Textatelier
BLOG vom: 05.06.2013

Werbung-Analyse: Fleischgenuss, Fleischeslust, Sex sells

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Vor mir liegt eine Zeitungswerbeanzeige der Rheinischen Post, Düsseldorf D, vom 29.05.2013. Sie belegt das untere Viertel einer Seite. Darüber sind Rätsel, unter anderen ein grosses Kreuzwort-Preisrätsel. In der Mitte des Kreuzworträtsels ist die Werbung verkleinert noch einmal zu sehen. Der Gewinn kann einer von 10 Gutscheinen im Wert von je 100 Euro des Inserenten sein.
 
Die Werbung muss von unterschiedlichem Blickwinkel aus betrachtet werden. Die lesbare Schrift unterhalb und in der Mitte des Rätsels lautet in grossen Buchstaben: „Jungs kommt Grillen!“
 
Ich lerne im Duden, dass umgangssprachlich für „Jungen“ auch „Jungs“ möglich ist. Die Beispielartikel auf der Duden-Website zeigen auf, dass mit dieser Bezeichnung eher noch nicht erwachsene männliche Wesen gemeint sind, der Thesaurus weist als ersten Artikel auf „Pipi machen“ hin, mit dem Hinweis: „… zum Beispiel, kleine Jungs im Stehen“.
 
Die Übersetzungshilfeseite www.proz.com klärt mich darüber auf, dass „Jungs“ auch Erwachsene sein können, vergleichbar mit „Mädels“.
 
Das Wort „grillen“ hat lateinischen Ursprung und bedeutet „Flechtwerk, kleiner Rost“ und heisst schweizerisch „grillieren, bräteln“ und bedeutet „Braten in und durch Wärmestrahlung“. Die Werbung fordert also männliche Wesen auf, mittels eines Grills zu braten.
 
Um alle Aspekte der Anzeige zu betrachten, muss ich die Zeitung auf die Seite drehen. Der Hintergrund ist in schwarzgrauen Tönen gehalten. In Farbe ist nur das Firmenlogo „Gourmet Fleisch“ – verschiedenfarbig in Grossbuchstaben – und ein grosses Stück Nackensteak. Besonders das einige Zentimeter dicke Stück Fleisch mit den rötlichen Anteilen, dem Mittelknochen und weissen Fettanteilen sticht aus der Anzeige hervor.
 
Das Stück Fleisch ist an einer Kette aufgehängt. Die Kette hängt auf dem Rücken eines Frauenkörpers unterhalb der rechten Schulter. Die junge Frau ist nackt. Ihr Kopf ist zur rechten Schulter gedreht, die Augenlider sind heruntergeklappt, als ob sie nur durch einen kleinen Spalt nach hinten schaut. Zu sehen sind ein Teil ihrer schwarzen Haare und ihres oberen Rückens, also hauptsächlich die Schulter. Der rechte Arm ist nur ansatzweise zu sehen, darunter ein Teil ihrer rechten Brust. Die schwarzgraue Darstellung der Person erweckt den Eindruck, die Haut sei durchgehend vom Kopf bis zum unteren Rücken gebräunt, jedenfalls gleichmässig dunkel. Ob die Aufforderung an die Jungs, zu grillen, von ihr kommt, bleibt offen, wird aber suggeriert.
 
Das Verb „grillen“ wird, wenn auch selten, nicht nur bei der Zubereitung einer Mahlzeit angewandt, sondern auch dann, wenn Menschen sich in die Sonne legen oder in Solarium gehen. Ärzte warnen davor, „sich grillen zu lassen“, da das der Haut schaden könnte.
 
Die Anzeige soll Lust auf den Genuss von Fleisch machen. Der Firma gehört eine Grossmetzgerei aus Mönchengladbach/Niederrhein D, die sowohl in Fleischerfachgeschäften als auch im Internet ihre Ware anbietet. Ein Werbefilm im Internet zeigt Rinder auf grossen Weideflächen in Südamerika und anderswo, aus denen dann die Steaks hergestellt werden.
 
Zuerst einmal ist das Wort „Fleisch“ eine Bezeichnung für Weichteile bei Tieren und Pflanzen.
 
Im März 2012 veröffentlichte die Rheinische Post-online eine amerikanische Studie, bei der 38 000 Männern über den Zeitraum von 22 Jahren und 83 600 Frauen über den Zeitraum von 28 Jahren beobachtet worden seien, mit dem Ergebnis, dass der „tägliche Fleischgenuss“ die Lebenserwartungen senke, und zwar vor allem Steak oder Schnitzel vom Rind, Schwein oder Lamm.
 
Das Institut SGS Fresenius empfiehlt dagegen: „ Die Erfolgsformel für gesunden Fleischgenuss lautet heute: Fleisch nur kurz anbraten, bei milden Temperaturen weitergaren, an Kräutern und Knoblauch nicht sparen und Kohlgemüse dazu servieren.“ Nur das zu lange Braten könne Schadstoffe freisetzen.
 
Das Verzehren tierischen Fleisches ist zwischen Fleischessern einerseits und Vegetariern sowie Veganern andererseits umstritten. Der Hauptgrund ist ethischer Art; der Gesundheitsaspekt kommt dazu. Ich möchte mich in diesen Streit nicht einmischen. Niemand kann Ihnen die Entscheidung für oder dagegen abnehmen.
 
Es gibt eine Reihe von Redensarten, in denen „Fleisch“ auf den Menschen bezogen ist:
 
„Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“
„... den Weg allen Fleisches gehen“ (sterben).
„... eigen Fleisch und Blut“ (Kinder, Verwandtschaft).
„... in Fleisch und Blut übergehen ...“ (zur Gewohnheit werden).
„... sich ins eigene Fleisch schneiden ...“ (sich selbst schaden).
„... vom Fleisch fallen...“ (sehr stark abnehmen, abmagern).
„... weder Fisch noch Fleisch“, die Schweizer bevorzugen statt „Fleisch“ den “Vogel“ (nicht eindeutig, unklar sein).
 
Natürlich besteht auch der Mensch „aus Fleisch und Blut“. In der Regel wird aber bei dem Begriff seltener an ein „human being“ gedacht, schon eher an „Fleischeslust“. Dieser Begriff wird synonym zu „Fleischgenuss“ eingesetzt, wie man bei Google unschwer feststellen kann.
 
Andererseits ist „Fleischeslust“ – besonders in sexueller Hinsicht – stark auf den Menschen bezogen. So definiert der Duden den Begriff als „gehoben“ für „sinnliche, geschlechtliche Begierde“ und listet die Synonyme „Begierde, Erotik, Geschlechtstrieb, Gier, Leidenschaft, Lust, Sex, Sinnlichkeit und Wollust“ auf, und überhaupt nicht in Verbindung mit „Fleischverzehr“.
 
Die Werbeagentur spielt in der beschriebenen Anzeige mit 2 Begriffen, ohne sie zu nennen: „Fleischgenuss“ und „Fleischeslust“. Auf jeden Fall geht es um Begierde. Die Werbegestalter sind davon überzeugt, dass „sex sells“ sein muss, das heisst, ohne die Darstellung weiblicher Blösse kommen sie nicht aus. Christiane Schmerl hat in ihrer Publikation „Frauenfeindliche Werbung. Sexismus als heimlicher Lehrplan“ schon 1980 deren Funktion offengelegt:
 
1. Frau = Sex (der weibliche Körper als eye-catcher);
2. Frau = Produkt / Produkt = Frau (die dazu benutzt wird, um das Konsumprodukt zu erotisieren und zu emotionalisieren);
3. Haushalt = Frau (die natürlich die Familie zu versorgen hat);
4. „Typisch Frau“ (angebliche Schwächen und Laster werden überspitzt, der Mann muss sie bändigen);
5. Kosmetische Zwangsjacken (die permanente Aufforderung, sich für den Mann schön zu machen);
6. Emanzipation (die sich die Frau angeblich kaufen kann, damit wird sie lächerlich gemacht);
7. Männlicher Zynismus (in zweideutigen Aussagen von Männern, um die vorrangige Rolle des Mannes zu unterstreichen).
 
In der Anzeige wird vor allem der 2. Aspekt angesprochen. Das Steak ist an einer Kette befestigt, die die Frau lässig über die Schulter gehängt hat. Die „Jungs“ sollen es sich „holen“, also kaufen, um zu ihrem Genuss zu kommen.
 
Das Lösungswort des Preisrätsels ist „Sonnenschein", passt damit auch zur Aufforderung zu grillen, natürlich nur mit „Gourmetfleisch“.
 
Übrigens: Laut Wikipedia bezweifeln neueste empirische Untersuchungen hingegen die Allgemeingültigkeit der Aussage „sex sells“!
 
 
Quellen
 
Hinweis auf weitere Blogs zur Werbung
09.03.2005. Von Werbung übersättigt – in England und anderswo
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