Textatelier
BLOG vom: 07.09.2010

SBB Unterwerk Rupperswil: Ganze 17,7 Hertz für Bahnstrom

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Die Frequenz im SBB-Stromumformernetz im Wald zwischen Rohr/Aarau und Rupperswil stieg am Samstag, 04.09.2010, erstaunlich an, denn die SBB hatten die Eingeborenen aus der näheren Umgebung zu einem „Tag der offenen Tür“ eingeladen. Die Besucher kamen in grösseren Mengen und liessen sich rudelweise durch die Anlage führen, die es darauf abgesehen hat, die Normalnetzfrequenz von 50 Hertz auf den langsamer schwingenden Bahnstrom herunterzufahren, weil die Bahnen eben, was die Schwingungszahl von Wellen pro Sekunde anbelangt, ein Sonderzüglein fahren – 16 2/3 Schwingungen statt der landläufigen 50, die uns aus unseren Steckdosen und anderen Anschlüssen anstrahlen. An Pfupf büssen die Eisenbahnen deshalb nichts ein, denn das Übertragungsnetz hat eine Spannung von 132 kV, und darauf kommt es schliesslich an. Eine Lokomotive braucht zum Anfahren 7 Megawatt, kein Wunder, dass die Bahnen, dem Energiesparen zugetan, am liebsten nirgends anhalten würden. Sie sind auf dem besten Weg dazu.
 
Die eigenwillige Bahnfrequenz rührt davon her, dass die ersten elektrischen Lokomotiven vor über 100 Jahren für die niedere Frequenz eingerichtet waren; das Netz musste darauf ausgerichtet werden. Die Technik schaffte höhere Frequenzen noch nicht. Und es ist ähnlich wie dann, wenn man einmal falsch eingespurt hat: Man findet aus der Verirrung manchmal ein Leben lang nicht mehr heraus. Die Eisenbahnen wuchsen um mindestens 2 Dimensionen, und es war einfach nicht mehr möglich, alle Motoren und Stromnetze auf Normalstrom umzustellen. Deshalb fährt man halt mit der niedrigen Frequenz weiter, auch wenn man es einfacher haben könnte – der zweifelhafte Profit aller Anpasser.
 
Der individuelle Hertz-Schlag hat gewiss auch dazu geführt, dass die SBB einen Grossteil (wohl 95 %) ihrer Elektrizität in 6 eigenen Werken (Etzelwerk, Amsteg, Ritom, Massaboden, Vernayaz und Chatelard-Barberine) selber herstellen. ProSpecieRara, die alte Sorten schützt, hat ihre Finger hier nicht im Spiel. Auch im nahen Aarekraftwerk Rupperswil-Auenstein haben die SBB eine eigene Bahnstrom-Erzeugungsanlage; das KW ist eines von 6 Beteiligungen an Gemeinschaftskraftwerken. Doch hängt ja im Elektrizitätswesen alles zusammen, und je grösser das Zusammenhängende ist, desto besser sind die Regulationsmechanismen.
 
Aber es ist natürlich auch beim Bahnstrom so, dass tägliche und saisonale Schwankungen zu verkraften sind, was dazu führt, dass man gelegentlich Normalstrom zukaufen und in Bahnstrom umwandeln muss, oder – im Verkaufsfalle infolge Überschüssen – eben umgekehrt. 6 Frequenzumformerwerke (FU) wurden mit dieser Aufgabe betraut. Das Werk im Rohrerwald (auf Boden der Stadt Aarau/Rohr), angrenzend an die Gemeinde Rupperswil und an der Grenze zum Rupperswilerwald, ist ein riesiges, eingehagtes Zweckbauwerk mit grossen Sicherheitsglasfenstern und ohne höhere architektonische Ansprüche an unvergängliche Kunst.
 
Der erste Anlageteil wurde als Unterwerk 1925 in Betrieb genommen, als eine Schiffbarmachung des Rheins und der Aare bis nach Aarau geplant waren. Das Wort Schiffbarmachung ist ungefähr so scheusslich wie die Folgen, die sich daraus ergeben hätten. Zum Glück wurde aus diesem Ansinnen nichts, ansonsten bei Rupperswil ein Kohlekraftwerk mit Umladehafen gebaut worden wäre. Dann möchte ich nicht hier, im nahen Biberstein, wohnen.
 
Nur das relativ harmlose Unterwerk im Wald nördlich der Strasse Rohr Rupperswil ist aus dieser Vision herausgewachsen. 1965 wurde es ausgebaut: Inbetriebnahme der beiden Umformer. Diese Umformergruppen sind das Herzstück (man ist fast von Hertzstück zu sprechen geneigt), und sie haben je eine Leistung von je 40 Megavoltampere; man müsste wahrscheinlich schon ein Elektroingenieur sein, um solche Dimensionen ermessen zu können. Die Regulation geschieht in Sekundenschnelle; ein Wasserkraftwerk wäre viel träger, ohne dessen Leistungsbereitschaft irgendwie heruntermachen zu wollen. Der Wirkungsgrad beim Umformen beträgt 92 % und kann selbst mit elektronischen Umformergruppen nicht wesentlich verbessert werden. Unser Exkursionsleiter Ernst Gygax sagte dazu ohne langes Nachdenken: „Unsere Vorgänger haben auch etwas studiert.“ Das haben sie wirklich. Die Abwärme heizt das Unterwerk, ansonsten sie via Steinerkanal der Aare zugeführt wird, damit auch Fische ihr warmes Plätzchen haben.
 
Zwischen 1969 und 1995 war das Werk Rupperswil die zentrale Leitstelle für die Steuerung der gesamten Bahnstrom-Erzeugungsanlagen der Schweiz. Inzwischen hat es etwas an Bedeutung eingebüsst, denn das FU kann von der zentralen Leitstelle Zollikofen im Berner Mittelland aus ferngesteuert werden. Aber dennoch sind 8 Personen in Rupperswil beschäftigt, die sich in allen Elektrizitätslagen zu helfen wissen, steuernd und pflegend eingreifen (Leitung: Erhard Windisch). Da ist alles klinisch sauber, was auch auf die Aussenlagen zutrifft.
 
Die Aussenanlagen des Werks stehen auf der alten Römerstrasse, die durch den Rupperswiler und Rohrer Wald führte und die ich in einem speziellen Blog zu ergründen versucht habe. Beides – FU und Strasse – deuten auf die hervorragende Verkehrslage hin. Von der Strasse ist nur noch ein kleiner Überrest zu sehen (zur Erinnerung: das römische Weltreich ist zerfallen); der grosse Römerstrassen-Teil ist unter den Exkrementen der Jahrhunderte begraben.
 
Wo also die Römer zu Fuss und zu Ross zirkulierten und ihr Riesenreich zusammenzuhalten suchten, hat der Strom der Zeit eine andere Grundlage für schnellere Zirkulationen hingestellt: eine Umwandlungsstätte für ausbalancierten Bahnstrom.
 
Ein Teil des Walds in der Nähe verwandelte sich wieder in Auen zurück. Und die Schönheit der Fussgängerei wird gerade wiederentdeckt. Bis sich diese Renaissance noch etwas ausgeweitet haben wird, braucht es den Bahnstrom schon noch. Die technischen Mitarbeiter im Rupperswilerwald, die ihren interessierten Gästen Brot, Wurst und Getränk offerierten, dürfen beruhigt sein und mir meine Weitsicht entschuldigen.
 
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