Textatelier
BLOG vom: 06.12.2012

Verbote: Der Opa mit seiner Zigarre und das Ordnungsamt

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
In Nordrhein-Westfalen D regiert eine Landesregierung aus Sozialdemokraten und Grünen. Ich lese in der Zeitung die Meinung eines in der Opposition sitzenden FDP-Parlamentariers, Joachim Stamp, der erklärt, den Grünen gehe es darum, die Menschen zu erziehen. Sie seien das „Abbild eines neuen deutschen Spiessertums“, und er fragt: „Was kommt als nächstes? Alkoholverbot? Fastfoodverbot? Pizza-Taxi nur noch bis 20 Uhr?“
http://nachrichten.rp-online.de/regional/landtag-beschliesst-striktes-rauchverbot-1.3088752
 
Was erzürnte den liberalen Politiker so? Die Schlupflöcher beim Rauchverbot sind gerade im November 2012 per Gesetz geschlossen worden. Es darf keine Raucherräume mehr geben, rauchende Mütter auf Spielplätzen, die die Zeit totschlagen, während ihre Kinder spielen, riskieren ein Bussgeld.
 
Es gibt eine Ausnahme: nicht gewerbliche, nicht öffentlich zugängliche Feiern einer geschlossenen privaten Gesellschaft. Stellen Sie sich vor, Opa wird 80, ein Grund, um einmal wieder die gesamte Verwandtschaft zu einem Familienfest einzuladen. Opa qualmt gern seine Zigarre; ohne Zigarre wäre es für Opa kein Fest. Opa wohnt im Altenheim, also soll die Feier in einer Gastwirtschaft stattfinden. Der Wirt freut sich über den zu erwartenden Umsatz, es soll gegessen, getrunken, getanzt, also richtig gefeiert werden. Doch jetzt kommen die Hürden. Der Gastgeber, also der Opa, muss alle Gäste der Feier namentlich auf einer Liste aufführen, die Veranstaltung muss vorher beim Ordnungsamt angemeldet sein, und, und, und. Die Gäste werden in einem streng abgetrennten Raum feiern müssen. Wer nicht auf der Liste steht, darf nicht rein. Polonaise durch die ganze Wirtschaft? Verboten!
 
Bei Vereins- und Betriebsfeiern in Gaststätten rauchen? Verboten!
 
Wasserpfeife? Verboten!
 
Sie wollen in Bayern eine Fahrt mit einem Ausflugsdampfer über den Starnberger See machen und möchten gern auf Deck eine Zigarette qualmen; dort bläst der Wind den Rauch weg und niemand wird belästigt? Verboten!
 
Man könnte denken, bei so ausgeprägten Rauchverboten beginnen die rauchenden Menschen darüber nachzudenken, dass unsere Politiker dafür wohl Gründe haben müssen, und sie überlegen, mit dem Rauchen aufzuhören. Der Umsatz der Tabakindustrie sagt aber genau das Gegenteil: Es wird mehr geraucht als vorher! Im ersten Halbjahr 2012 wurden etwa 8,3 % mehr Zigaretten versteuert als im Jahr davor.
 
„In Deutschland ist alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist. In Frankreich ist alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. In Italien ist alles erlaubt, auch wenn es ausdrücklich verboten ist.“
 
Dieses Zitat wird gern benutzt, wenn es um Freiheitsrechte in Deutschland geht. In Ländern wie Indien ist es selbstverständlich, trotz Helmpflicht in Ortschaften ohne diesen Kopfschutz zu fahren, mit dem Rikscha oder Auto die Gegenspur zu benutzen, wenn die eigene verstopft ist; bei Rot die Ampel zu ignorieren, wenn kein Verkehr sichtbar ist; beim Dämmern oder im Dunkeln ohne Licht zu zirkulieren, wenn die Strassen beleuchtet sind; Lebensmittel an der Strasse zu verkaufen und zu verzehren; Läden und Verkaufsstände zu jeder Tages- und Nachtzeit zu öffnen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
 
Die Wertschätzung der Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland wird erstmals mit wissenschaftlichen Methoden in einem Index erfasst. Das John Stuart Mill Institut für Freiheitsforschung an der SRH Hochschule Heidelberg (JSMI) hat dazu den „Freiheitsindex Deutschland“ entwickelt. Partner sind das Institut für Demoskopie Allensbach und das Institut für Publizistik der Universität Mainz. Vor etwa einem Jahr ergab eine Untersuchung erstaunliche Ergebnisse.
 
