Textatelier
BLOG vom: 18.09.2012

Aus dem Zeugenstand: Misère grenzenloser Habsucht

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Hier geht es um Landdispute, welche die Leute immer wieder und überall in Harnisch bringen. Dafür gibt es wohl keine eindrücklichere Geschichte als jene von Gottfried Keller (Schweizer Schriftsteller, 1819‒1890), wie sie in seiner Novelle „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ geschildert ist.
 
Inhaltsabriss: 2 Bauern pflügten alljährlich ihren Acker. Dazwischen lag ein vernachlässigter Acker, der seit vielen Jahren nicht mehr bestellt worden war. Die Bauer zogen jedes Jahr eine Furche weiter ins fremde Grundstück. Steine, von ihren Furchen freigelegt, warfen sie achtlos auf diesen Fetzen Land. Zuletzt blieben von diesem Acker bloss noch ein Zipfel und ein riesiger Steinhaufen übrig, der den erbitterten Landstreit zwischen ihnen auslöste. Ihre Fehde, im Gerichtssaal ausgetragen, verschlang das Vermögen beider starrsinnigen Bauern.
 
Der eine Bauer hatte eine Tochter, der andere einen Sohn. Zwischen Vrenchen und Sali entspross die Liebe. Sie entflohen ihren erbosten Eltern auf einem mit Heu beladenen Kahn. Ihre Leichen wurden aus dem Wasser geborgen.
*
Vom Emmental nach London: Im Haus, gegenüber unserem heutigen, wechselte der Grundbesitzer (freeholder) im Jahr 2007. Auch ins Haus neben jenem zog 2004 ein neuer Besitzer ein. Im Januar 2012 kam es zu einem immer hitziger verlaufenden Streit zwischen den beiden Eigentümern darüber, wo genau die Grenze zwischen den Grundstücken verlief. Inzwischen war der von Vegetation überwucherte Gartenhag verfault. Als ehemaliger Eigentümer (leaseholder) einer Wohnung auf der mir gegenüber liegenden Strassenseite bat mich der jetzige Grundeigentümer, ihm als Zeuge beizustehen. Auch Nick, der meine Wohnung gekauft hatte, war dazu bereit. Hinzu kam der vormalige Besitzer und Verkäufer des Grundeigentums an den neuen Besitzer.
 
Anwälte wurden herbeigezogen, die ein Kilo von Papier produzierten. Wiewohl die Grenze zwischen den beiden Häusern mit ihren Gärten im Grundbuchamt eingetragen war, hatte der Besitzer von nebenan einen Streifen von knapp 40 cm für sich beschlagnahmt. Solche Grundstückeinträge sind nicht immer verlässlich. Der Angeklagte von nebenan erschien zum Verhör des Schiedsrichters ohne Anwalt, das am Dienstag letzter Woche begann.
 
Ich wurde als 1. Zeuge aufgerufen, und schwor auf der Bibel, die Fragen nach bestem Gewissen zu beantworten. So nahm mich der Angeklagte ins Kreuzverhör, beginnend mit einem absonderlichen Ausdruck, den ich nicht verstand. „Erklären Sie mir, was Sie damit meinen?“ Er wolle bloss feststellen, ob ich beobachten könne, antwortete er. „Das kann ich fürwahr“, antwortete ich, und fügte verhalten hinzu: „Und wie ist es denn um Ihre Beobachtungsgabe bestellt?“
 
Der Kerl widerte mich mit seinem endlosen und verschleierten Fragen-Fangspiel an. Immer wieder musste ich betonen, dass ich ab 1999 das Haus verlassen hatte, und ich verweigerte natürlich jede Auskunft, was seither mit dem Hag geschehen war. Ich bestätigte bloss, dass bis zu diesem Zeitpunkt ein Hag die beiden Grundstücke schnurgerade getrennt habe. Noch nicht genug: Schmierig lächelnd trat er mit einer halb belichteten Fotoaufnahme auf mich zu und reichte mir obendrein eine Lupe. „Was sagen Sie dazu?“ Dazu könne ich mich ganz und gar nicht äussern, erwiderte ich, denn die Aufnahme sei viel zu schlecht und folglich nichtssagend für mich. „Nebenbei, wann wurde sie gemacht?“ Das brachte ihn ins Straucheln.
 
Beinahe eine Stunde hatte dieses 1. Kreuzverhör beschlagnahmt, bis mir endlich der Schiedsrichter beisprang und sagte: „Herr B. hat Ihre Fragen beantwortet.“ Er wandte sich an mich: „Es ist Ihnen freigestellt, ob Sie bleiben oder jetzt gehen wollen“.
 
„Ich habe eine Verabredung“, sagte ich und verliess den Raum in Windeseile.
 
Später erfuhr ich, dass das Verhör bis 6 Uhr angedauert hatte, ehe es vom Schiedsrichter auf einen neuen Termin vertagt wurde. Er habe ausserdem dem Kerl, der mich zuerst verhört hatte, geraten, einen guten Anwalt herbeizuziehen …
*
Welch’ ein nervenzehrender Streit für einen so schmalen Streifen Land, von den saftigen Anwaltspesen nicht zu reden! Der Kläger und seine Frau waren über 80 Jahre alt. Beide Parteien sind spekulativ im Baugewerbe tätig. Das war der 1. Zeugenauftritt in meinem Leben, einen 2. werde ich tunlichst vermeiden.
 
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