Textatelier
BLOG vom: 16.02.2013

Das verschwundene Basel: Altes ist durch Neues ersetzt

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Kürzlich erstand ich im Lörracher Antiquariat „Tröger“ das Buch „Das verschwundene Basel“ von Eugen A. Meier aus dem Jahr 1968. Da ich diesen Autor sehr schätze und schon einige Bücher von ihm besitze, wusste ich, dass dieser sehr lebendig schreibt und wohlfundierte und sorgfältig bearbeitete Werke über Basel verfasst hat. Auch diesmal wurde ich nicht enttäuscht. Meier (1933 bis 2004) beschrieb in diesem Buch, das mit vielen neueren und älteren Aufnahmen und Stichen versehen ist, die gewaltige Umgestaltung der Stadt im Zeitabschnitt von 100 Jahren (bis 1967).
 
Besonders bedauere ich, dass etliche alte Stadttore, Brücken und Gebäude infolge des Bevölkerungszuwachses und des Verkehrsaufkommens in der Stadt verschwunden sind. Die Baufreude und der Spekulationstrieb spielten sicherlich auch eine Rolle. Dazu der Autor: „Das Alte ist durch Neues, nicht immer Besseres, aber auch nicht bloss Schlechteres, ersetzt worden.“
 
Man muss jedoch auch bemerken, dass die hervorragende baslerische Wohn- und Baukultur verschwunden ist. Nur einige bemalte Decken und Einrichtungsgegenstände wurden gerettet. Diese sind jetzt inur m Historischen Museum zu sehen.
 
Heute dürfte eine Vernichtung von historischer Bausubstanz nicht mehr genehmigt werden, obwohl es auch in Deutschland in neuerer Zeit zu schnellen Abrissen von historischen Gebäuden kam. Bei den unglaublich intensiven Bombardierungen durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg ging viel Bausubstanz endgültig verloren. Manches konnte zum Glück aus den Trümmern wieder aufgebaut werden.
 
In diesem Blog werde ich keinesfalls Aufzählungen und Beschreibungen der abgerissenen Gebäude bringen, sondern Geschichten über Besonderheiten und über das oft nicht leichte Leben der Menschen im damaligen Basel in den Vordergrund stellen.
 
Todesstrafe für leichte Vergehen
Im Mittelalter wurde die Todesstrafe auch für leichtere Vergehen ausgesprochen. Besonders im Visier der Stadtoberen waren Diebs- und Räuberbanden, die in die Stadt kamen und darin ihr Unwesen trieben. Ihre Geständnisse wurden durch Folterwerkzeuge erpresst. Danach wurden sie dem Scharfrichter überstellt. Man wollte sich für Diebsgesindel die Verpflegungskosten sparen.
 
Straffällige Bürger der Stadt wurden milder bestraft. Sie mussten nach einer kurzen Haft die Stadt verlassen. So wurde der Augustinermönch Jacob Freitag, der Geld gestohlen und weiterhin die Messe gelesen hatte, nach einer Haft 1527 für „ewiglich 10 Meilen vor der Stadt verbannt.“
 
In den Eselturm oder Wasserturm wurden Leute wegen Ehezwisten, Ehebruchs, Kuppelei, Sittlichkeitsdelikten, leichtfertigen Lebenswandels und Völlerei gesteckt. So kam die Frau des Niklaus Petri „umb ihres gellenden, rasenden, bösen mules willen“ in den Wasserturm zur „Abkühlung“.
 
Auch ein Sohn des Bürgermeisters Bernhard Meyer wurde 1551 wegen wiederholten Ehebruchs in den Turm gesteckt. Der „heillose Schurke“, der 4 uneheliche Töchter gezeugt hatte, litt jedoch unter einer körperlichen Schwäche, so dass man ihn nicht lange im Verlies, das auch Zufluchtsort von Ratten und Mäusen war, beliess, sondern ihn in eine Pflegestation überwies. Wundern muss man sich, dass er bei der Zeugung keine Schwäche zeigte. War seine Kraftlosigkeit nur vorgespielt gewesen?
 
1599 wurde der Stadtdiener Bernhard Grüeb, der „täglich voll und doll“ und sich „zwischen zwo gmein lunthen (Dirnen)“ in eine öffentliche Badstube gesetzt hatte, in den Wasserturm gesperrt.
 
Die Hinrichtungen in Basel und auch anderswo waren für die Zuschauer eine Spektakel ohnegleichen. 3 Verbrecher aus Inzlingen, Sonderach und Colmar wurden wegen Strassenraub, Brandstiftung und Mord zum Tod durch das Schwert verurteilt. Zu diesem Schauspiel kamen etwa 20 000 Menschen. Es waren am 04.08.1819 die letzten Hinrichtungen in Basel.
 
