Textatelier
BLOG vom: 22.08.2010

Im Schwebezustand: Der August stimmt mich heiter

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Brombeeren und Brennnesseln
Der August drängt zum Wandern. Meine Wanderwege sind kurz: rings um den Garten und zu den Brombeeren im „Wimbledon Common”, mit einer Plastikdose ausgerüstet. Wer sammelt heute noch diese Beeren? Wer sonst geniesst noch diese Wunderbeeren? Vögel und auch Wespen. Ich kenne die Stelle, wo die saftigsten und süssesten Beeren an den dornigen Ranken prangen.
 
Diesmal kämpfe ich mich durch ein Dickicht ins Beerenparadies vor. Die Brennnesseln sind hoch aufgeschossen. Meine Hände sind gegen ihre Brennhaare abgehärtet. Die Brennnesseln lassen sich leicht zur Seite biegen, wenn man sanft von unten an den Stängeln empor streicht. So lassen sich sogar die Brennnesseln streicheln. Fraglich, ob sich struppige Menschen auf diese Art besänftigen lassen.
 
Sanft angefasst lassen sich die reifen, weichhäutigen Beeren am besten pflücken. Vom Blütenboden gelöst, sollte der Beerenansatz gräulich sein. Im Nu ist meine Dose voll. In Joghurt gestreut, geniessen wir am Abend das von der Natur gespendete Dessert.
 
Kiesel
Auf dem Pferdepfad sammle ich nach der Beerenlese keine Pferdeäpfel, dafür schön bunt gerundete Kieselsteine. Wie wunderbar sie nach dem Regen auf den Gartenpfaden und rund um die Birke verstreut glänzen! Und huschen erst noch Sonnenstrahlen darüber, weichen trübe Gedanken.
 
Der August: Scheitel des Sommers
Die Natur hat sich voll und ganz in allen Grüntönen in unserem Londoner Vorstadtgarten entfaltet. Frühmorgens hat der Tau einen glitzernden Schleier über Blüten, Kräuter, Sträucher und Gras geworfen. Die Vögel zwitschern ihr Morgenkonzert. Ich fülle die flache Schale mit frischem Wasser nach. Sie werden in einer Stunde darin plätschern: Nicht alle auf einmal, sondern gesittet einer um den andern. Sie drängeln nicht wie die Menschen um jeden Vorteil.
 
Unser Rebstock hat sich innert 10 Jahren breit gemacht. Eine Seite gehört den Vögeln, die andere uns, und sie ist mit einem Netz abgedeckt. Dieses Jahr habe ich den Rebstock regelmässig gewässert. Das hat gewirkt. Die Trauben sind aufgedunsen und bereits dunkelblau geworden. Gemächlich treibt der Sommer Tag um Tag dem Nachsommer zu. Tag um Tag erhöht sich der Zuckergehalt der Trauben. Einige Nachbarn erkundigten sich, wie es den Trauben gehe. „Besser als je – und mehr“, antworte ich heiter. Auch sie kriegen ihren Teil. Sie schmecken viel besser als die verpackten Importtrauben in den Supermärkten.
*
So geniesse ich den Schwebezustand zwischen Sommer und Herbst. Willentlich verschliesse ich mich zeitweilig gegen das Elend in dieser Welt. Das ist egoistisch, gebe ich zu. Ich dämme die Nachrichtenflut aus der Presse und anderen Medien ein. Ich will nichts vom Blödsinn der Politiker wissen noch erfahren, welche horrende Boni die Grossmogule – Krise hin oder her – weiterhin einheimsen und wie die armen Leute gerupft werden. Der „Merchandising“-Kult des Papsts im Hinblick auf seinen Besuch in Grossbritannien ist mir schnuppe. Stattdessen beschäftige ich mich mit heiteren Gedanken im August.
 
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