Textatelier
BLOG vom: 18.07.2010

Die Entdeckung Amerikas und ihre beiden Wahrheiten

Autorin: Lislott Pfaff, Schriftstellerin, Liestal BL/CH
 
Gemäss neueren historischen Studien behandelte der berühmt-berüchtigte, aus der Schweiz stammende Westernpionier General Johann August Sutter (1803–1880) die Indianer in seinem annektierten Herrschaftsgebiet im Sacramento Valley genauso rücksichtslos, wie es die übrigen weissen Siedler Nordamerikas taten. Und das ist es, was mich im Zusammenhang mit der Entdeckung und Eroberung Amerikas am Meisten stört: die Überheblichkeit der Weissen gegenüber den „Heiden, Wilden, Barbaren“. Dies sei auf den „christlichen Herrschaftsanspruch über den gesamten Erdkreis und die darin lebenden Heidenvölker“ zurückzuführen, schreibt der Historiker Urs Bitterli im Vorwort seines Buchs „Die Entdeckung Amerikas“. Wie kamen eigentlich die Europäer zu einer solchen Anmassung – übrigens der gleichen Anmassung, welche die christliche Kirche auch heute noch gegenüber dem Tier zeigt? Es ist das hierarchische Denken, das ich bei dieser egoistischen Haltung so unerträglich finde. Ich habe nicht einmal unbedingt Mitleid mit den „edlen Wilden“ – ach nein, edel waren die Menschen nie und werden es nie sein, seien sie nun gelber, roter, schwarzer oder weisser Hautfarbe. Aber wenn ein Papst die „Bekehrung“ der heidnischen Völker zur „einzig wahren Religion“ fordert, so zeugt das von einer unglaublichen Verblendung. Diese Verblendung wirkte noch nach in der Überzeugung des amerikanischen Präsidenten George W. Bush, alle seine Kriege würden von „God’s own country“ und mit von Gott verbrieftem Recht geführt.
 
Urs Bitterli schreibt in seinem Vorwort, die brutalen Angriffe der Weissen gegenüber den Indianern hätten zu deren Vertreibung oder Ausrottung geführt. Tatsächlich wurden von den Ureinwohnern Nord- und Südamerikas zirka 90 % entweder durch Feuerwaffen oder durch die von den Weissen eingeschleppten Krankheiten getötet. Wenn das nicht ein Genozid ist; ich wüsste sonst nicht, was denn ein Genozid sein soll. Wir beschwören immer noch den Genozid der Türken (Osmanen) an den Armeniern. Weshalb soll man also den Genozid der Weissen an den Indianern totschweigen? Weil er so weit zurückliegt und ja doch nicht mehr rückgängig zu machen ist? Der US-Historiker Albert Hurtado sagt: „Es ist nicht die Aufgabe des Historikers, gegenüber Pionieren höflich zu sein. (…) Unsere Aufgabe besteht darin, die Vergangenheit und ihre allzu menschlichen Repräsentanten mit all ihren Fehlern darzustellen, damit wir in der Gegenwart menschlicher leben können.“ Dieser Historiker lässt es also nicht bei der Auffassung bewenden, dass es im Lauf der Geschichte immer so gewesen sei: Ein unter anderem technisch unterlegenes Volk zieht halt gegenüber einem technisch überlegenen den Kürzeren ‒ das sei eben das Schicksal der Menschheit. Nein, aus der Geschichte sollten die Menschen ihre Lehren ziehen.
 
Worin bestand denn die Überlegenheit der Weissen? Vor allem in ihrer ausgeklügelten Waffentechnik und in einem gut entwickelten wirtschaftlichen Nützlichkeitsdenken. Von einer kulturell-geistigen Überlegenheit kann hingegen keine Rede sein. Eine echte kulturelle Überlegenheit der Weissen hätte dazu geführt, dass sie mit den Eingeborenen friedlich zusammengelebt, ihre Kultur und ihre religiösen Kulte geschützt hätten, statt sie zu einem Glauben „bekehren“ zu wollen, welcher der Mentalität der Einheimischen in keiner Weise entsprach. Haben die verschiedenen US-Regierungen bisher aus der Epoche der Kolonisation ihre Lehren gezogen? Dazu ein paar Stichworte: Vietnamkrieg, Krieg in Afghanistan, Krieg im Irak … Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen.
 
Bis heute – und schon lange vor der Epoche der beiden letzten Präsidenten George W. Bush und Barack Obama – haben die USA ihre geopolitischen Strategien zur Beherrschung des Nahen und Mittleren Ostens nicht aufgegeben. Ziel ist heute der uneingeschränkte Zugang zu den grossen Öl- und Gasvorkommen der Welt. Wie zu Beginn der Kolonisation werden von den Amerikanern auch heute immer nur rein ökonomische Interessen verfolgt. Selbst wenn bei der Entdeckung Amerikas grosse Pionierleistungen vollbracht wurden, so kann ich diese Leistungen nicht bewundern, ohne mir bewusst zu sein, dass sie auf dem Buckel der Schwächeren, der Ureinwohner, zustande kamen. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit: Niemand hat das Recht, andere Menschen aus ihrem angestammten Lebensraum zu verdrängen.
 
Und was mich bei der Erschliessung des amerikanischen Westens ganz besonders stört, ist das Vorgehen dieser „Helden und Pioniere“ gegenüber den einheimischen Tieren. Sutter zum Beispiel soll die einheimischen Wapiti-Herden (nordamerikanische Rothirsche) laut Richard White von der Universität Washington buchstäblich ausgerottet haben, damit er die aus diesen Tieren gewonnenen Produkte (Häute und Talg) vermarkten und mit dem Erlös seine nie versiegenden Schulden bezahlen konnte. Um den Indianern die Lebensgrundlage zu entziehen, haben die weissen Pioniere bekanntlich die riesigen Bisonherden mit ursprünglich Millionen von Tieren auf einige tausend Exemplare dezimiert, die heute in Nationalparks noch gnädig existieren dürfen. Ich kann dies nicht ohne Empörung zur Kenntnis nehmen, obwohl oder gerade weil es nicht mehr gutzumachen ist. Ein weiteres düsteres Kapitel sind der Pelztierfang und der Pelzhandel zwischen Indianern und Weissen. Letztere nützten die bestehenden Handelsbeziehungen zwischen verschiedenen Indianerstämmen schamlos aus, so dass gewisse Tierarten gänzlich ausgerottet wurden. Ein grausames Vorgehen unter Missachtung jeglicher Rechte der wildlebenden Tiere.
 
Es gibt in der geschichtlichen Betrachtung nicht nur eine einzige Wahrheit. Man sollte immer auch die Kehrseite der Medaille sehen, und die wäre in diesem Fall ein Buch über die Entdeckung und Eroberung Amerikas, das von einem damals lebenden Indianer geschrieben wurde.
 
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