Textatelier
BLOG vom: 08.03.2013

Thar-Exkursion: Faszinierende, belebte indische Wüste

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D, zurzeit in Rajasthan/Indien
 
Rajasthan, im Norden Indiens, grenzt im Westen an Pakistan. Die Grenze führt durch ein Wüstengebiet, grösser als das Saarland: die Wüste Thar.
 
Ich habe eine geführte Safari mit Jitu unternommen; er ist gelernter Zoologe und führt das preiswerte Vinaayak Guest House in der Nähe des grossen Forts in Bikaner.
 
Es gibt 2 Angebote und verschiedene Varianten. Die Angebote, die ich angenommen habe, waren eine Wildlife-Safari und ein paar Tage später woanders eine Kamel-Safari durch die Wüste, einschliesslich einer Übernachtung unter dem Sternenhimmel. Die Safaris können auch mehrtägig sein.
 
Zuerst einmal musste ich meine Vorstellung von der Wüste als ein Gebiet nur mit Sand, sandigen Dünen und Sandstürmen erweitern. Die Wüste Thar ist ein leicht hügeliges, sandiges Gebiet, in dem Sträucher und Bäume wachsen. Mal gibt es mehr Bewachsung, mal weniger. Die Farbe des Bodens ist meistens erdig. Reine Sandgebiete mit Sand, wie man sie vom Küstengebiet her kennt, sind hier eher selten. Kleinere Teile sind mit Futterpflanzen kultiviert.
 
Die Nacht vor meinem Besuch im Februar 2013 hatte es geregnet, und die Fläche war ein wenig grün, bedeckt mit kurzen Gräsern. Die Wurzeln der Bäume ragten bis zu 50 cm aus dem Wüstenboden heraus und formten ineinander verschlungene, bizarre Gebilde. Wenn man will, kann man in den Formen Gesichter oder Tiere entdecken.
 
Die Wüste Thar wird von vielen Tieren bewohnt. Zuerst einmal fällt die Gruppe von 20 bis 30 Kamelen auf, die hier die harten stacheligen Äste der Wüstensträucher, genannt Wüstenbeere, fressen. Ein paar Kameltreiber halten sie von einem kleinen Hügel aus im Auge. Dort oben kochten sie auch für uns Milchkaffee mit Kamelmilch, leicht salzig und durch den Fettgehalt der Milch sehr lecker.
 
Überall in Indien sind Kühe anzutreffen, auch hier in der Wüste. Sie fressen die spärlichen Gräser. Ebenso gibt es in Indien viele frei laufende Hunde, meistens kurzhaarige, hellbraune Tiere. Sie fressen hier Aas. Des Weiteren sieht man viele Ziegen und gelegentlich Schafe, öfters auch ohne menschliche Begleitung.
 
Die Teilnehmer der Wüstensafari interessieren sich nicht für diese Nutztiere, sondern für wildlebende Vierbeiner und für Vögel. Diese gibt es reichlich, aber man muss oft genau beobachten, um sie zu entdecken.
 
Da schaut zuerst einmal eine Wüstenratte aus ihrem Loch. Sie sieht putzig aus, etwa wie ein Meerschweinchen. Sie ist sehr schnell. Es gibt sie zu Tausenden hier in der Wüste, und diese Ratten sind eine häufige Beute von Raubvögeln. Ein Wüstenfuchs kommt näher, verschwindet hinter einem Baum und läuft dann weiter, ein schönes Tier mit einem langen buschigen Schwanz.
 
Ein Hauptaugenmerk in der Wüste ist auf die vielfältige Vogelwelt zu richten, für Ornithologen eine wahre Fundgrube. Ich brauche nicht die Namen aller Vögel zu wissen, sondern will einfach nur schauen.
 
Ich sehe verschiedene Arten von Adler, einen Ibis mit gerötetem Kopf, einen Bienenfresser mit langem, gekrümmtem Schnabel. Jitu macht mich auf einen Bussard aufmerksam. Adler und Geier kreisen am Himmel. Ein Uhu lugt aus einem Loch in einem Baum heraus. Sogar eine Lerche fliegt über unseren Jeep hinweg. Auf einem Baum sitzt ein rötlich schimmernder Pirol.
 
Es gibt Antilopen unterschiedlicher Grösse und Farbe zu entdecken: Da sind die kleinen mit ihrem hellbraunen Fell und den 2, manchmal auch 4 kleinen spitzen Hörnern. Dann sehen wir ein schwarzes, kuhähnliches Tier mit kleinen Hörnern. Diese Rinderart ist vom Aussterben bedroht und nicht auf jeder Safari zu sehen. Die kleinen Antilopen sieht man häufiger, manchmal sind es Familien mit 2 oder 3 Kindern.
 
Wir fahren zu einer ganzen Kolonie von Geiern, dem Rotkopfgeier, dem etwas kleineren indischen Geier und weiteren Arten.
 
In der Nähe ist eine Hütte der Boschnoi, einer Kaste. Sie lebt vegetarisch und setzt sich für den Schutz der Tiere ein. Sie sorgt dafür, dass die Kadaver verendeter Kühe hier abgelegt werden, den Geiern zum Frasse. Auf dem Wüstensandboden sieht man kleine hässliche Erhöhungen mit bunten Plastikfolien, vermischt mit Wüstensand. Jitu fragt mich, ob ich mir eine Erklärung dafür geben könne. Es handelt sich nicht um frischen Abfall irgendwelcher Touristen oder der hier lebenden Bevölkerung, sondern sozusagen um sekundären.
 
Die Spur führt zu den Kühen, die Plastik gefressen haben. Die Kühe in Indien leben meistens auf der Strasse, trotten mitten im Verkehr umher, überqueren die Strasse, wann immer es ihnen einfällt oder legen sich einfach irgendwo hin. Am Strassenrand in Indien findet sich häufig Abfall, der einfach dort hingeworfen wurde. Eine funktionierende Abfallbeseitigung gibt es oft nicht. Die Kühe wiederum suchen sich Fressbares aus dem Abfall, dabei verschmähen sie auch häufig Plastikabfall wie Tüten und Folien nicht. (Auch aus europäischen Ländern sind zahlreiche Fälle bekannt, bei denen Rinder nach dem Verschlucken von herumliegendem Plastikabfall operiert werden mussten oder qualvoll verendet sind.) Diese Kunststofffragmente werden im Magen der Kuh nicht verdaut. Wenn die Kadaver dann in der Wüste abgelegt werden, bleiben diese Plastikreste auf Boden liegen. Die abgenagten Knochen der Kühe werden wieder eingesammelt und dienen der Herstellung von Gelatine und anderem.
*
Ich kann eine Wüstendüne erklimmen und schaue über die unendlich scheinende Wüstenfläche; in diesem Moment sind hier keine Tiere sichtbar. Die Ruhe im sonst so lauten Indien ist wohltuend. Diese Ruhe zu suchen und zu finden, ist auch das Ziel des 2. Ausfluges in die Wüste. Etwa 30 km von Jaisalmer, einer alten Festungsstadt, entfernt, kommen wir zu einem kleinen Dorf.
 
Dort erwartet mich ein Kamelführer. Das Kamel, eigentlich ein Dromedar mit nur einem Höcker, aber hier werden sie nur „Camel“ genannt, liegt auf dem Boden. Auf seinem Rücken ist ein Sitz aus Decken befestigt und ein Knauf, direkt hinter dem Hals des Tiers. Ich steige hinauf. Meine Beine werden rechts und links vom Bauch des Tieres stark gespreizt. Dann werde ich aufgefordert, mich gut festzuhalten. Mehrmals schwanke ich nach vorn und hinten, während sich das Kamel aufrichtet. Ich sitze in etwa 2 m Höhe und schaue auf Hals und Kopf des Tieres und auf den Kamelführer, der sich das befestigte Führungsseil um seinen Körper geschwungen hat. Er trägt die traditionelle indische Kleidung und einen Turban.
 
