Textatelier
BLOG vom: 19.09.2013

Fragen zu Omega-3-Fettsäuren: Wurden sie überschätzt?

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
In meinem Glanzpunkte-Artikel „Schützen Vitamine und Omega-3-Fettsäuren vor Schlaganfall?“ zeigte ich mich voll des Lobes über diese mehrfach ungesättigten Fettsäuen, betonte aber, dass eine mediterrane Kost sehr zu empfehlen sei. Mit der mediterranen Kost lag ich richtig, aber wie sieht es mit den genannten Fettsäuren aus?
 
Nun gibt es neue Studien, die etliche Wirkungen der Omega-3-FS in Frage stellen. Bei den Studien muss man vorsichtig sein. Durch geschickt durchgeführte Experimente und durch gute Auswahl von Messanalysen kann man jedes Ergebnis erzielen. So wird ein Pharmakonzern versuchen, sein neu entwickeltes Medikament positiv beurteilen zu lassen. In einigen Fällen in der Vergangenheit wurden negative Aussagen einfach weggelassen. Die Institute werden für ihre Dienste fürstlich entlohnt.
 
Positive Ergebnisse über Nahrungsergänzungsmittel aller Art werden zunächst von der Presse, dann vom Verbraucher gierig aufgenommen. Schliesslich wollen die meisten ihre Ernährungsgewohnheiten beibehalten und mit den „Gesundheitspillen“ etwas Gutes für ihren überfütterten und falsch ernährten Körper tun. Kein Wunder, dass sich diese Produkte sehr gut verkaufen lassen. Beispiel: Allein in den USA werden jährlich etwa 13 Milliarden Dollar pro Jahr mit diesen FS-Pillen umgesetzt.
 
Nach einiger Zeit erfolgt dann eine Ernüchterung, wenn neue Studien auftauchen, Nebenwirkungen oder eine Wirkungslosigkeit publik werden. Aber kann man den neuen Untersuchungen trauen? Vielleicht werden die heute aktuellen Ergebnisse später widerrufen.
 
Auf jeden Fall ist der Verbraucher durch diesen Zick-Zack-Kurs (einmal wirksam, dann plötzlich unwirksam) verunsichert. Aus diesem Grunde werde ich einmal mit einem Verbraucher in einem Frage-und-Antwort-Spiel die neuen und alten Ergebnisse beleuchten.
 
Sie loben in ihrem Glanzpunkte-Artikel sehr die mediterrane Kost? Wieso ist das so?
 
Die mediterrane Küche wurde deshalb empfohlen, weil Studien positive Effekte ergaben. In Regionen, in denen die Menschen viel Oliven, Olivenöl und andere pflanzliche Fette verzehrten, wurden weniger häufig Herzinfarkte, Schlaganfälle und Krebserkrankungen verzeichnet. Die traditionelle Ernährung der griechischen und süditalienischen Landbevölkerung besteht aus viel Obst, Gemüse, Getreideprodukten, Brot, Nudeln, Nüssen und Samen, Knoblauch, Zwiebeln und Gewürzen. Olivenöl ist der Hauptfettlieferant. Fleisch spielt eine untergeordnete Rolle, dafür kommen Fische und Meeresfrüchte mehrmals wöchentlich auf den Tisch. Ein Glas Rotwein gehört zu jeder Mahlzeit. Die genannten Lebensmittel weisen gesundheitsfördernde Faktoren auf.
 
Das ist schön und gut, aber trat nicht auch in diesen Ländern eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten ein?
 
Das stimmt. Bei Bewohnern des Mittelmeerraums – besonders in den Industriegebieten –  trat leider ein Wandel der Ernährungsgewohnheiten ein, mit dramatischen Folgen. Heute werden verstärkt tierische Lebensmittel (Fleisch, Eier, Milch, Käse) und Fast Food, Fertiggerichte und Süssigkeiten konsumiert. Dazu kommt eine geringe körperliche Aktivität. Alle Veränderungen führen zu Übergewicht, einem Anstieg der koronaren Herzkrankheiten und vermehrten Fällen von Schlaganfall. Die Empfehlungen zur mediterranen Kost beziehen sich auf die traditionelle Mittelmeerküche der 1950er-Jahre.
 
Warum wurden die Omega-3-FS so hochgejubelt?
 
Es wurde postuliert, man solle viel mehr Fische essen, da diese Omega-3-FS enthalten. Ernährungsforscher untersuchten in den 1970er-Jahren die Lebensgewohnheiten der Inuit in Grönland. Diese verzehren grosse Mengen von fettem Fisch mit Omega-3-FS. Sie sind übergewichtig, leiden aber kaum unter Herzkrankheiten. Kaum waren die Ergebnisse publiziert, empfahlen Experten der DGE und die American Heart Association fetten Fisch mit seinen Omega-3-FS mindestens 2 Mal wöchentlich zu futtern. Täglich sollte man laut DGE 0.5 % der täglichen Kalorienmenge in Form von Alpha-Linolensäure, die auch eine Omega-3-FS ist, aufnehmen (ca. ½ bis 1 EL Rapsöl).
 
Auch mir passierte es: Ich ass Thunfisch, Lachs, Hering und Makrele. Veganer und Vegetarier wurde geraten, Pillen oder bestimmte pflanzliche Nahrungsmittel mit den gesunden Fettsäuren einzunehmen. In welchen Nahrungsmitteln sind diese Fettsäuren enthalten, und was bewirken sie?
 
Die Alpha-Linolensäure ist reichlich in Leinöl, Sojaöl, Rapsöl, Walnussöl, Weizenkeimöl, Leinsamen enthalten. Auch das südostasiatische Perilla- und das aus Mexiko stammende Chia-Öl sind reich an Omega-3-FS (die erwähnten Öle weisen zwischen 50 und 70 % Alpha-Linolensäure auf). Spitzenreiter unter den Nüssen sind Walnüsse mit einem Alpha-Linolensäure-Anteil von 13 %.
 
Die Alpha-Linolensäure ist essenziell, weil unser Körper diese Omega-3-FS nicht selbst herstellen kann. In den genannten pflanzlichen Nahrungsmitteln kommt die Alpha-Linolensäure vor und in Fischen und Lebertran die DHA (Docosahexaensäure) und EPA (Eicosapentaensäure).
 
Die erwähnten Fettsäuren werden in die Zellmembran eingebaut. Dadurch wird die Fliessfähigkeit der Blutkörperchen verbessert, und die Gefässe bleiben elastisch. „Das wirkt sich günstig auf Herz und Kreislauf aus“, sagte Prof. Karin Schwarz von der Universität Kiel.
 
Wie ich hörte, sind erhöhte Werte an EPA und DHA im Blut nicht gut für die Prostata. Stimmt das?
 
Die regelmässige Aufnahme scheint nicht unbedenklich zu sein. In einer Studie von Fred Hutchinson an 2000 Männern wurde nachgewiesen, dass hohe Blutspiegel mit einem erhöhten Risiko an Prostatakrebs verbunden sind. Die erhöhten Werte werden erreicht, wenn man öfters als 4 Mal in der Woche Fisch verzehrt. Auch in der EPIC-Studie konnte dieser Zusammenhang nachgewiesen werden. Wer jedoch 2 Mal pro Woche Lachs verzehrte, bei dem stiegen die Blutwerte nicht so hoch, wie bei den Studienteilnehmern mit dem höchsten Risiko für Prostatakrebs. Eine zusätzliche Gabe von Omega-3-FS-Pillen sollten die Risikopatienten nicht ins Auge fassen. Die Ergebnisse erstaunten die Wissenschaftler, weil die Fettsäuren gegen Entzündungen wirken. Die Entzündungen sind nämlich massgeblich bei der Entstehung von Krebserkrankungen beteilig. Weitere Studien sind hier angebracht.
 
Aber einen Trumpf habe ich noch in der Hinterhand. Die Fettsäuren schützen vor Herzkrankheiten.
 
Wie schon erwähnt, betonte Frau Prof. Schwarz, dass sich die Fettsäuren auf Grund der Wirkung auf die Gefässe günstig auf Herz- und Kreislauf auswirken. Es liegen jedoch widersprüchliche Studienergebnisse vor. Es gibt einige neuere Studien, die besagen, dass Fischöl-Kapseln oder Omega-3-Kapseln weder Herzinfarkte noch den plötzlichen Herztod oder einen Schlaganfall verhindern können. In einer italienische Studie mit 12 000 Probanden kam Erstaunliches heraus (die Studie dauerte 5 Jahre): Die übergewichtigen Menschen litten unter Diabetes oder erhöhten Blutfettwerten. Die eine Gruppe erhielt Omega-3-Pillen, die andere Gruppe Placebos. In beiden Gruppen traten gleich viele Herzinfarkte auf. Auch liessen sich mit den „Wunderfetten“ keine Reinfarkte verhindern. Die Effekte auf die Herzgesundheit wurden überschätzt.
 
„Da bin ich aber enttäuscht. Wurden auch Nebenwirkungen festgestellt?“
 
Das kann durchaus bei Überdosierungen vorkommen. Wenn Angina-pectoris-Patienten Fischöl-Pillen bekamen, gab es vermehrte Herzrhythmusstörungen. Bei Überdosierungen mit Omega-3-FS wurden erhöhte Cholesterinspiegel und eine reduzierte Immunreaktion und eine erhöhte Blutungsneigung festgestellt. In anderen Studien wurde keine Erhöhung der Blutfette gesehen. Sie blieben konstant.
 
Immer wieder wird behauptet, die Fischöle bzw. Omega-3-FS seien für Schwangere gesund. Wer viel in der Schwangerschaft futtert, wird intelligente Kinder bekommen. Stimmt dies?
 
Bisher war man überzeugt, dass Schwangere, die Fischöl aufnahmen, gesunden und intelligenten Nachwuchs bekommen. Es gibt dazu nur epidemiologische Studien, aber keine klinischen. Heute wissen wir, dass die Schutzwirkung des Fischöls vor kindlichen Allergien nicht sicher ist. Münchner Mediziner brachten heraus, dass bei Fischölgabe die Rate extremer Frühgeburten gesenkt werden kann. Auch hatten die Kinder ein höheres Geburtsgewicht.
 
Der Münchner Ernährungsmediziner Hans Hauser empfiehlt trotzdem keine Gabe von Fischölkapseln an Schwangere. Er plädiert vielmehr für den zweimaligen Fischverzehr pro Woche. Nur wer keinen Fisch mag, der könne Fischöl in niedriger Dosierung einnehmen, so der Mediziner.
 
Nun bin ich aber verunsichert. Was soll ich eigentlich essen?
 
Die eingangs erwähnte Mittelmeerkost, Vollwertkost oder eine gut ausgewählte vegetarische Kost sind bestens zu empfehlen. Die Lebensmittel liefern uns eine komplette Mixtur an wichtigen Stoffen, darunter auch verschiedene Fette. Interessant ist die Tatsache, dass Vegetarier niedrige EPA- und DHA-Blutspiegel aufweisen und diese sich nicht nachteilig auf ihre Gesundheit und Lebenserwartung auswirken.
 
Aber auch etwas vom mediterranen Lebensstil, der zusätzlich positiv wirkt, sollten wir übernehmen. Dazu gehört eine heitere Gelassenheit und Freude am Genuss, Geselligkeit und Kommunikation. Essen sollte ein Teil der Lebensfreude und ein Fest der Sinne sein.
 
 
Literatur
Burger, Kathrin: „Das Ende einer langen Karriere“ , „Badischen Zeitung“ vom 09.09.2013.
Busse, W.; Scholz, H.: „Das ABC der Vitalstoffe“, Haug Verlag, Heidelberg 2001.
Scholz, Heinz: „A. Vogel – Aktiv gegen Rheuma“, Verlag A. Vogel, Teufen 2003.
 
Internet
www.apotheken-umschau.de („Wo stecken Omega-3-FS drin?“)
www.aponet.de („Erhöhen Omega-3-FS das Risiko für Prostatakrebs?“)
www.sueddeutsche.de („Fischöl in der Schwangerschaft“)
 
Hinweis auf Glanzpunkte-Artikel von Heinz Scholz
 
 
 
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