Textatelier
BLOG vom: 13.04.2013

Brief an eine Bekannte, die im Sozialsystem zuhause ist

 
Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Liebe Daniela!
 
Als ehemaliger langjähriger Nachbar in dem Haus, in dem Du gross geworden bist, und Freund Deiner Eltern sende ich Dir zu Deinem 40. Geburtstag Grüsse. 40 Jahre sind ein Anlass, darüber nachzudenken, was Du bisher aus Deinem Leben gemacht hast. Ich liste einfach einmal das auf, was auf Dich zutrifft:
 
Du hast einen einfachen Hauptschulabschluss geschafft. Nach viel Ärger zu Hause bist Du ausgezogen; dafür hast Du Unterstützung vom Jugendamt bekommen. Die erste Ausbildung und Lehre hast Du nach kurzer Zeit abgebrochen. Ein weiterer Versuch einer Ausbildung ist ebenfalls schiefgegangen. Dann bist Du schwanger geworden. Du warst 17, als Du Dein Kind bekommen hast. Mit 18 hast Du den Vater geheiratet. Auch er hatte keine Ausbildung und keine Arbeitsstelle. Nach einem knappen Jahr hat er sich von Dir scheiden lassen.
 
Bald hast Du einen anderen Mann kennengelernt. Auch von diesem Mann bist Du schwanger geworden. Deine beiden Mädchen hast Du Iris und Irene genannt.
 
Mit dem 2. Mann hast Du eine Zeitlang zusammengelebt. Auch er war arbeitslos und ohne Ausbildung. Du bist in eine andere Wohnung gezogen. Eines Tages war der Mann verschwunden, Du hast ihn nie wieder gesehen. Die beiden Väter Deiner Töchter haben noch nie Alimente bezahlt.
 
Als das jüngste Mädchen etwas älter war, hast Du eine Halbtagsstelle in einem Supermarkt bekommen. Wegen der Krankheit eines der Mädchen bist Du nicht wieder hingegangen, und Dir ist gekündigt worden. Du bist wieder umgezogen, aufs Land, weil das Deiner Meinung nach für die Mädchen gesünder sei als in der Stadt.
 
Im Internet hast Du Dir eine Website einrichten lassen. Du verkaufst jetzt gebrauchte Kinderkleidung. Dazu hast Du über das Internet einen Kurs belegt und einige Kenntnisse erworben. Deine Kunden haben aber meistens selbst kein Geld, deshalb lässt Du ihnen manchmal etwas zukommen.
 
Dein Vater hat Dir immer wieder mit Geld ausgeholfen, vor allem wegen den Kleinen. Du bist von einer „Kuschelpädagogik“ überzeugt; die Kinder sollen glücklich aufwachsen. Vom Grenzensetzen hältst Du nichts.
 
Irene ist dann in die Grundschule gekommen. Sie hat schnell Probleme bekommen, weil sie sich nicht anpassen kann und keine Regeln einhalten will.
 
Wenn das Geld knapp war, hast Du die beiden Mädchen zu Deinen Grosseltern, also meinen Eltern, geschickt, die ihnen immer Geld gegeben haben, obwohl sie mit einer ganz kleinen Rente auskommen mussten.
 
Dann hast Du Dich wieder einmal verliebt. Der Mann ist bald einmal zu Dir gezogen. Er hatte zwar Arbeit, aber das meiste Geld hat er für sein Auto ausgegeben. Du bekamst nur wenig Haushaltsgeld. Dann wurdest Du wieder schwanger, Erik kam auf die Welt. Nach 2 Jahren war auch diese Beziehung kaputt. Du wurdest einmal mehr Alleinerziehende.
 
Irene kam in die Hauptschule. Ihre Leistungen waren sehr schwach. Du hast der Klassenlehrerin gesagt, dass sie nicht gut unterrichte. Irene kommt auch mit ihren Mitschülern nicht klar. Dauernd gibt es Streit. Du meinst, die Mitschüler mobbten Deine Tochter.
 
