Textatelier
BLOG vom: 08.03.2014

Museum für Sepulkralkultur – Die Dinge nach dem Ende

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
Die Stadt Kassel, bekannt durch die documenta, die alle 5 Jahre stattfindende Ausstellung zeitgenössischer Kunst, liegt im deutschen Bundesland Hessen und hat ein „Museum für Sepulkralkultur“, einzigartig in Deutschland. Der Begriff war mir bis dato unbekannt, wohl weil ich nicht über ausreichende Lateinkenntnisse verfüge. „Sepulcrum“ steht für das Grab oder die Grabstätte, und die Kultur schliesst die Totenbestattung mit ein.
 
Das Museum erweckte Erwartungen in mir. Es ist interessant, zu erfahren, so dachte ich, wie in Europa mit den Verstorbenen umgegangen wurde, aber nicht nur hier, sondern auch in anderen Ländern und Kulturen. Dieser zuletzt geäusserte Wissenswunsch wurde leider enttäuscht. Das Museum konzentriert sich auf den deutschsprachigen Raum.
 
Schwerpunkt ist die Dauerausstellung eine Treppe tiefer im Keller, die Zeugnisse der Totenbestattung vom Mittelalter bis zur Gegenwart zeigt. Man kann Aufschriften auf Grabsteinen und in Nachrufen lesen, alte Särge für Verstorbene jeden Alters sehen, darunter auch einen Sarg für kurz nach der Geburt gestorbene Zwillinge oder einen ganz modernen in Ovalform aus biologisch abbaubarem glänzendem Material; Trauerkleidung und -schmuck, zu Lebzeiten selbst hergestellt; letzte Texte von Totgeweihten; Grabsteine, Skulpturen; Leichenwagen, darunter prunkvolle für Könige und Fürsten, Sarggestelle für den Mehrfachgebrauch, bei dem die Leiche durch den unteren Boden einfach in das Grab fällt und Bestattungsfahrzeuge vom BMW bis zum umgebauten DDR-Trabant. Es werden Gräber gezeigt und Fotos von Krematorien und erläutert, wie dort die Verbrennung abläuft. Wie die Kapsel aussieht, die mit ein wenig Asche des Verstorbenen in das Weltall geschossen wird, kann hier auch bestaunt werden. In den Aussenbereichen sind Grabstellen, wie auf einem Friedhof. Auf den Wandel zur anonymen Bestattung wird natürlich auch hingewiesen.
 
Es ist eine ernste Stimmung spürbar. Es darf (muss?) getrauert werden und Trauer äussert sich auf verschiedene Art und Weise. Auch wenn in einigen Inschriften auf die christliche Wiederauferstehung hingewiesen wird, hier wird klar, der Tod ist endgültig und danach muss der Leichnam irgendwie „versorgt“ werden.
 
An unserem Besuchstag gab es keine Sonderausstellung, in der unterschiedliche und aktuelle Aspekte der Bestattungskultur aufgegriffen und vertieft werden.
 
Ein Besuch könnte der Anstoss sein, sich mit dem Thema zu beschäftigen, ein kleiner Teil dieses grossen Gebietes rund um den Tod.
 
Dazu könnte die Geschichte eines einzelnen Friedhofes beitragen:
 
Darin ist u. a. zu lesen, dass die Begriffe „Friedhof“ und „Gottesacker“ sich anfänglich unterschieden, der Friedhof war der bei der Kirche, dort waren die Toten näher bei Gott und den Fürbitten der Menschen; der Gottesacker war der anfänglich von den Hinterbliebenen unerwünschte ausserhalb der Stadt.
 
