seiner grössten Sehnsucht war. Heute bestünde weniger Grund dazu.
 
Ich gebe dieses Meisterwerk eines des grössten Lyrikers deutscher Zunge, der in eine geistige Umnachtung verfiel und dem Kampf um Licht und Finsternis kämpfte, hier unter Bezugnahme aufs vorangegangene Blog vom 27.05.2010 („Abgetauchtes Flusswasser: Wenn die Donau zum Rhein wird“) wieder. Es sind heute schwer verständliche, himmelwärts verklingende Töne, welche sich vom reinen Naturerleben abheben und sich diskursiv, das heisst in logischer Folgerichtigkeit, in andere Sphären aufschwingen, eine Loslösung vom Aorgischen, wie Hölderlin das Gegenprinzip des Organischen nannte.
 
Man kann von der Quelle ausgehen, wenn man sie kennt. Wer sich gegen die Fliessrichtung des Stroms bewegt, kommt zur Quelle. Und genau dieser Wunsch überwältigt uns alle gelegentlich. 
Am Quell der Donau
Denn, wie wenn hoch von der herrlichgestimmten, der Orgel
Im heiligen Saal,
Reinquillend aus den unerschöpflichen Röhren,
Das Vorspiel, weckend, des Morgens beginnt
Und weitumher, von Halle zu Halle,
Der erfrischende nun, der melodische Strom rinnt,
Bis in den kalten Schatten das Haus
Von Begeisterungen erfüllt,
Nun aber erwacht ist, nun, aufsteigend ihr,
Der Sonne des Fests, antwortet
Der Chor der Gemeinde; so kam
Das Wort aus Osten zu uns,
Und an Parnassos Felsen und am Kithäron hör' ich
O Asia, das Echo von dir und es bricht sich
Am Kapitol und jählings herab von den Alpen

Kommt eine Fremdlingin sie
Zu uns, die Erweckerin,
Die menschenbildende Stimme.
Da fasst' ein Staunen die Seele
Der Getroffenen all und Nacht
War über den Augen der Besten.
Denn vieles vermag
Und die Flut und den Fels und Feuersgewalt auch
Bezwinget mit Kunst der Mensch
Und achtet, der Hochgesinnte, das Schwert
Nicht, aber es steht
Vor Göttlichem der Starke niedergeschlagen,

Und gleichet dem Wild fast; das,
Von süsser Jugend getrieben,
Schweift rastlos über die Berg'
Und fühlet die eigene Kraft
In der Mittagshitze. Wenn aber
Herabgeführt, in spielenden Lüften,
Das heilige Licht, und mit dem kühleren Strahl
Der freudige Geist kommt zu
Der seligen Erde, dann erliegt es, ungewohnt
Des Schönsten und schlummert wachenden Schlaf,
Noch ehe Gestirn naht. So auch wir. Denn manchen erlosch
Das Augenlicht schon vor den göttlichgesendeten Gaben,

Den freundlichen, die aus Ionien uns,
Auch aus Arabia kamen, und froh ward
Der teuern Lehr' und auch der holden Gesänge
Die Seele jener Entschlafenen nie,
Doch einige wachten. Und sie wandelten oft
Zufrieden unter euch, ihr Bürger schöner Städte,
Beim Kampfspiel, wo sonst unsichtbar der Heros
Geheim bei Dichtern sass, die Ringer schaut und lächelnd
Pries, der gepriesene, die müssigernsten Kinder.
Ein unaufhörlich Lieben wars und ists.
Und wohlgeschieden, aber darum denken
Wir aneinander doch, ihr Fröhlichen am Isthmos,
Und am Cephyss und am Taygetos,
Auch eurer denken wir, ihr Tale des Kaukasos,
So alt ihr seid, ihr Paradiese dort
Und deiner Patriarchen und deiner Propheten,

O Asia, deiner Starken, o Mutter!
Die furchtlos vor den Zeichen der Welt,
Und den Himmel auf Schultern und alles Schicksal,
Taglang auf Bergen gewurzelt,
Zuerst es verstanden,
Allein zu reden
Zu Gott. Die ruhn nun. Aber wenn ihr
Und dies ist zu sagen,
Ihr Alten all, nicht sagtet, woher?
Wir nennen dich, heiliggenötiget, nennen,
Natur! dich wir, und neu, wie dem Bad entsteigt
Dir alles Göttlichgeborne.

Zwar gehn wir fast, wie die Waisen;
Wohl ists, wie sonst, nur jene Pflege nicht wieder;
Doch Jünglinge, der Kindheit gedenk,
Im Hause sind auch diese nicht fremde.
Sie leben dreifach, eben wie auch
Die ersten Söhne des Himmels.
Und nicht umsonst ward uns
In die Seele die Treue gegeben.
Nicht uns, auch Eures bewahrt sie,
Und bei den Heiligtümern, den Waffen des Worts
Die scheidend ihr den Ungeschickteren uns
Ihr Schicksalssöhne, zurückgelassen

Ihr guten Geister, da seid ihr auch,
Oftmals, wenn einen dann die heilige Wolk umschwebt,
Da staunen wir und wissens nicht zu deuten.
Ihr aber würzt mit Nektar uns den Othem
Und dann frohlocken wir oft oder es befällt uns
Ein Sinnen, wenn ihr aber einen zu sehr liebt
Er ruht nicht, bis er euer einer geworden.
Darum, ihr Gütigen! umgebet mich leicht,
Damit ich bleiben möge, denn noch ist manches zu singen,
Jetzt aber endiget, seligweinend,
Wie eine Sage der Liebe,
Mir der Gesang, und so auch ist er
Mir, mit Erröten, Erblassen,
Von Anfang her gegangen. Doch Alles geht so.
 
 
Hinweis auf weitere Blogs über Reisen in Deutschland aus Schweizer Sicht
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst