Textatelier
BLOG vom: 17.04.2012

Hampi - Besuch eines Weltkulturerbes im südlichen Indien

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D, zurzeit in Bangalore/Indien

Die Vorbereitung auf den 3 Tage dauernden Ausflug führt mich zum Hauptbahnhof in Bangalore. Dort stelle ich mich in die Reihe vor einem Schalter für Reservierungen für Behinderte und Senioren. Ein paar Senioren diskutieren lange und ausführlich mit der Dame am Schalter über die Preise. Ich habe mir vorher Informationen aus dem Internet besorgt und weiss über die Zugnummer, die Reisetage und die Uhrzeit genau Bescheid. Die Bahn will auch wissen, wie alt ich bin, denn als Senior erhalte ich 20 % Rabatt, welches Geschlecht ich habe und noch einiges mehr. Alles wird auf einen weissen Zettel geschrieben, auch, dass ich eine Rückfahrkarte haben möchte und welche Zugnummer die Rückreise hat. Nach einer Dreiviertelstunde komme ich dran. Die Dame will auch meinen Pass sehen und schreibt meine Nationalität auf den Zettel. Ich buche „Sleeper“, also den Schlafwagen, denn die 372 km weite Reise geht über Nacht und dauert knapp 10 Stunden, von 10 Uhr abends bis kurz vor 8 morgens. Ich habe Glück; denn obwohl ich noch eine Woche Zeit bis zur Abfahrt habe, ergattere ich einen der letzten Plätze. Die Dame fragt mich noch, welchen Grund meine Reise habe. Ich frage verschmitzt zurück, was sie denn glaube, und sie lächelt: natürlich einen touristischen.
 
Eine Woche später bin ich frühzeitig am Bahnhof, suche mir das Gleise und orientiere mich am Fahrschein, an welcher Stelle ich einsteigen muss. Der Zug mit Namen „Hampi Express“ steht schon bereit. Draussen am Wagen ist ein Zettel angeklebt, und ich finde meinen Namen darauf mit einigen mir unverständlichen Buchstaben. Auf jeden Fall bin ich richtig. Der Zug fährt gar nicht nach Hampi, der Ort hat keinen Bahnhof, sondern zu einer etwa 6 km entfernten Stadt mit Namen Hospet. Ich steige ein und suche meinen Platz.
 
Das Zugsabteil besteht aus 2 gegenüberliegenden und jeweils 3 übereinander gebauten, mit Kunststoff bespannten Holzliegen, die leicht hochgeklappt und arretiert werden können. Hoch geklettert wird nicht mittels einer Leiter, sondern über die Stahlstangen am Ende. Es gibt keine Kissen oder Decken. Ich lege mir aus einer Jacke ein Kissen zurecht und habe einen Leinenschlafsack mitgebracht, in den ich einfach hineinsteige, ohne etwas auszuziehen.
 
Die Fenster sind noch geöffnet. Langsam füllt sich der Zug; alle Liegen sind belegt. Über mir liegt ein junger Deutscher. Die Dame am Schalter achtet tatsächlich darauf, ob Ausländer mitreisen und legt diese zusammen in ein Abteil! Es gibt in jedem Abteil 2 Ventilatoren, die aber jetzt nicht in Betrieb sind. Der Zug fährt pünktlich los, es sind immer noch Reisende, die einen Platz suchen, in den Gängen. Nach kurzer Zeit kommt der Schaffner und kontrolliert anhand einer Liste die Namen der Fahrgäste. Ich schliesse das Fenster, weil es zieht. Das Licht wird gelöscht, die Fahrgäste haben Laken oder Decken und für den Kopf ein aufblasbares Kissen, das ich zu kaufen vergessen hatte.
 
Nach kurzer Zeit hält der Zug auf offener Strecke an. Nach zirka 10‒15 Minuten Wartezeit rattert ein Gegenzug vorbei und hupt. Das passiert ungefähr alle 20‒30 Minuten, was erklärt, warum der Zug für diese Strecke eine Durchschnittsgeschwindigkeit von ungefähr 30 km pro Stunde erreicht. Dazu kommen noch einige Bahnhöfe. Für mich ist an Schlaf nicht zu denken, aber neben und über mir höre ich Schlaf- und Schnarchgeräusche.
 
Der Zug ist pünktlich, und mein deutscher Mitreisender und ich beschliessen, die Distanz nach Hampi gemeinsam mit der Rikscha zu überbrücken. Der Preis ist überraschend niedrig und nicht verhandelbar.
 
In Hampi sehen wir die Geschäftsstrasse, einen grossen Hindutempel und kommen den Hügel abwärts zu einem kleinen Fluss, den wir mittels einer voll beladenen Motorfähre überqueren. Wir sind in Hampi Bazaar. Dort suchen wir uns ein Hotel und finden ganz in der Nähe eines, das runde Steinhütten mit Stroh bedeckt als Zimmer anbietet. Innen befindet sich ein Raum mit einem Doppelbett, hinter einer Tür Toilette und Dusche. Es kostet 600 Rupien, etwa 9 Euro die Nacht. Ich hätte auch günstiger übernachten können. Ein anderer Tourist erzählt am nächsten Tag von Hauteinstichen durch Bettwanzen in seinem Bett, das nur ein Drittel kostet. Meine Unterkunft ist sauber. Ein kleiner Salamander huscht oben an der Wand umher.
 
Die Landschaft ist einfach umwerfend! Grosse übereinander gestapelte Granitfelsen bilden eine pittoreske Kulisse. Während auf der Flussseite, auf der ich meine Rundhütte bezogen habe, diese Felsen und Reisfelder zu sehen sind, ist der eigentliche Ort auf der anderen Seite.
 
Ich zitiere aus Wikipedia: Hampi ist eine historische Stätte im indischen Bundesstaat Karnataka. Von etwa 1343 bis 1565 war Hampi die Hauptstadt des Königreiches Vijayanagar. Auf dem Höhepunkt seiner Macht kontrollierte Vijayanagar, das als letztes grosses Hindu-Reich gilt, fast ganz Südindien. Seine Hauptstadt soll zur Blütezeit rund 200 000, nach anderen Schätzungen sogar 500 000 Einwohner gehabt haben. Heute ist Hampi nur noch ein Dorf mit 2134 Einwohnern (Zählung 2001). Hampi gehört seit 1986 zum UNESCO-Weltkulturerbe.
 
Ende des Zitats. Der Ort ist irgendwann einmal von Hippies und anderen jungen Leuten entdeckt worden. Die Gäste in den Hotels und Gaststätten bestätigen dieses Bild noch heute; denn nur wenige ältere Touristen sind zu sehen.
 
Der Blick über den Fluss zum Ort hinüber zeigt neben Häusern auf einem aufsteigenden Hügel einen traditionellen Hindutempel.
 
Ich beschliesse, zuerst einmal auszuruhen. Danach mache ich einen Spaziergang zu den Granitfelsen, die wie von riesiger Hand aufeinander gestapelt aussehen. Oben sehe ich Menschen herumlaufen, die wohl zwischen den Felsenbrocken in den Nischen übernachten.
 
Ich laufe etwas ausserhalb der Siedlung an den etwa 100‒200 m hohen Felshügeln entlang und beobachte, wie ein Hund einen Makaken, eine Affenart, aus dem Ort hinaus jagt. Der Weg führt durch ein grosses Reisfeld. Der Affe rettet sich auf einen Baum, versteckt sich zwischen den Ästen und Blättern, macht drohende Geräusche, als ich mich fotografierend nähere und bleibt vorerst einmal dort. Ich laufe ein wenig herum und lasse die bizarre Landschaft auf mich wirken.
 
Dann spaziere ich parallel zum Fluss an den Restaurants und weiteren Hotels vorbei, komme an einen kleinen See. Eine Inderin mit einem Wasserbehälter sitzt dort und wartet. Vor mir ist die Ruine eines Viadukts mit mehreren Pfeilern zu sehen; 2 davon drohen umzukippen. Man könnte meinen, dort sei einst ein Zug darüber gefahren, aber es war wohl eine Wasserleitung.
 
Am Nachmittag beschliessen wir, uns den Ort auf der anderen Seite des Flusses anzusehen. Eine weitere Deutsche, die wir auf der Fähre treffen, schliesst sich uns an, und so gehen wir zu Dritt durch den Ort hinauf zum Hindutempel, der auf einem grossen Gelände auch von Nichtgläubigen besichtigt werden kann.
 
Der Virupaksha-Tempel wurde um 1440 erbaut und hat einen 42 m hohen, viereckigen Turm, der Gopuram genannt wird und an der Aussenseite voll mit steinernen bunten Götterfiguren und nach oben hin zulaufend, aber ohne Spitze, gebaut ist.
 
Von dort aus wandern wir durch die Nachmittagshitze Richtung Norden und kommen über einen Hügel hinweg zu einem riesigen Tempelgelände im Vijayanagara-Stil. Es stammt aus dem 14. bis 16. Jahrhundert. Der Höhepunkt dieses Stils ist beim Vitthala-Tempel aus der Mitte des 15. Jahrhunderts erreicht. Er steht im Norden in Flussnähe; 3 hohe Gopurams begrenzen ein Areal von 164 × 94 Meter. Es gibt mehrere Mandapas (Vorhallen), darunter die übliche Hundertpfeilerhalle. Der Haupttempel ist Vishnu geweiht, dessen Reittier ist Garuda, der – einzigartig in Indien – in einem freistehenden, getreu nach dem hölzernen Modell in Stein gemeisselten Ratha (Tempelwagen) sitzt.
 
Die alten Tempel, der Fluss und die bizarre Felslandschaft ergeben ein beeindruckendes Bild. Wir setzen uns auf die alten Stufen im Schatten und lassen es auf uns einwirken.
 
Abends beschliessen wir, auf einen der Felsen zu klettern. Oben sind schon einige junge Leute versammelt, und gemeinsam beobachten wir, wie die Sonne über der Flusslandschaft langsam versinkt und dabei ihre Strahlen in unsere Richtung schickt.
 
Am nächsten Tag besichtigen wir einen Hindutempel auf einem der Felsenberge. Es gilt, 557 Stufen hinauf zu laufen, die Schuhe müssen wir unten stehen lassen. Es ist warm, dennoch sind wir nicht die einzigen. Oben hören wir aus dem Lautsprecher hinduistische Musik. Schimpansen laufen herum. Der Hindutempel ähnelt den anderen. Wir klettern auf den Felsen herum und setzen uns, um die Landschaft und den Blick auf den Ort mit der Flusslandschaft zu geniessen. Die Gopurams sind zu sehen und weitere Felsen. Ein Ort zum Meditieren.
 
Wieder unten angekommen, finden wir einen Kokosnussverkäufer, einen schlauen 16-Jährigen, der erzählt, dass er weiss, ob manche Kokosnüsse innen „Fleisch“ haben oder nicht (letztere waren nicht so lange am Baum), wie er seine Preise macht: „Wer nicht mit mir spricht, ist reich, bei dem kann ich mehr Geld nehmen“ – ziemlich viel Geschäftserfahrung trotz seiner Jugend!
 
In der Nähe gibt es einen Stausee, und wir beschliessen, mit einem im Ort geliehenen Motorrad hinzufahren. Ein See, in dem man auch schwimmen kann, ist in eine Felslandschaft gebettet. 2 Schwimmerinnen beginnen plötzlich laut zu rufen und panisch zu reagieren. Sie werden in ein Boot gezogen und sind sehr erschrocken und erschöpft. Der See hat tückische Strudel, und immer wieder gibt es Badeunfälle, auch mit Toten.
 
Im Schatten unter Felsen oberhalb des Sees lassen wir uns nieder. Ein paar Ziegen laufen um uns herum; wir nehmen ihnen die Schattenplätze weg.
 
Der Fahrtwind kühlt ein wenig. Abends treffen wir junge Menschen aus vielen Ländern, aus den USA, Nordeuropa und Israel, die davon berichten, wie oft sie schon in Indien waren, wo sie überall kreuz und quer durch das riesige Land bis nach Nepal gefahren sind, welche Orte sie noch vor sich haben, immer in preiswerten Nachtzügen unterwegs. Kaum sind sie irgendwo angekommen, schon planen sie die Weiterfahrt.
 
Mein Begleiter meint, sie seien alle auf der Suche, auf der Suche nach sich selbst. Er kannte den einen oder die andere bereits von seinen Reisen. Öfters tun sie sich zusammen und reisen ein Stück weit gemeinsam, dann trennen sie sich wieder. Im Ashram, in Yogakursen oder in preiswerten Hotels sehen sie sich dann wieder, trotz der Weite und Grösse Indiens.
 
Auf meiner Rückfahrt im Nachtzug treffe ich 2 Französinnen im selben Abteil. Sie lassen es sich nicht nehmen, französisch zu Abend zu essen. Die Speisen haben sie mitgebracht. Am nächsten Morgen lasse ich aus meinem Smartphone das 5. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven ertönen, ein für die beiden Frauen unwirklich erscheinender Abschluss einer Reise in eine bizarre Gegend.
 
 
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