Textatelier
BLOG vom: 18.05.2014

Eine Hochzeit im Seengebiet von Kerala in Indien (Teil 2)

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, berichtet aus Kerala/Südindien
 
 
Der Hochzeit-Vorabend ist vorbei. Am nächsten Morgen, nach einer Übernachtung in einem Hotel in der Stadtmitte von Kerala, fahren meine Freunde und ich wieder zum Haus des Hochzeitspaars. Schon jetzt ist es warm, die Hitze wird heute mehr als 36 ° Celsius erreichen. Es ist ausserdem sehr schwül. In den letzten Tagen hat es zu Beginn des in diesem Jahr recht früh einsetzenden Monsuns heftige Schauer und Gewitter gegeben. Heute bleibt es, wie zum Festtag bestellt, den ganzen Tag trocken.
 
Die Braut hat ein wunderschönes weisses Kleid an; ihre dunkle Haut dazu betont die ausgesprochene Schönheit der jungen Frau. Es sind einige professionelle Fotografen zur Stelle und machen Bilder. Danach fahren alle mit den Autos zur Kirche. Es gibt mehrere katholische Kirchen in Changanacherry. Diese fasst etwa 500‒600 Personen und füllt sich zusehends. Alle Frauen tragen festliche Sarees, die Männer meist einfarbige Hemden und dunkle Hosen.
 
Dann kommt auch der Bräutigam. Er trägt einen schwarzen Anzug und eine rote Krawatte. Es wird viel fotografiert. Dann beginnt die Zeremonie. Über Lautsprecher werden die hier landesüblichen Kirchenlieder, vorgetragen von 2 Sängern unter Begleitung von Musikinstrumenten und dem Gesang der ganzen Gemeinde, übertragen. Die Lieder haben alle einen beruhigenden, fast einschläfernden Grundton. Das Brautpaar sitzt vorne vor dem Altar, umgeben von einigen Fotografen.
 
Ich bleibe die 2 Stunden dauernde Trauzeremonie mit anschliessendem Gottesdienst draussen, denn zu sehen ist bei der Vielzahl der Anwesenden kaum etwas, und verstehen kann ich auch nichts. Es werden schon jetzt für die Wartenden Mangosaft und Wasser angeboten, eine Wohltat bei dieser Wärme.
 
Die Kollekte an diesem Tag ist für diejenigen Brautpaare bestimmt, die sich die aufwändige Trauung finanziell nicht leisten können.
 
Statt des Ansteckens der Ringe übergibt der Bräutigam nach dem Ja-Wort seiner jungen Frau ein Saree aus Goldbrokat, das sie nach der Zeremonie in einem Nebenraum der Kirche anzieht. Beide Brautkleider sind nur für diesen Tag geschneidert worden. Es ist Tradition, dass die Frau erst wieder auf dem Totenbett das Goldbrokatkleid angelegt bekommt.
 
Sie trägt die Mitgift, die Bezeichnung Brautschatz passt sicher besser, um den Hals, an den Fingern und um ihre Arme. Es sind goldene Ketten, Armreifen und Ringe. Das Saree, zusammen mit dem Goldschmuck, steht ihr ausgezeichnet. Sie ist eine wunderschöne, strahlende junge Frau.
 
Die Eltern der Frau sind sichtlich traurig. Beide haben sich sehr um ihr Wohlergehen und um eine solide Schul- und Universitätsausbildung bemüht. Der Vater gibt seine einzige Tochter her; die Mutter war über Jahre hinweg, während denen der Vater beruflich in der einige Hundert Kilometer entfernten Hauptstadt des Bundeslandes lebte und arbeitete, immer für sie da.
 
Die ersten gemeinsamen Tätigkeiten des Paars werden nach der Trauung vor der Kirche ausgeführt: beide schneiden eine Hochzeitstorte an und essen ein Stück, beide trinken mit Strohhalmen Wasser aus einer Kokosnuss.
 
Die Gäste begeben sich in den Pfarrsaal neben der Kirche, der sich rasch füllt. Es sind mehr, als der Raum fassen kann. Die Mahlzeit besteht aus verschiedenen Sorten Fleisch, Chapati, Reis, Sambarsosse und Gemüse, zum Nachtisch Eis. Wie landesüblich, essen alle mit den Fingern. Sobald die ersten fertig sind, werden die Tische neu gedeckt und die bisher Wartenden nehmen Platz.
 