Dass Ungewohnte vom Kamelreiten seekrank werden können, halte ich für ein Gerücht. Im Schritt des Tiers schwankt der Reiter nach vorn und hinten. Es ist nicht unangenehm, ich fühle mich nur durch den Sitz ein wenig eingeengt. Langsam geht es durch die Wüste. Wir nähern uns einer etwa 2 km langen, hügeligen Sanddüne, gelber, manchmal weisser Sand, wie er von den Stränden der Meere bekannt ist. Nur gibt es hier kein Wasser, und die Dünen sind breit und von der Sonne beschienen. Langsam läuft das Kamel hinauf. Bei Begegnungen mit Artgenossen sieht es immer dorthin und wird ein wenig unruhig. Ausser einer Art Muhen, ähnlich demjenigen von Kühen, aber kürzer, macht das Tier manchmal ein Geräusch, als ob eine Menge Wasser einen Abfluss hinunterfliesst, und es drückt seine Zunge an einer Seite heraus. Sie sieht aus wie ein rötlich-blauer Sack, den das Tier leicht aufbläst und dann wieder ins Maul zieht. Die Äste der Wüstenbeere lenken immer wieder den Blick und Schritt dorthin, und es frisst die harten, auch stacheligen Zweige, dabei entsteht weisser Schaum um sein Maul herum.
 
Oben auf der Sanddüne wird Pause gemacht. Der Kamelführer legt sich hin und bald ist er unter einer braunen Decke ganz verschwunden. Das Kamel hat sich ebenfalls hingelegt. Ich laufe ein wenig auf der Düne umher, setze mich und blicke auf die unendliche Wüstenfläche. Dann lege ich mich in den Schatten, den eine Düne wirft. Neben mir läuft ein etwa 3 cm grosser schwarzer Käfer vorbei.
 
Am Abend nach dem Essen und einer kleinen Musikaufführung, bei der eine junge Frau in einem traditionellen indischen Kostüm tanzt, werden die anderen Touristen und ich gefragt, ob wir in der Wüste übernachten wollen. Ich sage zu, und bald können wir auf einen Kamelkarren steigen, auf dem schon allerlei Decken liegen. Es ist schon ganz dunkel; erst beim Absteigen merke ich, dass wir wieder die Dünen erreicht haben. In weiten Abständen legt der Kamelführer die Decken aus, eine feste grüne Unterlage, eine Art dünne Matratze und ein Deckbett. Der Mond ist noch nicht da, und der Sternenhimmel ist prächtig. Dann geht langsam der Mond auf, gerade gewesener Vollmond, also etwas eiförmig, aber strahlend hell. Es sind nur noch wenig Sterne zu sehen. Eine hell leuchtende Sternschnuppe fliegt ein ganzes Stück über den Himmel und erlischt.
 
Das Dorf in Reichweite wird ruhiger, dann ist es fast still, manchmal hört man das Kamel noch und die immer wieder bellenden Hunde im Dorf.

Es ist ein bisschen windig, so dass ich mich ganz unter die Bettdecke verziehe. Dort ist es wohlig warm. Die Unterlage ist ziemlich hart, so dass ich nur wenig schlafe. Manchmal gibt es ausser dem Wind keinerlei andere Geräusche, und ich schaue hinaus und blicke in den schwarzen Himmel, sehe das Sternbild des Wagens und den leuchtenden Mond. Nur der Wind bläst über mich hinweg.
 
Es dämmert, ich stehe auf, klettere auf die Düne, sinke immer wieder im Sand ein, warte auf den Sonnenaufgang und rate, an welcher Stelle des Rands das Schauspiel zu sehen sein wird. Das erste Rund taucht auf, und bald ist die noch strahlend weisse Scheibe ganz zu sehen. Am unteren Rund ändern sich die Farben immer wieder von weiss zu rosa. Die Sonne steigt schnell nach oben, und schon eine Stunde später steht sie grell am Himmel. Inzwischen hat der Kamelführer die Betten wieder auf die Karre geladen, wir steigen auf, und es geht zurück ins Dorf.
 
 
Informationen
 
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