Textatelier
BLOG vom: 11.12.2012

Film „Ziemlich beste Freunde“ – eine andere Sicht darauf

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Der Originaltitel heisst „Intouchables“, es handelt sich um eine französische Filmkomödie. Sie soll „nach einer wahren Begebenheit“ erzählt sein, und zwar über den Champagnerhersteller Philippe Pozzo di Borgo, der durch einen Unfall beim Gleitschirmfliegen zum Tetraplegiker wurde, also zu jemandem, der vom Hals an abwärts gelähmt ist. Er hat eine Autobiographie mit dem Titel „Le second souffle“ (Der zweite Atem) geschrieben.
 
Der Film handelt von ihm und dem von ihm angestellten Pfleger, der eine kleinkriminelle Vergangenheit hatte und den Job eigentlich gar nicht haben wollte. Die Regisseure Olivier Nakache und Eric Toledano machen daraus eine Filmkomödie. Es darf gelacht werden; denn der Pfleger erzeugt (unfreiwillig) komische Situationen und verfügt auch über eine gehörige Portion Humor, gepaart mit Selbstsicherheit und klarem Verstand.
 
Der Pfleger, im Film ein Schwarzer mit senegalesischer Herkunft und aus der Pariser Unterschicht stammend, wird von dem Pflegebedürftigen angestellt, obwohl er keinerlei Qualifikationen vorweist. Er arbeitet sich in die Pflege und Betreuung ein.
 
Der Pfleger benimmt sich eher flegelhaft, zeigt offen und lautstark sein grosses Unverständnis gegenüber den Interessen seines Vorgesetzten, stellt die bourgeoise Schicht mit seinem Kunstverständnis in Frage, ist dabei aber authentisch, ehrlich, ideenreich und sorgt für viel Abwechslung im Leben des Kranken.
 
Der Film beginnt und endet mit einer Raserei auf den Strassen von Paris mit waghalsigen Überholungsmanövern und dem Hereinlegen der Polizisten, die den Wagen stoppen, aber dann bis zum Krankenhaus eskortieren, nachdem ihnen der Pfleger vorgemacht hat, dass der Kranke in Lebensgefahr schwebe, wobei dieser den Part mitspielt.
 
Worum geht es also in dem Film? Vordergründig um Humor, und dieser ist der Grund für den grossen Erfolg des Films, hintergründig aber um sehr viel mehr. Es geht um eine Gegenüberstellung von Lebenseinstellungen der Unter- und der Oberschicht.
 
-- Es wird vorgegaukelt, dass auch jemand aus der sozialen Unterschicht ohne Qualifikation mit krimineller Vergangenheit, der ehrlich und authentisch auftritt, Chancen hat, eine gutbezahlte Tätigkeit in der Oberschicht zu bekommen.
-- Es wird vorgespielt, dass Macht in bestimmten Fällen nicht ausgeübt wird. Hier, obwohl sich der Pfleger ungehörig, ablehnend, flegelhaft und unangepasst verhält, wird er nicht entlassen, sondern sein Verhalten wird toleriert.
-- Es wird suggeriert, dass die Mitglieder der Oberschicht mit ihrem vielen Geld eigentlich humorlose Langweiler seien, ohne realen Bezug zum Leben, und die Unterschicht dadurch, dass deren Mitglieder für das tägliche Dasein kämpfen müssen, vielleicht sogar das bessere Leben führt.
 
„Wenn ich Ihre Krankheit hätte, würde ich mir die Kugel geben,“ war eine Aussage des Pflegers, die damit beantwortet wurde, dass auch das durch die Totallähmung schwierig sei. Es kommt im Film zu einer Annäherung der beiden „Welten“:
 
Der Kranke konsumiert mit dem Pfleger Haschisch, geht zu Prostituierten. Er lässt seinen Rollstuhl auf eine unerlaubte Geschwindigkeit trimmen. Er legt ein Familienmitglied mit einem Bild herein, das kein berühmter Künstler, sondern der Pfleger gemalt hat. Er macht mit, Polizisten an der Nase herumzuführen.
 
Der Pfleger beginnt sich für moderne Kunst und für klassische Musik und Literatur zu interessieren. Er kennt Dali und weiss über Verslehre Bescheid. Er weist auf Erziehungsfehler des Kranken bei dessen Pflegetochter hin, die der Kranke ausgleicht; der Kranke zeigt Verständnis für das Drogenproblem des Bruders des Pflegers und dieser tröstet die Pflegetochter bei ihrem Liebeskummer. Die Musikinteressen werden ausgetauscht und gegenseitig angenommen. Schicksale beider Seiten finden Gehör.
 
Der Pfleger wird sogar anständig, macht einen Diebstahl rückgängig, kämpft für ein drogenfreies Leben seiner Geschwister; weiss, was es heisst, Respekt zu zeigen und zu haben.
 
Natürlich kommt es zu einem Happyend. Der Kranke trifft nach vielen Hindernissen seine Briefpartnerin, der er über Monate hinweg in der Auffassung des Pflegers „schwulstige“ Briefe geschrieben hat, endlich persönlich, und daraus ergibt sich eine neue Beziehung, nachdem die vorherige durch den Krebstod der geliebten Ehefrau schmerzhaft beendet worden war.
 
Im Abspann wird dann noch darauf hingewiesen, dass diese Beziehung im realen Leben zu einer glücklichen Ehe geführt und der Pfleger eine Firma gegründet hat und die Freundschaft zwischen den beiden noch anhält.
 
Ein Lebensschicksal ist nur mit Humor zu ertragen, so eines der Prämissen dieses Films. Eine weitere, dass der Leidende ausserdem noch viel Geld braucht und jemanden, der unkonventionell zeigt, was das Leben in seiner Essenz ausmacht.
 
Dann wird alles zwar nicht wieder richtig gut, aber erträglich und aus „Untouchables“ können sogar Freunde werden. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie glücklich bis an ihr Lebensende …
*
Anmerkung des Autors in eigener Sache: Nachdem ich diese Filmkritik geschrieben habe, stellte ich fest, dass mein Blogger-Kollege Emil Baschnonga schon am 10.10.2012 seine Eindrücke zum Film in einem Blog niedergelegt hat, was mir entgangen war. Bei ihm sind viele Details nachzulesen, die ich nicht erwähnt habe. Es ist offensichtlich, dass wir unterschiedliche Meinungen zum Film haben. Ich denke, das ist legitim!
 
Die beiden Beschreibungen aus verschiedenen Positionen mögen den geschätzten Leser anregen, sich durch das Anschauen des Films, der inzwischen auch auf DVD erworben werden kann, seine eigene Meinung zu bilden. Ich habe übrigens Freunde, die sich den Film schon mehrmals mit Genuss angeschaut haben und mir widersprechen würden!
 
Quelle
 
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