Textatelier
BLOG vom: 05.08.2011

Botanisches (4): Wundheilende Zierpflanze, Zichorienkaffee

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Bei unserer Wanderung am 28.07.2011 rund um Mappach (Ortsteil von Efringen-Kirchen, Landkreis Lörrach D) entdeckte ich wieder einige interessante Kräuter und einen besonderen Pilz. Leider führten unsere Wege hauptsächlich an Maisfeldern vorbei. Links und rechts der Feldwege schränkten über mannshohe Maispflanzen unsere Sicht auf den Blauen (1185 m ü. M.) und andere Schwarzwaldberge ein. Eine Erholung fürs Auge waren die Weizenfelder, die sich zwischen den überdimensionierten Maisfeldern ausbreiteten. Die Weizenernte war im Gange. Riesige Traktoren und Erntemaschinen waren im Einsatz, mähten alles nieder; das Stroh wurde zu Paketen gepresst. Auf einem anderen bereits leer geräumten Feld war der Miststreuer, der an einem grossen Traktor hing, in Aktion. Überraschenderweise traten sonst die üblichen Wohlgerüche des Mistes nicht in unsere Nasen. Der Mist war nämlich geruchlos, was auf die richtige Lagerung mit Durchlüftung hinweist.
 
Etwas fiel mir bei dieser Wanderung auf: An den Zweigen der Walnussbäume waren viele Walnüsse (Baumnüsse) zu sehen. Es wird also ein gutes Nussjahr. Als ich das meiner Gemüsefrau, die jeden Freitag zu uns kommt, erzählte, bestätigte sie mir die Beobachtung und sagte: „Gibt es ein gutes Nussjahr, dann werden viele Jungs geboren.“ Das sei eine Tatsache, wie sie glaubhaft betonte. Sie bemerkte noch, wer also Jungs möchte, der sollte sich „ranhalten“.
 
Am Rande eines gut befestigten Wegs entdeckte ich auf einem schmalen Grasstreifen entlang eines Maisfelds einige Pflanzen des Klatschmohns und der Wegwarte. Diese Pflanzen sind zum Glück in Zeiten der Intensiv-Landwirtschaft noch nicht ganz verschwunden. Wie waren doch früher die Wiesen, Schuttplätze und die Ränder der Felder mit Klatschmohn und Kornblumen übersät! Manchmal tauchten die genannten Pflanzen sogar in den Kornfeldern auf. Heute sieht man eintönige Felder. Auch konnte ich auf den Ähren des Weizens kein Mutterkorn mehr entdecken. Früher war das anders. Heute wird wohl das Saatgut schon gebeizt, um das Wachstum des Pilzes zu verhindern.
 
Schon seit der Steinzeit bekannt
Der Klatschmohn (Papaver rhoeas), der nährstoffreiche, lehmige Böden liebt, ist schon seit der Steinzeit als Unkraut (Beikraut) bekannt. Der Milchsaft enthält ein leicht giftiges Alkaloid.
 
In meiner Kindheit bereitete es uns immer eine Freude, die noch nicht entfaltete Blüten in den Kapseln zu inspizierten. Denn wir waren erstaunt, dass die zukünftige Blüte zusammengefaltet in ihrer Kapsel war. Vorsichtig entfalteten wir die jungfräulichen Blütenblätter, die noch arg zerknittert waren.
 
Nicht weit weg vom Klatschmohn waren etwa auf einem 40 × 40 cm grossen Areal etwa 25 der hellblauen Blüten der Wegwarte zu sehen. Ein schöner Anblick. Die Wegwarte ist auch eine Heilpflanze, wie wir sehen werden.
 
Liefert nicht nur Zichorienkaffee …
„Die Wegwarte wartet auf den, der ihn in seine Hausapotheke einheimsen will, auf jedem Wege“, schrieb einst Sebastian Kneipp in seinem Buch „Meine Wasserkur“. Er empfahl den Tee bei verdorbenen Magen und Auflagen von Blüten oder vom Kraut bei Magendrücken und schmerzhaften Entzündungen. Über 2 Jahrhunderte vorher waren ein Wegwartenblumenwasser bei Augenbeschwerden und der „Conservenzzucker“ mit Wegwartenblüten zur Herz-, Leber- und Magenstärkung die „Renner“.
 
Die Wegwarte (Cichorium intybus) erfuhr während der Kontinentalsperre durch Napoleon I. als Kaffee-Ersatz eine grosse Bedeutung. Da der beliebte Kaffee nicht mehr zur Verfügung stand, suchten einige findige Köpfe nach einem Ersatz. Diesen fanden sie in den Wegwartenwurzeln (Zichorienwurzeln). Durch Röstung entstand der Zichorienkaffee, der natürlich ohne Koffein war und bei weitem nicht an den Geschmack des Kaffees herankam. Aber in Notzeiten – auch während der beiden Weltkriege – wurde er reichlich getrunken. Meine Mutter fabrizierte sogar nach dem Zweiten Weltkrieg Kaffeeersatz, indem sie Eicheln und Getreide röstete und dann mahlte.
 
Die Wegwarte hat zum Teil ganz lustige Namen, z. B. Hansl am Weg (Österreich), Weglueger (Schweiz), Sonnenbraut, Sonnenkraut, Sonnenwirbel (die „Sonnen“-Namen entstanden wohl deshalb, weil sich die Blüten stets der Sonne zuwenden), Hindlauf, Rattenwurz, Wegeleuchte, wilde Endivie, Armensünderblume, Kaffeekraut, Faule Magd und Verfluchte Jungfer.
 
Die Wurzel enthält Inulin, den Bitterstoff Intybin, Gerbstoffe, Harz, Cholin, Chichorin. Die Stoffe wirken verdauungsfördernd, stoffwechselanregend, harntreibend, leberstärkend, galletreibend und appetitanregend.
 
Innerliche Anwendung (Tee aus Kraut und Wurzel, auch Frischpflanzentropfen): Appetitlosigkeit, Galle- und Leberbeschwerden, Blähungen, Völlegefühl.
 
Sonstige Anwendung: Die jungen Blätter geben einen vorzüglichen Salat; frisch gehackte Blätter auf Butterbrot gestreut, sind eine Köstlichkeit. Ausserdem lassen sich aus Wegwartenblüten Gelee und Wegwartenwein und aus den Wurzeln, wie schon erwähnt, Wegwartenkaffee herstellen.
 
Bewahrt Männer vor Fehltritten
Früher streuten Ehefrauen dem Gatten gepulverte Wegwarte ins Essen, um ihn vor Fehltritten zu bewahren. Die Pflanze half auch bei bereits Fremdgegangenen, sie brachte wieder die Liebe des Ehemanns zurück. In Zeiten von schnellen Trennungen und des überhand nehmenden Fremdgehens, könnte man diesen Brauch wiederbeleben (falls er hilft).
 
Werdende Mütter bekamen die Wurzel unters Leintuch, um die Geburt zu erleichtern.
 
Diebe mussten sich vor der Wegwarte in Acht nehmen. Sobald ein Bestohlener eine Wurzel der Wegwarte unters Kopfkissen legte, erschien der Dieb im Traum.
 
In etlichen Märchen tauchte die Pflanze als verzauberte Jungfrau auf, die vergeblich auf ihren Geliebten wartet.
 
Viel Vitamin C in der Hagebutte
Kaum zu glauben, dass in der Frucht (Hagebutte) der Heckenrose (Rosa canina) das meiste Vitamin C in unseren heimischen Früchten enthalten ist. Der Gehalt an Vitamin C wird mit 1250 mg je 100 g essbaren Anteil angegeben. Weitere wichtige Stoffe sind Ballaststoffe, Mineralstoffe (u. a. Kalium und Magnesium), Provitamin A (Karotin), Vitamin E, Zucker und Fruchtsäuren.
 
Am Ende des Orts Mappach entdeckte ich einen Strauch der Heckenrose, an dem viele Hagebutten zu sehen waren. Ein schönes Fotomotiv!
 
Musbereitung (die folgenden Rezepte stammen von Maria Finsterlin, Holzinshaus): Die Hagebutten nach dem ersten Frost pflücken, Stiel abnehmen, mit Wasser 5 Minuten aufkochen, mit einem Holzstössel zerstampfen, durch die „flotte Lotte“ geben. Die zurückbleibenden Kerne trocknen und für den Kernlestee verwenden. Das Mus 1:1 mit Zucker kurz aufkochen, heiss in frisch gespülte Schraubgläser abfüllen und verschliessen. Das Mus bleibt jahrelang haltbar und behält seine rote Farbe.
 
Hagebuttenmus mit Weissdornfrüchten: Hagebutten und Weissdornfrüchte 1:1 mischen und wie oben beschrieben zubereiten. Man muss bei der Bereitung darauf achten, ob die Früchte viel oder wenig Pektin enthalten. Bei reichlichem Pektingehalt muss mehr und bei geringerem Gehalt weniger Wasser genommen werden.
 