1371 wurde ein Henker von einem Geldwechsler erstochen. Der Grund war der Folgende: Der Mörder war derart über den Henker erbost, weil er einen Dieb so schlecht aufknöpfte, dass er im Sarge wieder lebendig wurde.
 
Kloakenputzer als Retter
Noch im 19. Jahrhundert gab es in Basel 125 am Birsig liegende Abtritte („Orgelpfeifen“) und 16 Dolen. Die Exkremente und Abfälle wurden in die Birsig geleitet. Alle paar Jahrzehnte wurde der Fluss durch die Kohlenberger vom Dreck gesäubert. Die Kloakenputzer mussten einmal eine Frau retten. Hier der Bericht: „Die Kloakenputzer waren die Retter in der Not, im wahrsten Sinne des Wortes, als unter einer behäbigen Matrone der morsche Sitz zerbrach. Mit vereinten Kräften, von oben und von unten, durch Stossen und mit Ziehen wurde die Gute aus dem engen Bretterschacht gewuchtet, zurück ans Tageslicht.“
 
Kaum zu glauben: In Basel wurden früher weit über 100 Misthaufen gezählt. Den Mist produzierten 600 Pferde, 71 Kühe und 330 Schweine.
 
Es gab auch 2 fürchterliche Epidemien. 1855 brach die Cholera aus und raffte 205 Einwohner dahin. 1865 kam eine Typhus-Epidemie auf die Stadt zu. 4000 Bürger wurden krank, etwa 10 % davon starben.
 
Um die hygienischen Verhältnis zu verbessern, schlug der Rat 1876 vor, endlich die Stadt zu kanalisieren. Wegen der hohen Kosten für die Hausbesitzer wurde das Referendum abgelehnt. 10 Jahre später wurde eine Korrektion der „Cloaca maxima der grossen Stadt“ wieder abgelehnt. Dann wurde die Korrektion doch beschlossen. 1890 war diese beendet. Die Birsig wurde später in mehreren Abschnitten überwölbt.
 
Hier wirtete die Lisettli
Das schmale Handwerkerhaus aus dem Jahre 1357 wurde auch als das „grüne Haus“ genannt. Seit 1572 trug es den Namen „zum Lämmlein“. Es war sowohl vom Spalenberg 5 als auch vom Münzgässlein 8 zugänglich. Nach vielen Besitzerwechseln übernahm 1888 Jakob Hunziker-Eichenberger die Haassche Weinschenke. Nach dem Tod des Besitzers führten seine Frau und Tochter (Lisettli) die Wirtschaft weiter. Von 1922 bis 1963 besorgte dann Lisettli die Weinstube in eigener Verantwortung. Die Gäste nannten sie liebevoll „Fräulein“. Sie war rührend und aufmerksam um ihre Gäste bemüht. Hier fühlten sich Professoren, Studenten, Geschäftsleute, Handwerker, Künstler und Beamte wohl. Die Wirtschaft war mit 2 grossen und 5 kleinen Tischen und 35 Stühlen bestückt. Die Gaststube war mit einem Gittergewebe (Kanevas) zu den Fenstern abgetrennt. Somit war ein Hinausblicken, aber kein Hineinblicken möglich. Die Gäste sollten vor neugierigen Blicken verschont bleiben.
 
Den Wein bezog Lisettli immer von denselben Rebbauern im Elsass und dem Markgräflerland. Im Keller standen Fässer mit 10 bis 15 Hektoliter Inhalt. Sehr beliebt waren ihre Fondues und Zwiebelwähen. Im Alter von 82 Jahren wirtete sie am 30.09.1963 zum letzten Mal. 1966 wurde das Haus abgerissen. Es wurden dabei gotische und barocke Malereien unter dem Putz entdeckt.
 
Frömmigkeit in Basel
Am 11.12.1845 wurde der französische Bahnhof hinter der Lottergasse eingeweiht. Damals hatte Basel 28 000 Einwohner. Da der erste Zug immer um 9 Uhr eintraf, wurden die Fahrer der bereitstehenden Omnibusse darauf hingewiesen, dass sie erst um 10 Uhr abfahren dürften, da sonst der Gottesdienst am Sonntag gestört werden könnte. Damit wird „der Stadt Basel der Ruf peinlicher Frömmigkeit auch im Ausland gesichert“. Heute wird trotz Sonntagsgottesdienst herumgefahren. Manche zieht es auch in die Wirtschaft. Das war früher ebenfalls verboten.
 