Anschliessend kam Iris in die Grundschule. Das erste Schuljahr lief alles gut. Im 2. Schuljahr empfahl die Lehrerin Dir, sie in eine Förderschule zu geben. Das hast Du vehement abgelehnt und gedroht, die Lehrerin wegen schlechter Unterrichtsleistungen beim Schulrat anzuzeigen.
 
Deine Internetpräsenz brachte Dir inzwischen ein paar Euros im Monat ein, aber lange nicht genug, um davon leben zu können.
 
Dann starben Deine Grosseltern, also die Eltern Deines Vaters, zuerst die Grossmutter und ein Jahr später der Grossvater. Diese Geldquelle war versiegt.
 
Irene hat dennoch noch ihren Hauptschulabschluss geschafft. Eine Lehre hat sie abgebrochen, aber sie jobbte im Supermarkt an der Kasse. Mit 16 Jahren wurde sie schwanger, etwa zur gleichen Zeit wie Du, die Mutter, denn Du hattest Dich wieder einmal verliebt. Beide Väter haben sich aus dem Staub gemacht. Nach der Geburt der beiden Kinder seid Ihr wieder in die Stadt gezogen, weil man dort eher die Geschäfte erreicht.
 
In all den Jahren hast Du Dir viele Kenntnisse über die Sozialhilfe erworben. Du weisst, Du hast einen Rechtsanspruch darauf. Beim Sozialamt trittst Du selbstbewusst auf; Du kennst Deine Rechte. Du forderst Dein Recht ein, etwa, dass Du bei einem Umzug Recht auf eine neue Wohnungseinrichtung hast, bezahlt durch das Sozialamt.
 
Deshalb kennt das Sozialamt der Stadt Dich und Deine Familie inzwischen. Die Mitarbeiter wissen, dass Du mit allen Gesetzen vertraut bist, denn Du informierst Dich im Internet. Darin steht: „Lasst Euch nicht abweisen, Ihr seid keine Bittsteller! Ihr braucht Euch nicht dafür zu schämen, Sozialhilfe zu beantragen.“
 
Dein Vater und seine jetzige Frau haben sich immer wieder um die Kinder gekümmert. Sie haben festgestellt, dass diese keinen Respekt vor Dir haben. Deine Kinder haben es nie gelernt, Regeln einzuhalten.
 
In der Schule haben Erik und Iris dauernd Stress. Die Lehrer können in Deinen Augen nicht mit ihnen umgehen. Auch die Mitschüler sind angeblich fies zu ihnen.
 
Erik bezeichnet Dich als „blöde Kuh“ und betitelt Dich mit noch schlimmeren Ausdrücken, wenn er nicht sofort seinen Willen bekommt. Du lässt Dir das gefallen und gibst schnell nach. Ihr alle wohnt jetzt in der Stadt in einem Haus und erhält so viel Geld, dass es mehr ist, als manche Arbeiter für ihre ehrlich verdiente Arbeit erhalten.
 
Ziehen wir doch einmal ein Fazit: Du bist eine alleinerziehende Mutter mit 4 Kindern, bereits mit 40 Grossmutter, ohne Ausbildung, ohne eine Arbeitsstelle. Deine Kinder haben, bis auf eines, die Schule nicht geschafft oder dort erhebliche Probleme. Eines Deiner Kinder ist bereits mit 17 Jahren ebenfalls Mutter. Die ganze Familie ist seit Jahrzehnten abhängig von Sozialhilfe. Deine Kinder sehen es nicht ein, sich anzustrengen und auf eigenen Füssen stehen zu wollen, denn sie erleben es täglich, dass es auch ohne Arbeit geht. Irgendwie habt ihr alle ein Handy und einen Internetanschluss. Ihr lebt von „Staatsknete“, wie Ihr das nennt. Das ist in Deinen Augen richtig so, und Du willst auch keine Änderung. Deine Kinder sind ein gutes Argument, Deine Forderungen ans Sozialamt zu stellen. Deine Tochter tut das mit ihrem Kind auch.
 