Das junge Paar sitzt oben auf der geschmückten Bühne. Unterdessen geht die Fotosession mit den Frischvermählten weiter. Alle Familienmitglieder Freunde, Verwandten, Arbeitskollegen usw. in immer wieder neuen Zusammensetzungen werden gruppenweise zusammen mit dem Paar gefilmt und fotografiert. Die Zwei entwickeln eine Engelsgeduld über etwa 2‒3 Stunden, die junge Frau immer mit strahlendem Lächeln. Auch ich werde hinzugebeten. Ich bin wirklich der einzige Nichtinder und ausserdem mit heller Hautfarbe!
 
Langsam leert sich der Saal, und das Paar hat auch Gelegenheit für ein gemeinsames Mittagsmahl. Auch dieses wird ausgiebig fotografiert. Geschenke werden nicht persönlich übergeben, sondern in einer Ecke abgelegt und später von Familienmitgliedern befördert.
 
Ich habe Gelegenheit, mit der jungen Frau zu sprechen. Sie berichtet mir, sie gehe mit dieser Hochzeit eine arrangierte Ehe ein. Ihr wurde von der Mutter und einem Onkel ein potenzieller Ehemann vorgeschlagen. Die ersten Treffen zeigten, dass die beiden Sympathie füreinander fanden, und so wurde das Bündnis entschieden. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte man weitergesucht. Einige Wochen vor der Hochzeit wurde die Verlobung im engen Familienkreis gefeiert.
 
Die junge Frau wird ihren Beruf aufgeben und mit ihrem Mann in ein neues Domizil hier in der Nähe einziehen. Was die Zukunft bringt, sei noch nicht entschieden, es bestünden Aussichten für den Ehemann, eine gutbezahlte Anstellung in einem Wirtschaftsunternehmen in den Vereinigten Emiraten zu bekommen, vielleicht auch für sie selbst als promovierte Biochemikerin.
 
Die beiden Familien fahren danach mit ihren Autos zu einem nahegelegenen Ufer der Backwaters. Backwaters ist der Name für das ausgebreitete Seengebiet hier in Kerala, stolz „Gods own country“ genannt. Die Seen werden durch viele Kanäle verbunden. Die Landschaft liegt nicht weit von der Küste des Indischen Ozeans entfernt und ist damit verbunden; das Wasser eine Mischung aus Salz- und Süsswasser. An den Ufern wachsen Kokospalmen, andere Bäume sowie Sträucher, und viele Stellen sind auch mit hübschen Häusern bebaut. Die Menschen leben am Wasser; man kann beobachten, wie die Frauen ihre Wäsche waschen. Auf dem Wasser fahren strohbedeckte Boote, in denen die Touristen aus Indien und aller Welt in Kabinen schlafen oder sich auf Deck aufhalten können. Die Wasserfahrzeuge sind mit einer Küche und eigenem Koch versehen, und manche von ihnen bleiben über mehrere Tage auf dem Wasser, ohne ans Ufer zu fahren. Der Tourismus in diesem wunderschönen Naturgebiet hat sich enorm ausgebreitet, und inzwischen fahren sicher einige Hundert dieser Boote umher. Dazwischen gibt es auch Fischerboote, Lastkähne oder schmalere offene Boote.
 
Wir fahren mit 2 Ausflugsbooten etwa 10 Minuten auf dem Kanal, bis wir das Haus erreicht haben, das den Eltern des jungen Ehemanns gehört. Es liegt direkt am Ufer.
 
Hier finden weitere Zeremonien statt. Die neue Schwiegermutter überreicht ihrer Schwiegertochter eine brennende Kerze, mit der das Paar das Haus betritt. Im Haus wird das Band, das beide Familien jetzt verbindet, geschlossen. Die Schwiegerväter und die Schwiegermütter umarmen und drücken sich und das Paar. Die Schwiegermütter überreichen der neuen Schwiegertochter und dem Schwiegersohn Geschenke.
 
Nach einem Kaffee und einem Stück Kuchen besteigen wir wieder ein Boot, das uns zum Abfahrtsort und zu unseren Autos bringt. Die Feier ist für uns vorbei. Das Paar kann langsam zur Ruhe kommen. Der morgige Tag gehört den engsten Familienangehörigen.
 
Quelle
 
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