Durs Grünbein beschreibt in „Griechischer Abschied. Eine Stele“ Grabkultur: 
Die Hand des Trauernden, in Stein, greift nach der Hand
Des Toten, der den Blick senkt, weil er weiss,
dass vor ihm nichts mehr kommt. Was den erwartet,
Der um ihn trauert, sieht er.(..)
Die letzte Täuschung ist die Inschrift. Nein, der Tote,
Schon temperiert wie dieser Stein und ebenso gesprächig,
Braucht nicht mehr, was der Trauernde noch braucht.
Nur deshalb zögert er, den Atem angehalten, mitleidsvoll,
Fast wie zum Abschied auf der letzten Schwelle (S.30). 
Die Literatur zum Thema ist umfangreich und vielfältig. Sehr lesenswert ist die Arbeit von Philippe Ariès, „Geschichte des Todes“. Ein Abschnitt daraus erläutert, wie der Friedhof entstand:
 
Um einen Friedhof anzulegen, erbaute man eine Kirche. In einer Urkunde aus dem Jahre 870 erinnert Ludwig der Deutsche daran, dass seine Eltern eine Kirche habe errichten lassen, ‚damit in deren Umkreis ein Friedhof für die Toten zur Verfügung stand’. Die Basilika Notre Dame in Tours ist zur Bestattung der Armen aufgeführt worden. Die Worte ‚ecclesia’ und ‚cimeterium’ sind nahezu synonym. Ducange nennt ‚cimeterium’ eine Kirche, in der die Gebeine der Verstorbenen bestattet sind.“ (S. 70)
 
Schon diese wenigen Sätze werfen ein völlig anderes Bild auf romanische und gotische Kirchenbauten.
 
Der Soziologe Jean Baudrillard bedauert die Entwicklung im Umgang mit dem Tod in seinem Buch „Der symbolische Tausch und der Tod“:
 
„Unser Tod wurde tatsächlich im 16. Jahrhundert geboren. Seine Sense und seine Totenuhr, die Reiter der Apokalypse und die grotesken und makabren Spiele des Mittelalters hat er verloren. All das war noch Volkskunst und Fest, in denen sich der Tod noch austauschte. Unsere ganze Kultur ist nichts anderes als eine immense Anstrengung, Leben und Tod voneinander zu trennen und die Ambivalenz des Todes zum Vorteil der Reproduktion des Lebens als Wert und der Zeit als allgemeinem Äquivalent zu bannen.“ (S. 232)
 
Wer sich trotz dieser vermeintlichen Entwicklung doch mit dem Thema literarisch auseinandersetzen will, dem sei das Buch von Georg Pichler „Alle heiligen Zeiten“ empfohlen, in dem mich besonders der letzte Abschnitt beeindruckt hat:
 
„Als die Mutter damals vor etwa siebzig Jahren beim Begräbnis des Grossvaters in Racinovci dem kleinen Robert gesagt hatte, der Grossvater fliegt nach dem Eingraben des Sarges in den Himmel, hatte er aufmerksam gen Himmel geschaut und vorwurfsvoll zu ihr gesagt, er könne ihn nicht in den Himmel fliegen sehen. (...) Und er hatte überlegt, ob der Grossvater mit oder ohne Sarg in den Himmel flöge, und wenn ohne Sarg, wie denn das gehe. Er bekäme es bestimmt heraus.“
Das waren übrigens die letzten Gedanken von Robert, kurz danach endete sein Leben, dann schlug er mit dem Kopf auf den Tisch, an dem er im Wirtshaus sass. Der Wirt liess ihn schlafen, wie schon früher geschehen.
 
Über den Umgang mit den Toten habe ich in einigen Texten bereits geschrieben, u. a. auch aus Indien im Hinduismus.
 
Meines Erachtens liesse sich aus der Idee eines Museums für Sepulkralkultur viel mehr machen. Vielleicht fehlt dafür das Interesse der Stadt oder Geld oder einfach Phantasie.
 
 
Quellen
Grünbein, Durs: „Nach den Satiren, Gedichte“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, 1999.
Ariès, Philippe: „Geschichte des Todes“, dtv Wissenschaft, Hanser Verlag, München, 1982.
Pichler, Georg: „Alle heiligen Zeiten“, suhrkamp taschenbuch, Frankfurt/Main 2004.
Baudrillard: „Der symbolische Tausch und der Tod“, Matthes & Seitz Verlag, München 1991
 
                                    
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