Eine Bekannte ist der Ansicht, dass das auch der Grund für Dich war, wieder schwanger zu werden, denn dadurch gibt es mehr Geld und Kindergeld. Deshalb sollen Deine Kinder auch nicht ausziehen. Das neue Betreuungsgesetz wird von Dir begrüsst, es gibt noch mehr Geld.
 
Ich habe eine Meinung dazu, die Dir nicht passen wird. Du bist ein Parasit und Schmarotzer. Weisst Du überhaupt, was ein Parasit ist? Das ist ein Organismus, der sich von anderen Lebewesen ernährt und diese unter anderem zu Fortpflanzungszwecken befällt. Er kann den Wirt schädigen, indem er seine Organfunktionen beeinträchtigt, normalerweise tötet er ihn aber nicht.
 
Das Sozialsystem in Deutschland ist leider so eingerichtet, dass es Parasiten wie Dich dulden muss. Du bist „ein Schlag ins Gesicht“ jedes ehrlichen Menschen, der zur Arbeit geht, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, denn mit seiner Arbeit und seinen Steuern wirst Du, der Schmarotzer und Parasit, bezahlt. Obwohl Du nicht dumm bist, versagst Du auch bei Deinen Erziehungspflichten, weil Du nicht nur für Dich selbst keine Regeln und Grenzen einhältst, sondern von Deinen Kindern ebenfalls keine verlangst. Damit vernachlässigst Du Deine Kinder, indem Du ihnen die Fähigkeit nimmst, selbstständig zu werden. Kannst Du Dir eigentlich selbst noch ehrlich in die Augen sehen?
 
Ich könnte mir vorstellen, dass Dich das kränkt. Du siehst das ganz anders. Du hast Dich bewusst für das „Sein“ entschieden, nicht für das „Haben“. Dein „Sein“ ist Deine Mütterlichkeit, Deine Sorge für Deine Kinder. Das ist in Deinen Augen Dein Tribut an die Gesellschaft und ein ausreichender Grund dafür, dass sie Dich und Deine Kinder ernährt. Du siehst Dich als jemand, der sich bewusst nicht von den kapitalistischen Zwängen einnehmen lassen will. Du willst Dich nicht ausnutzen lassen, indem Du Deine Arbeitskraft an einen Arbeitgeber verkaufst. Dafür nimmst Du es in Kauf, dass Deine Konsummöglichkeiten und die Deiner Kinder eingeschränkt sind. Du lebst Dein Leben.
 
Mit einer solchen Lebensauffassung machst Du es Dir aber zu leicht. Es ist Dein Leben und das Deiner Kinder. Du lebst in einer Gemeinschaft. Sie geht über die Familie hinaus. Daran solltest Du denken! Der Philosoph Immanuel Kant hat einmal gesagt: „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.“ Also, in Deinem Fall würde das bedeuten, dass keiner mehr arbeiten geht und alle so ein Leben führen, wie Du es tust. Meinst Du, dann gäbe es noch das Recht, Geld vom Staat zu bekommen? Und wo soll das dann herkommen?
 
Das war es, was ich Dir schon lange mitteilen wollte. Wahrscheinlich wirst Du mich jetzt verachten, denn Du machst ja in Deinen Augen alles richtig, nur Deine Mitmenschen gönnen Dir das nicht! Ausserdem sind sie nur neidisch, weil Du und Deine Kinder „so glücklich sind“.
 
Paul
 
Anmerkung des Autors
Dieser fiktive Brief beruht auf der Beobachtung von Familienverhältnissen aus meiner Wohnumgebung. Die Briefform habe ich gewählt, weil nur ein Familienmitglied oder engerer Bekannter solche detaillierte Kenntnisse haben kann. Ich habe damit keinen Einzelfall geschildert, bin aber der Überzeugung, dass sich diese Konstellation so oder ähnlich, aber prinzipiell vergleichbar, tausendfach wiederholt.
 
Quelle
 
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