Bettler in der Stadt
Die Basler Räte liessen die sich vermehrenden Bettler in der Stadt in Augenschein nehmen. „Die Profosen (Bettelvögte) wurden angehalten, die aus dem Ausland kommenden Bettler und Tagdiebe mit Stricken an den Füssen und einem Besen auf der Achsel in den Strassen herumzuführen.“ Die Obrigkeit war dauernd bemüht, auf „solche lüderliche und faule Tropfen ein scharfes Aug zu werfen, durch ihre Stadt- und Gerichtsdiener aufzuheben und nach gestalten Sachen züchtigen zu lassen mit Gefängnis, Springern und anderen Strafen (Arbeitsanstalt), damit ihnen der Bettelstab verleidet, hingegen der Appetit zur Arbeit geschärft werde.“ „Bosfertige“ Manns- und Weiberleut wurden mit einem eisernen Halsband mit langem Schnabel und einer daran befindlichen Schelle behängt und in die Elendenherberge gebracht. Dadurch sollten die durchreisenden Armen abgeschreckt werden, damit sie nie mehr in die Stadt kommen.
 
Heute werden Arme und Arbeitsunwillige nicht so vorgeführt. Sie bekommen vom Staat Sozialhilfe. Da braucht man nicht mehr unbedingt zu arbeiten.
 
Dazu fiel mir just eine Geschichte ein, die sich vor etlichen Jahren in Oftersheim bei Schwetzingen ereignet hatte: 3 Obdachlose sassen auf einer Bank vor dem Rathaus. Ein Gemeindeangestellter kam vorbei und befragte einen der Herumziehenden: „Sie haben doch sicher einen Beruf erlernt.“„Ich bin Gärtner“, antwortete der etwas verwildert aussehende Mann unwirsch. „Ich gehe mal rein, ich glaube es ist eine Stelle für Sie frei“, meinte der Bedienstete und verschwand flugs im Gebäude. Als er dem Gärtner die freie Stelle offerieren wollte, hatten die Drei schon das Weite gesucht.
 
Ein anderes Mal wollten 2 Obdachlose ihre Sozialhilfe auf dem Rathaus abholen. Da kam ihnen der Bürgermeister in die Quere. Er meinte, sie bekämen erst das Geld, wenn sie 2 Stunden Kehrarbeiten rund ums Rathaus und auf dem Friedhof durchgeführt hätten. Er konnte den Jungs die Arbeit nicht schmackhaft machen, sie lehnten ab und verschwanden. Seitdem machten sämtlich Obdachlose um Oftersheim einen grossen Bogen. Sie flüchteten in die Nachbargemeinde und holten dort ihr Geld ab.
 
Kaiser Ferdinand I. in Basel
Als Kaiser Ferdinand I. (1503−1564) am 08.01.1563 mit seinem Gefolge am Bläsitor eintraf, wurde er von den Verordneten der Stadt herzlich empfangen. Die Stadtvertreter wurden angeführt von 80 Reitern und Musikanten. Durch das Spalier der im Harnisch aufwartenden Bürgerschaft wurden die Gäste zum Utenheimerhof (Rittergasse 19) geleitet. „Stolz schreitet Bürgermeister Krug, ,sein schweitzer barretin in der handt’ tragend, neben dem auf einem Schimmel reitenden Herrscher unter dem kostbaren, aus 24 Ellen schwarzen und weissen Damasts und 52 Lot venezianischer Seide gearbeiteten Himmel.“ Dann wurde im „Schlüssel“ gespeist; 100 Personen nahmen daran teil. Es gab folgendes Menü (übersetzt): 
  1. Vorspeise: Pasteten mit jungen Tauben oder Hühnchen,
  2. Suppen mit Fleisch und in jeder Pfanne 2 gesottene Hennen,
  3. Heissgesottener Fisch,
  4. Wildbret in Pfeffer,
  5. Gebratene, frische Hennen und Salmen,
  6. Kaltsannen (? - ein wohl nicht mehr identifizierbares Gericht),
  7. Obst und Käse. 
Bevor der Kaiser nach Rheinfelden weiterritt, wurde er noch fürstlich mit Geschenken überhäuft. Die Stadt schenkte ihm ein silbervergoldetes Trinkgeschirr im Wert von 150 Pfund, angefüllt mit 1000 rheinischen Golddukaten, dazu noch 10 Fässer Wein und 50 Sack Hafer.
 
So überschwänglich wurde danach wohl kein deutscher Kaiser mehr empfangen, so fürstlich bewirtet und beschenkt.
 
1847 wurde das Bläsitor abgerissen.
 
Literatur
Meier, Eugen A.: „Das verschwundene Basel“, Pharos-Verlag Hansrudolf Schwabe AG, Basel 1968.
 
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