„Die Bürger sehen offenbar keinen Widerspruch zwischen der Zustimmung zum Wert der Freiheit einerseits und der Forderung nach mehr staatlicher Regulierung andererseits. Dies gilt selbst im Bereich der persönlichen Lebensführung. So stimmten 65 % für ein Verbot ungesunder Lebensmittel und 52 % Prozent waren dafür, Kredite zu verbieten, wenn jemand bereits verschuldet ist. In Sachen Meinungsfreiheit haben die Forscher einen Rückschritt festgestellt: Die Bürger sind vorsichtiger geworden, wenn es darum geht, Themen wie Integration, Sozialismus und Klimawandel kritisch anzusprechen.“
 
Die Eigenverantwortlichkeit nimmt nur bei den bis 30-Jährigen zu. 58 % der Befragten stimmten dem Satz zu: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ 2003 waren es 43 % gewesen.
http://www.fh-heidelberg.de/de/news-events/news/detail/news/2011/11/24/erstmals-freiheitsindex-fuer-deutschland-vorgelegt/
 
Man kann sich trefflich darüber streiten, wie sinnvoll die Verbote sind. Ein Beispiel ist das Glühlampenverbot. Die Umweltbedenken dafür sind nach Meinung der Kritiker nicht gerechtfertigt. Energiesparlampen befassen eine Reihe von Giftstoffen und dürfen nicht zum Restmüll entsorgt werden. Schon letzteres ist nicht durchsetzbar.
 
Es wird vieles diskutiert, was verboten und unterbunden werden sollte, könnte oder bereits ist:
-- Alkoholverbot in öffentlichen Verkehrsmitteln,
-- Schusswaffenbesitz ohne Registrierung,
-- „Lichtverschmutzung“ nachts,
-- Solariumbenutzung für Jugendliche,
-- Haltung von Kampfhunden,
-- „Killerspiele“ im Internet oder als Software,
-- Paintball-Spiele (wer getroffen wird, wird mit Farbe bekleckert und muss ausscheiden).
-- Usw., usw.
 
Im September 2010 gab es folgende Meldung in der WELT: „Die Grünen wollen die beliebten Motorroller auf längere Sicht verbieten. Wie die ,Saarbrücker Zeitung’ berichtet, sollen nach dem Willen der Bundestagsfraktion ab 2015 nur noch Elektroroller zugelassen werden. Mit Benzin betriebene Zweitakter sollten dann ab 2020 und Viertakter ab 2025 aus dem Verkehr gezogen werden. Das geht dem Bericht zufolge aus dem neuen Energiekonzept der Fraktion hervor sowie aus einem Antrag, den die Grünen unlängst in den Bundestag eingebracht haben. Die Partei will damit den Umstieg auf schadstofffreie E-Roller forcieren. Die FDP erteilte dem Vorhaben eine Absage: Ein Verbot ‚hilft dem globalen Klima überhaupt nicht, bestraft aber Jugendliche im ländlichen Raum und diejenigen in den Städten, die bewusst auf das Auto verzichten wollen’, sagte FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic der Zeitung.“
 
Die Liste der Verbotsüberlegungen der Politiker ist noch viel länger, als die oben beschriebene.
 
Nicht nur in Deutschland findet man die Regulierungswut. In Grossbritannien wurde 2009 ernsthaft das Verbot spitzer Küchenmesser diskutiert. In Italien wurde in einem Dorf in der Nähe von Neapel das Sterben verboten, allerdings nur als Protest gegen die Überfüllung des Friedhofes und das Verschleppen einer Lösung des Problems.
 
Vom September 2010 stammt folgende Meldung aus der Schweiz (Zürich): „Für die neue Züricher Polizeiverordnung hatte sich die sozialdemokratische Polizeivorsteherin Esther Maurer ein buntes Paket von Verboten ausgedacht. So sollte nicht nur Grillen in Parks, das ‚Erschrecken von Tieren und Menschen’ oder das Autowaschen auf öffentlichem Grund verboten werden, auch das ‚Reparieren von Fahrzeugen’ wird womöglich mit einer Geldbusse von mindestens 50 Franken geahndet. Das Flickzeug kann man bei Radtouren durch die grösste Stadt der Schweiz also getrost zuhause lassen.“
 
Vorreiter vieler Verbote scheinen in Deutschland die Grünen zu sein. Ich habe einmal bei Google folgendes eingegeben: „Die Grünen wollen alles verbieten“ und bin überrascht über die vorgeschlagenen Websites:
 
www.derwesten.de vom 20.01.2012
„Grüne wollen Ponyreiten auf Jahrmärkten verbieten“. Gegen diese Meldung wehren sich die Grünen allerdings am 26.04.2012 auf ihrer Website: „Auf dem Parteitag am letzten Wochenende schmetterte Philipp ,Fipsi’ Rösler den Delegierten eine Liste angeblicher grüner Verbotsforderungen entgegen. Dass diese Vorwürfe zum Teil völlig übertrieben oder schlicht an der Mähne herbei gezogen sind (z. B. Fleischverbot), überrascht uns bei den Liberalen wenig. Aber bei der Behauptung, die Grünen wollten ,Pony-Werbung’ verbieten, ist Rösler offenbar der Gaul durchgegangen. Wir stellen deshalb klar: Wir wollen weder Ponys verbieten noch die Werbung für sie. Wir fordern ja nicht mal ein Verbot der FDP!”
 
Jedenfalls gehen sie auf ein Verbot des Ponyreitens auf Jahrmärkten nicht ein!
 
www.diewelt.de vom 16.11.2012
„Die Grünen wollen Fernsehwerbung für Kinderlebensmittel verbieten.“ 
 
www.focus.de vom 23.05.2012
„Grüne wollen Waffen zu Hause verbieten.“
 
„Die Grünen wollen das Sportschiessen verbieten und Marihuana legalisieren, welche Logik steckt dahinter?“
 
„Die Grünen wollen im Falle eines Wahlsiegs bei der Bundestagswahl 2013 die intensive Tierhaltung erheblich einschränken. ‚Wir wollen den Einsatz gegen die Massentierhaltung systematisch zum Thema im Bundestagswahlkampf machen’, sagte Fraktionschefin Renate Künast jetzt der WELT.“
 
Und wenn Hartz-4-Empfänger der Aufforderung nicht folgen, zum Jobcenter zu kommen, um möglicherweise eine Tätigkeit annehmen zu müssen, sollen die Jobcenter „kulant“ sein:
„Die Grünen wollen den Jobcentern verbieten, säumigen Arbeitslosen die Hartz-Sätze zu kürzen.“
 
„Der Parteitagsbeschluss 2011 der Grünen: ‚Wir wollen die Plastiktüten abschaffen.’ Und zwar europaweit. Um das zu erreichen, schlagen die Grünen in einem ersten Schritt eine Umweltabgabe von 22 Cent pro Tüte vor. ‚Sollte diese Massnahme nicht zum Erfolg führen, setzen wir uns für ein Verbot von Plastiktüten ein.’“
 
Auf der website http://forum.ksgemeinde.de/archive/index.php/t-56040.html wurde am 14.03.2006 folgende Forderung diskutiert: „Nach dem Willen von Bündnis 90/Die Grünen soll Deutschland seine Tierschutzbemühungen verstärken und die Einfuhr von Katzen- und Hundefellen verbieten. In ihrem Antrag (16/841) fordern die Grünen von der Bundesregierung, dafür die rechtlichen Grundlagen zu schaffen. Auch müsse sich die Regierung auf EU-Ebene für ein europaweit gültiges Verbot des Imports, Exports und Verkaufs von Katzen- und Hundehäuten einsetzen.“
 
„Die Grünen-Fraktion im Stadtrat will ein Verbot von Heizstrahlern in der Koblenzer Aussengastronomie durchsetzen.“
 
Um es klarzustellen: Ich bin Nichtraucher und nicht gegen die Grünen oder irgendeine andere demokratische Partei in Deutschland. Das eine oder andere Verbot mag sogar sinnvoll sein. Ich bin aber der Meinung, dass in Deutschland – über die anderen Länder in Europa bin ich nicht ausreichend informiert – zu viel geregelt und vorgeschrieben wird. Ich setze auf den gesunden Menschenverstand, auf Toleranz, Rücksichtnahme und Eigenverantwortlichkeit. Viele Situationen im Leben kann ich gelassen nehmen, getreu dem Motto „Leben und leben lassen!“, statt gleich ein Gesetz zu fordern oder auf dessen Einhaltung zu pochen.
 
Ich sehe voraus: Falls die SPD und die Grünen nach der nächsten Bundestagswahl 2013 in die Regierung kommen, wird das eintreten, was nicht nur der anfänglich erwähnte FDP-Politiker befürchtet, sondern wir bekommen noch mehr Politiker, die meinen, uns erziehen zu müssen.
 
Falls nämlich die Ideenfindung unserer Politiker immer weiter geht, bleibt dem Bürger gar nichts anderes übrig, als gegen all die Verbote zu verstossen.
 
„Wenn wir die Rechtsbrüche und die vielfältigen Missbräuche zusammenzählen, von denen heute die Rede war, können wir den Tag voraussehen, da sich in einem Konzentrationslager-Europa nur noch Gefängniswärter auf freiem Fuss befinden.“
(Albert Camus: Verteidigung der Freiheit, rororo Taschenbuch 1997)
 
Hinweis auf weitere Blogs zum Thema Verbote
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