Textatelier
BLOG vom: 18.01.2013

Abschied Magnus Würth: Die Flamme, die bis zuletzt loderte

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Die 1965/67 erbaute katholische Kirche St. Johannes in Buchs AG ist ein emporstrebender Bau, welcher die für jene Zeit typische Béton-brut-Ästhetik vertritt; der Architekt Hannes A. Brütsch zeichnete damals die Pläne. Der rohe Beton kontrastiert im Inneren mit dunklem Holz.
 
Draussen schneite es am Donnerstagnachmittag, 17.01.2013, leicht, als wohl über 300 Personen von der Bühlstrasse her den kühlen Kirchenraum betraten und sich einen Platz suchten. Auf dem Boden im ausladenden Altarbereich der zurückhaltend ausgestatteten Kirche loderte eine Flamme aus einem von Magnus Würth gestalteten Eisenwürfel von etwa 40 cm Kantenlänge, der auf einer Ecke wie balancierend stand und oben mit dem Schweissgerät um rund einen Drittel unregelmässig gekappt war, so dass das Innere als Feuerraum dienen konnte. Mir schien es, als ob die Flammenformen eine Übereinstimmung mit den ausgefransten Würfelwänden suchen wollten.
 
Die Abdankungsfeier galt Magnus Würth aus Gränichen AG, der am 09.01.2013, für Aussenstehende völlig überraschend, gestorben war. Wegen eines Bauchspeicheldrüsentumors musste er insgesamt 6 Operationen über sich ergehen lassen; im Dezember kam er kaum noch aus der Intensivstation heraus, und schliesslich erlosch sein Lebenslicht im 70. Altersjahr, obschon sein Buch des Lebens, von dem am Gedenkanlass gesprochen wurde, noch leere Seiten aufwies. Seine liebenswürdige Frau Vera stand ihm bei, wo immer sie konnte, begleitete ihn täglich stundenlang an seinem Krankenbett. Für sie war es kaum erträglich, nachdem sie jede Hoffnung hatte aufgeben müssen. Schwerwiegende Komplikationen raubten die letzten Kräfte.
 
Als ich in der Zeitung „Der Sonntag“ vom 13.01.2013 in der Rubrik „Zum Gedenken“ vom Hinschied von Magnus las, konnte ich es nicht fassen, nicht glauben. Noch Anfang Oktober 2012 hatte ich an seinem „Männerreisli“ in die Ostschweiz, wo er aufgewachsen war, teilgenommen, dabei sein Organisationstalent, seinen Charme, gepaart mit Schalk und einer spitzbübischen Art, erlebt. Das waren wegen der vielen Besichtigungen lehrreiche, aber gleichzeitig auch beschwingte Tage, die durch nichts getrübt wurden. Irgendwelche gesundheitliche Beschwerden waren bei Magnus nicht auszumachen gewesen. Und jetzt das. Es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
 
Die persönlichen Ansprachen an der Abdankungsfeier brachten mir die Beliebtheit von Magnus Würth noch deutlicher ins Bewusstsein, und keiner der Referenten konnte seine Stimme unter Kontrolle halten, wenn er den schmerzlichen Verlust ansprach. Die Worte kamen vom Herzen, gingen zu Herzen.
 
Der Schwiegersohn Florian Lotter-Würth rief einige Lebensdaten in Erinnerung: Magnus wurde am 09.05.1943 zusammen mit seinem Zwillingsbruder in Horn TG geboren, erlebte in brüderlicher Zweisamkeit unvergessliche Jugendjahre und absolvierte eine Lehre als Werkzeugmacher und besuchte das Abend-Technikum. Magnus heiratete am 19.10.1968 seine Vera. Aus dieser glücklichen Ehe gingen 2 Kinder hervor: Stephan (1974) und Nicole (1976). 1980 wurde das Eigenheim an der Vorgasse 8 in Gränichen bezogen.
 
Magnus Würth widmete den grössten Teil seines Arbeitslebens der Jowa (Migros-Betrieb); doch das Wochenende gehörte immer seiner Familie. Ab 1977 war er technischer Leiter bei der Jowa Volketswil (Bezirk Uster ZH), bei deren Aufbau er für die Beschaffung der Produktionsanlagen verantwortlich war, wie Markus Baur, der Leiter der Verkaufsregion Migros Aare, ausführte. Bald darauf wurde Magnus Würth Geschäftsführer der neuen Jowa Gränichen (seit 1957 hatte die Jowa in Suhr produziert); dieses neue Unternehmen hat er deutlich geprägt. Vor allem sei es ihm daran gelegen gewesen, dass es allen Mitarbeitern gut ging; er suchte deren Nähe, machte täglich Rundgänge durch den Betrieb, sagte Markus Baur. Auch Magnus’ technisches Flair und sein Ehrgeiz verhalfen dem Unternehmen zum Erfolg – er war kein Theoretiker, sondern ein Macher, fand unter viel anderem heraus, wie man Schinkengipfeli automatisch rollen und falten und wie man einen dünnen Pizzateig über die Produktionsanlage laufen lassen kann, ohne dass dieser zwischen die Bänder fällt.
 
Nach der vorzeitigen Pensionierung (2001) konnte sich Magnus vermehrt seiner Familie und seinen Hobbys widmen: Skulpturen aus Metall und knorrigem, verwachsenem Holz (Drechslerarbeiten). An die entsprechenden handwerklich-künstlerischen Weiterbildungen erinnerte Dölf Pfister, ein Freund des Verstorbenen und Vorstandskollege im Verein Schloss Liebegg, den Magnus Würth seit der Gründung am 07.03.2002 präsidiert hatte.
 
Auch dem bis anhin verträumten, verschlafenen Schloss Liebegg auf einem Felsensporn kamen Würths Schaffenskraft, Authentizität und seine natürliche Autorität zugute. Unter seiner Schlossherrschaft blühte die Anlage im unteren Wynental förmlich auf. Der Kanton Aargau als Besitzer des denkmalgeschützten Schlosses hatte es aufwendig renovieren lassen und an eine unabhängige Trägerschaft übertragen, die für die Betriebsführung verantwortlich zeichnet. Magnus war selbstverständlich die denkbar beste Person dafür, ein Erfolgsgarant. Sein Ideenreichtum führte dazu, dass der Schlossbetrieb selbsttragend wurde. Kulturelle Veranstaltungen, Vereins- und Firmenanlässe, Festivitäten privater Natur wie Hochzeiten usf. wechselten und wechseln sich ununterbrochen ab. Das Schloss lebte und lebt wieder und konnte beim 10-Jahre-Jubiläum im August 2012 auf ein höchst erfolgreiches Dezennium zurückblicken.
 
Mir schien es immer, dass überhaupt alles gelang, was Magnus in die Hände nahm – im Kleinen und im Grossen, in seinem engen Lebensumfeld und wenn er seiner Weltoffenheit nachgab und grössere Reisen unternahm.
 
Stephan Würth schilderte eine seiner letzten Begegnungen mit seinem Vater in bewegenden Worten. Im November 2012 zeigte er ihm erstmals seine Drechslerwerkstatt in Unterentfelden voller Stolz, sein persönliches Reich, und er sagte nebenher: „Das kannst du dann erben“. Dazu Stephan: „Dieser Satz kam von einem speziellen Ort und hatte eine andere Tiefe. Die Worte trafen mich direkt in meinem Herzen (...) Jeder Mensch trägt sein persönliches Regiebüchlein tief in sich drin, an einem Ort der Stille. Wenn wir uns selbst ganz nahe sind, hören wir dessen feine Stimme.“ Als Magnus wenige Wochen später ins Spital eintreten musste, fragte sich Stephan, ob sein Vater vielleicht gespürt hatte, dass sein Ende nahte. Die Bauchschmerzen nahmen zu, das Essen schmeckte nicht mehr.
 
Magnus Würth wirkte noch in den letzten Tagen jung und friedlich. Sein Körper wurde schwächer, und sein Wesenskern kam deutlicher zum Vorschein. Noch als ihm das Reden schwer fiel, waren die Augen wach und neugierig, wie sein Sohn feststellte – „die Augen sind des Herzens Tor“ (Shakespeare). Wenig später gingen sie für immer zu.
 
Die Flammen im eisernen, von Rost überzogenen Würfel in der Buchser Kirche, die während der mit Querflöten- und Orgelmusik einfühlsam umrahmten Feier ständig loderten, wurden kleiner, schwächer, gaben die heftigen Bewegungen auf und zogen sich ins Metallgehäuse zurück, das Magnus vielleicht für eben diesen Anlass geschaffen hatte.
 
 
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