Das Mus aus Weissdornfrüchten wird verabreicht bei Kreislaufbeschwerden, Herzschwäche und zur Regulierung des Bluthochdrucks.
 
Eine Zierpflanze, die Wunden heilt
Die mit leuchtend gelben bis gelb-orangen Blütenköpfchen ausgestattete Ringelblume (Calendula officinalis) entdeckte ich bei der erwähnten Wanderung in einem Garten in Mappach. Die Zierpflanze stand in der Volksheilkunde früher hoch in Kurs. Mit Entdeckung der Antibiotika wurde die Pflanze in den Hintergrund gedrängt. Erst in neuerer Zeit erlebte die Ringelblume wegen ihrer wundheilungsfördernden, entzündungshemmenden, bakteriziden und nebenwirkungsfreien Wirkung eine Renaissance.
 
An Inhaltsstoffen wurden in der Ringelblume folgende entdeckt: ätherisches Öl, Flavonoide, Oleanolsäureglykoside (Calenduloside), Triterpenalkaloide, Sterole, Karotine, Xanthophylle, Polyacetylene, phenolische Säuren, Bitter- und Gerbstoffe.
 
Äusserliche Anwendung (Aufgüsse, Tinktur, Salben): Wundheilmittel, Entzündungen des Nagels, der Haut und Schleimhaut, Dekubitus, Muskelverletzungen, Risswunden, Furunkel, Blutergüsse, Insektenstiche, Akne, zur Fusspflege.
 
Innerliche Anwendung (Tee, Tinktur): Magenschleimhaut-, Gallenblasen- und Blasenentzündung, Entzündung des Gallengangsystems, Verkrampfungen des Verdauungstraktes.
 
Wundbehandlung: Leinenläppchen mit dem Aufguss tränken und auf die Wunde legen; Umschläge oder Kompressen mehrmals täglich wechseln.
 
Herstellung einer Ringelblumensalbe: 500 g Melkfett bis zum Schmelzen erhitzen, 100 g frische oder 50 g getrocknete Blütenblätter der Ringelblume (Zungenblüten) zugeben, umrühren und 5 bis 10 Minuten weiter erwärmen. Bei Raumtemperatur 2 bis 3 Tage stehen lassen. Danach Fettmasse erwärmen und durch Gaze abseihen. In saubere Gläser füllen, gut verschliessen und im Kühlschrank aufbewahren. Die Haltbarkeit beträgt etwa 1 Jahr.
 
Ein gelber Pilz
Auf unserem Wanderweg rechts am Wegesrand entdeckte ich an einem Kirschbaumstamm den Schwefelporling (Laetiporus sulphureus). Ich nahm den Pilz in Augenschein, fotografierte ihn und machte mit einem Finger eine Druckprobe. Das Pilzfleisch war weich und roch angenehm. Wenn sich der Pilz mit einem Daumennagel eindrücken lässt, dann eignet er sich für die Küche. Die Scheiben kann man wie Schnitzel panieren oder kleingeschnitten den Eierspeisen zufügen. Wir beliessen jedoch den schönen Schwefelporling an Ort und Stelle. Man muss ja nicht alles abreissen, um dann seine kulinarischen Genüsse zu befriedigen.
 
Es war wieder eine interessante Wanderung mit einigen Höhepunkten und Überraschungen. Wir mussten uns etwas beeilen, weil dunkle Wolken heranzogen. Kaum sassen wir im Auto und waren ein kurzes Stück gefahren, prasselte es nur so herunter. Der Regenguss dauerte jedoch nur wenige Minuten. Dann konnten wir in Ruhe ein köstliches Mahl in der „Alten Krone“ in Wollbach geniessen. Alle Speisen, die die Wanderfreunde verdrückten, waren an diesem Tage pilzfrei (frei von einem Schwefelporling!). Das beruhigte mich ungemein.
 
Literatur
Aichele, Dietmar: „Was blüht denn da?“, Kosmos Verlag, Stutttgart 1991.
Dähncke, Rose Marie: „200 Pilze“, AT Verlag, Aarau 1994.
Kneipp, Sebastian: „Meine Wasserkur“, Verlag Josef Kösel, Kempten 1894.
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“, IPa-Verlag, Vaihingen/Enz 2002.
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Tausendguldenkraut“, Eigenverlag 1996.
 
Hinweis auf weitere Blogs zur Botanik von Heinz Scholz 
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst