Textatelier
BLOG vom: 17.07.2011

Botanisches am Weg (1): Wundkraut, keine süssen Mädchen

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Wenn ich in einer Gruppe wandere, bleibe ich meistens zurück und fotografiere die Landschaft oder allerlei Besonderheiten. Als Pflanzen- bzw. Kräuterfreund sehe ich mir natürlich auch die Flora am Wegesrand an. Dabei gibt es immer wieder Neues oder Altbekanntes zu sehen. Was mir in den letzten 2 Wanderungen besonders auffiel, werde ich im Folgenden beschreiben.
 
Auf dem Weg von der Stollenbacherhütte (1092 m ü. M.) zur Erlenbacherhütte (1125 m ü. M., 5,5 km vom Feldberg entfernt) und einem Abstecher in das St. Wilhelmer Tal am 06.07.2011 entdeckte ich diese Besonderheiten bzw. Schönheiten aus dem Pflanzenreich.
 
Schmalblättriges Weidenröschen
Das Schmalblättrige Weidenröschen (Epilobium angustifolium) ist mit den rosa bis rötlichen Blüten eine Augenweide. Die zu den Nachtkerzengewächsen gehörende Pflanze sehe ich oft an Waldrändern unweit der Wanderwege. Es gibt aber auch das Kleinblütige Weidenröschen (Epilobium parviflorum), das als Heilpflanze wirksamer ist als die vorgenannte Art.
 
In Pflanzenbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts wird auf die blutstillende Wirkung verschiedener Arten hingewiesen. Erst in neuerer Zeit wissen wir, dass die Pflanze bei Prostata-, Blasen- und Nierenbeschwerden wirkt.
 
Übrigens entdeckte der Botaniker, Naturkundler und Theologe Christian Konrad Sprengel (1750−1816) am Schmalblättrigen Weidenröschen 1790 die Fremdbestäubung. Die Samen der Pflanze werden durch Ameisen verschleppt. Ich wunderte mich immer, warum die Pflanzen oft gemeinsam mit vielen am selben Ort heranwachsen. Das kommt daher, weil der Wurzelstock kriecht und Tochtersprossen bildet (Dietmar Aichele in seinem Werk „Was blüht denn da?“).
 
Wilder Thymian (Quendel)
An Wegrändern, Wegrainen und Böschungen sehen wir immer wieder viele der Pflänzchen des Wilden Thymians (Quendel = Thymus serpyllum) kissenförmig aus der Erde hervorspriessen. Sie lieben wohl die Gemeinschaft mit derselben Art. Daran kann ich nicht vorbeigehen, ohne ein Pflänzchen abzuzupfen, mit den Fingern zu zerreiben und am Brei zu riechen. Wer die Pflanze nicht abreissen möchte, kann auch mit den Fingern darüber streichen und daran schnuppern. Die Pflanze riecht unvergleichlich intensiv.
 
Es gibt übrigens den Feldthymian (Thymus pulegioides), den Frühblühenden Thymian (Thymus praecox) und den Gartenthymian (Thymus vulgaris).
 
Das „Sonnenkind der Berge“, wie Bruno Vonarburg den Quendel nannte, und auch der Gartenthymian enthalten ätherisches Öl mit den Hauptkomponenten Thymol und Cavacrol, zudem noch Rosmarinsäure, Chlorogen- und Kaffeesäure, Flavone, Triterpene. Die Stoffe wirken schleimlösend, desinfizierend und krampflösend.
 
Der Quendel ist Bestandteil von Hustensäften und Hustenteemischungen. Quendel wird auch bei Magen- und Darmstörungen eingesetzt.
 
Baldrian beruhigt und lockt Katzen an
Der Baldrian (Valeriana officinalis) hat eine endständige Doldenrispe mit fleischroten bis sehr hell weissrötlichen Blüten. Die Pflanze ist leicht zu erkennen, zumal sie hochwüchsig ist und eingeschnitten-gezähnte Blätter hat. Die Blüten duften zwar, aber der Duft steigt nicht jedem in die Nase, weil dieser unterschiedlich wahrgenommen wird. Den kräftigsten Geruch hat die Wurzel, die auch arzneilich verwendet wird.
 
Der Baldrian ist eine alte Heilpflanze. Die alten Griechen und Römer schätzten ihn als schmerzstillendes, krampflösendes und den Harnfluss steigerndes Mittel. Erst im 18. Jahrhundert verordnete der englische Arzt, Apotheker, Botaniker und Schriftsteller John Hill (1716−1778) den Baldrian als Beruhigungsmittel. In Pestzeiten war Baldrian ein Abwehrmittel.
 
Die Wurzel enthält Valepotriate, Valerensäure, Valeranon und ätherische Öle.
 
Innerliche Anwendung (Tee, Tinktur, Dragees): Nervosität, krampfartige Menstruationsbeschwerden, Reizbarkeit, nervöse Kopfschmerzen, Angst- und Erregungsstörungen, Einschlafstörungen, nervös bedingte krampfartige Schmerzen im Magen-Darm-Bereich.
 
Der Duft der Blüten und Wurzel lockt Katzen an. Dies testete ich einmal bei unserem damaligen Hauskater. Ich träufelte Baldriantropfen auf eine Decke. Dann kam der Stubenkater herangesaust, roch daran und wälzte sich darin. Ich musste ihm dann die parfümierte Decke mit Nachdruck wegnehmen. Sonst hätte er sich wohl stundenlang im Lieblingsduft der Katzen gewälzt.
 
Die folgende Geschichte ist tatsächlich passiert: Kommt ein Feind der Katzen in eine südbadische Apotheke und verlangt nach Baldrian. Der Apotheker wusste, dass der Kunde keine Katzen mag und sagte: „Sie wissen doch sicherlich, Baldrian vertreibt keine Katzen, er zieht sie an.“ ‒ „Das weiss ich“, entgegnete der Kunde grinsend und fuhr fort: „Die Baldriantropfen sind nicht für mich, sondern für den Garten des Nachbarn.“ Durch diesen Trick blieb von nun an der eigene Garten katzenfrei. Der Nachbar jedoch musste sich das eine oder andere Katzenkonzert anhören.
 
Nichts mit „süssen Mädchen“ zu tun
Der Name Mädesüss (Flipendula ulmaria) hat nichts mit süssen Mädchen (Mädels) zu tun. Da die Pflanze mit ihrem süssen Duft die Heu-Mahd durchwürzt, kam sie wahrscheinlich zu ihrem Namen. Es gibt aber noch eine andere Erklärung: Früher wurde der Met mit Mädesüss gewürzt, und man brachte den Namen mit „Met-süss“ in Zusammenhang.
 
Die weitgehend vergessene Heilpflanze wirkt fiebersenkend, harn- und schweisstreibend und entzündungshemmend. Mädesüss wirkt auch konservierend. Das bemerkten bereits die alten Germanen, die ihren Met mit dieser Pflanze haltbar machten. Die Germanen könnten mit dieser Pflanze auch Kopfweh und Magenübersäuerung nach den Saufgelagen behandelt haben.
 
Übrigens wurde der Name Aspirin 1899 geboren, als man den Buchstaben „A“ – er stand für „Acetyl“  (nach Umsetzung der Salicylsäure mit Essigsäure = Acetylierung) – und die Silbe „spir“, nach der chemisch mit der Salicylsäure identischen Spirsäure aus dem Mädesüss, kombinierte.
 
Als Inhaltsstoffe wurden folgende nachgewiesen: Salicylsäure, Salicylaldehyd, Salicylsäuremethylester, Gerbstoffe, Flavonglykoside, Kieselsäure und Vanillin.
 
Innerliche Anwendung: Als Tee bei Erkältungskrankheiten, Gelenkerkrankungen, Nerven- und Muskelentzündungen, Nieren- und Blasenentzündung.
 
Äusserliche Anwendung: Der Tee wird verwendet zur Erweichung von erhärteten Hautarealen (Schwielen, Hühneraugen). Bäder sind bei Bindegewebeschwäche und frisch zerquetschte Blätter bei Schnittwunden von Vorteil.
 
Nebenwirkungen: Nicht zu hoch dosieren, sonst droht Übelkeit und Erbrechen. Manche Menschen reagieren auf die Salicylsäureverbindungen allergisch!
 
Wundkraut mit depressiver Wirkung
Auf unseren Wanderungen sehen wir von Juni an bis in den Oktober hinein immer wieder das Johanniskraut (Hypericum perforatum). Dieses wird in der Volksmedizin als Wundkraut gepriesen. Es entfaltet auch eine antidepressive Wirkung. Verantwortlich für diesen Effekt ist der rote, lichtwirksame Farbstoff Hypericin. Diesen Stoff sieht man, wenn man Blütenblätter und Blätter gegen das Licht hält. Die weissen Pünktchen, die auch zu sehen sind, stellen Öldrüsen dar.
 
Im Volk wurde das Johanniskraut auch Hartheu genannt. Die harten Stängel eignen sich nämlich nicht fürs Viehfutter.
 
Johanniskraut ist Bestandteil von Kräuterbüscheln. Wenn man das Kraut an Johanni (24. Juni) sammelt, so hat es eine besondere Heilkraft. Im Feldberggebiet und Wiesental steckte man getrocknetes Johanniskraut in Kopfkissen, um Krankheiten abzuwehren. Johanniskräuter wurden unters Dach oder an die Fenster gesteckt. Dadurch sollten Haus und Hof vor Blitzschlag geschützt werden.
 
Innerliche Anwendung: Tee, Tropfen, Pflanzensaft, Dragees, Ampullen bei psychovegetativen Störungen, depressiven Störungen, Angst, nervöser Unruhe.
 
Hinweis: Bei depressiven Störungen wird eine höhere Dosierung empfohlen.
 
Äusserliche Anwendung: Johanniskrautöl bei Wunden, Quetschungen, Geschwüre, rheumatische Beschwerden, Neuralgien.
 
Duftende Waldhyazinthe
Im St. Wilhelmer Tal entdeckte ich eine Knabenkrautart und die Waldhyazinthe, die beide Orchideenarten sind.
 
Die Zweiblättrige Waldhyazinthe (Platanghera bifolia) hat einen langgezogenen Blütensporn, stark duftende weisse Blüten und einen langen Stängel, der nur 2 grosse, ovale Blätter trägt.
 
Laut Dietmar Aichele sollen die Blüten besonders bei Nacht stark duften. Dadurch werden Nachtschmetterlinge angelockt, die dann mit ihrem langen Rüssel den Nektar aufsaugen können.
 
Bitteres für den Magen
Während unserer Wanderung am 12.07.2011 auf dem Planetenweg auf dem Weissenstein (oberhalb von Solothurn im Schweizer Faltenjura), sah ich mir die Wegeränder genau an. Dort wuchsen die Stengellose Kratzdistel (Cirsium acaule), viele Margeriten (Orakelblume, Weisse Wucherblume = Leucanthemum vulgare), der Dornige Hauhechel (Ononi spinosa) und Gelbe Enzian (Gentiana lutea).
 
Leider war die Blütezeit des Gelben Enzians schon vorbei. Der Gelbe Enzian blüht erst vom 10. Jahr an und wird bis 60 Jahre alt. Die Pflanze weist eine ganze Reihe Bittermittel auf. Noch in einer Verdünnung von 1:20 000 schmeckt man das Bittere heraus.
 
Früher war im Schwarzwald die Herstellung des Enzianschnapses weit verbreitet. Auch heute wird noch vereinzelt diese Spezialität gebrannt. Der Enzianschnaps ist als „Verdauungshilfe“ nach schweren Mahlzeiten beliebt.
 
Die Pflanze ist übrigens geschützt. Am besten besorgt man sich Enzianwurzeln in der Apotheke.
 
Die Wurzel enthält Bitterstoffe, Saccharide, Enziansäure und Pektin.
 
Der Tee oder eine Tinktur wird gegeben bei Magenschwäche mit mangelhafter Magensäure, Appetitmangel, Blähungen, Krampf- und Erschlaffungszustände von Magen und Darm; zur Schleimlösung bei Atemweginfekten.
 
Gegen Gicht und Harnsäure
Nach längerer Zeit entdeckte ich wieder den Dornigen Hauhechel, der sich in der Natur rar macht. Gedüngte Wiesen mag er nicht. Er ist besonders auf Stickstoffsalze empfindlich.
 
Dioskurides und Plinius schrieben der Wurzel eine harntreibende Wirkung zu. Sie wurde deshalb bei Blasen- und Nierensteinleiden verordnet. Wer die Wurzelabkochung nicht mag, dem sei das „Rezept der Alten“, eine Wein- oder Honigabkochung, wie Kräuterpfarrer Johann Künzle (1857−1945) empfahl, wärmstens ans Herz zu legen.
 
Als Inhaltsstoffe wurden diese nachgewiesen: Ätherisches Öl, Pflanzenfarbstoffe, Triterpene, Sterole, Saponine.
 
Innerliche Anwendung (Tee, Tinktur): Harnsäureüberschuss, Gicht, Rheuma, Harngriess, zur Vorbeugung von Harnsteinen, Nierenbecken- und Blasenkatarrh (zur Förderung der Harnausscheidung).
 
Gegenanzeigen: Wasseransammlungen (Ödeme) infolge eingeschränkter Herz- und Nierentätigkeit.
 
Bei meiner Wanderung zur Erlenbacherhütte entdeckte ich noch 2 weitere Besonderheiten: Pflanzengallen, die durch Gallwespen und Milben verursacht wurden. Im 2. Teil werde ich darauf näher eingehen.
 
Internet
 
Literatur
Aichele, Dietmar: „Was blüht denn da?“ (Wildwachsende Blütenpflanzen Mitteleuropas), Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 1991
Scholz, Heinz; Hiepe Frank: „Arnika und Frauenwohl“, Ipa Verlag, Vaihingen 2002.
 
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