Textatelier
BLOG vom: 02.11.2014

Eins auf die Schnauze: Janz köstlich amüsierte Hooligans

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
Menschen, die sich für zivilisiert halten, lösen Konflikte nicht gewalttätig. Ich meine jetzt nicht die grossen Konflikte, die oft in Kriege ausarten, die von Nationen oder (Volks- und religiös motivierten) Gruppen geführt werden, die sich selbst für zivilisiert halten. Ich denke an Schlägereien „im täglichen Leben.“
 
Als Kinder haben wir uns geprügelt. Da kam ich schon einmal mit einem blauen Auge, das wir verschönernd „Veilchen“ nannten, oder mit kleinen Wunden, wie blutenden Lippen, Hautabschürfungen und anderen Blessuren, nach Hause. Es gab eben Auseinandersetzungen oder Beleidigungen, die konnte man weder ignorieren, noch durch ein „klärendes Gespräch“ aus der Welt schaffen. Weder die Eltern noch die verletzten Kinder kamen damals auf die Idee, die Angreifer, also die „Schlägertypen“, bei der Polizei anzuzeigen. Wenn es unzumutbar oder zu brutal wurde, gingen die Eltern schon einmal zum Lehrer, der ein „ernstes Wort“ aussprach oder bei den Eltern der Kontrahenten aufkreuzte.
 
Die Blessuren verheilten, und die Sache war mehr oder weniger vergessen. Man hatte zwar Rachegefühle, aber die kamen dann beim nächsten Streit wieder hoch.
 
Es schlossen sich auch sogenannte Banden“ zusammen, die gegen andere kämpften. „Die kriegen was auf die Mütze, die gehören verkloppt", so rechtfertigten wir die Angriffe und Prügeleien. Es gab immer Gründe dafür: Beleidigungen, Belästigungen aller Art, auch des „schwachen Geschlechts", und anderes mehr.
 
Im Kino sahen wir unsere Vorbilder, die Prügel-Western-Komödien mit Bud Spencer und Terence Hill, die Wildwestfilme und andere.
 
Auch unser Liedgut handelt davon:
 
Ich erinnere mich gern an das im berlinerischen Dialekt gesungene Lied mit dem Titel: Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“, das in einigen seiner Strophen Szenen von brutaler Gewalt intonierte: 
3. „Auf der Schönholzer Heide,
Da jab’s ’ne Keilerei,
Und Bolle, jar nich feige,
War mittenmang dabei,
Hat’s Messer rausjezogen
Und fünfe massakriert.
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.“
 
4. „Es fing schon an zu tagen,
Als er sein Heim erblickt.
Das Hemd war ohne Kragen,
Das Nasenbein zerknickt,
Das linke Auge fehlte,
Das rechte marmoriert.
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.“ 
Dass es dabei um handfeste Gesetzesverstösse handelte, auf diesen Gedanken kamen wir beim Singen dieses Liedes nicht; wir haben uns dabei einfach „janz köstlich amüsiert.“
 
Geprügelt wird sich selbstverständlich immer noch. Ich will nichts entschuldigen. Häusliche Gewalt, Kindesmisshandlung, Erniedrigungen, Raubzüge usw. sind in jedem Fall abzulehnen, strafbar und zu verfolgen.
 
Wenn Menschen sich nicht anders zu wehren wissen, wenn sie sich – aus welchen Gründen auch immer – abreagieren müssen, schlagen sie aufeinander ein. Es gibt genügend Beispiele dafür, angefangen in der Schule, auf dem Fussballplatz bis hin zu ausartenden Parlamentsdebatten.
 
„Einige Leute halten Fussball für einen Kampf um Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist!"Bill Shankly, Manager im Liverpooler Fussballclub.
 
Ich kann dem Mann, der sein Leben dem Fussball gewidmet hatte, nur zustimmen. Fussball erinnert mich frappant an die Maxime im Alten Rom: „Brot und Spiele“, als eine Möglichkeit, Aggressivität, die in umstürzlerische Revolten gegen die Herrschenden umschlagen könnten, durch stellvertretend ablaufende Gladiatorenkämpfe von vornherein als ein Angebot des Abreagierens zu verhindern.
 
Wut gegen vermeintliche Ungerechtigkeiten braucht ein Ventil, um Frust abzulassen.
 
In der deutschen Sprache hat sich für die Akteure das englische Wort „Hooligan“ durchgesetzt, ja sogar mein kleines Langenscheidt Universal Wörterbuch Englisch-Deutsch von 2004 übersetzt das englische Wort mit demselben Wort für die deutsche Sprache. Ich habe in meiner Hausbibliothek einen 40 Jahre alten Duden mit dem Titel „Das Fremdwörterbuch“ und darin wird der Begriff, herkommend aus der englischen Sprache, wie folgt definiert:
 
“1. gewalttätiger, roher Mensch, Rowdy, 2. Halbstarker (in Amerika, England, Polen und in der UdSSR). Hooliganismus: Rowdytum.“
„Rowdy“ ist danach englisch-amerikanisch ein „Raufbold; roher, gewalttätiger Mensch, Lümmel, Rohling.“
 
Überwiegend wird die Bezeichnung für Schlägereien zwischen Anhängern der jeweils rivalisierenden Fussballvereine benutzt, die vor, während oder nach dem Spiel aufeinander losgehen. Es ist oft reine Erlebnislust, es macht in deren Überzeugung einfach Spass, sich „gegenseitig eins auf die Fresse zu hauen“.
 
Da unsere demokratische Staatsform so etwas nicht erlauben darf, ausser es findet in einem vorher genau geregelten Ablauf, wie etwa beim öffentlichen Boxkampf, statt, werden Polizisten aufgeboten, um den Zusammenprall möglichst von vornherein zu unterbinden oder zumindest zu unterdrücken. So dreht sich die Wut der Gruppen auch gegen diese, die dann darunter zu leiden haben. Vorstösse, die Präsenz der Staatsmacht bei Fussballspielen zu reduzieren oder sich gar durch die Vereine bezahlen zu lassen, werden heftig kontrovers diskutiert.
 
An einem Wochenende in der zweiten Hälfte im Oktober 2014 konnten erstaunte Medienkonsumenten beobachten, dass der Begriff „Hooligans“ nicht nur für Fussballrowdys gilt, sondern auch für andere Gruppen. Am letzten Oktober-Wochenende gab es in Köln eine angemeldete Demonstration.
 
Da nennt sich eine Gruppe „Hooligans gegen Salafisten“ und die sich Hooligans nennende Gruppe setzt sich aus rechtsextremen Parteien, wie „Pro NRW“,  „Pro Köln“, der NPD und anderen vor allem ausländerfeindlichen Gruppierungen zusammen. Die Demonstration war zwar angemeldet, allerdings hatten die Behörden nicht mit der Zahl von geschätzten 4000 Teilnehmern gerechnet. Ausserdem gab es Verbrüderungen von Gruppen, die sich ansonsten spinnefeind sind. Salafisten oder Gewalt verherrlichende Moslems waren nicht zu sehen. So richtete sich die Wut gegen die Polizisten, denen nichts anderes übrig blieb, als sich mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern zu wehren. Etliche Polizisten wurden bei den Auseinandersetzungen verletzt.
 
Hierbei wiederum fühle ich mich an die gewalttätigen Demonstrationen erinnert, die es in der noch jungen Demokratie der Weimarer Republik in Deutschland zwischen 1918 und 1933 gegeben hat und unter vielen anderen Faktoren dann zum Sieg der Nationalsozialisten und dem III. Reich mit allen furchtbaren Folgen geführt haben.
 
Demonstrationen sind ein schützenswertes Gut und in einer repräsentativen Demokratie oft die einzige Möglichkeit der Bürger, ihre Meinung kundzutun. Deshalb tun sich die Verwaltungsgerichte sehr schwer, wenn die zuständigen Behörden ein Verbot fordern. Im Vorfeld der Kölner Demonstration hätte kein Gericht ein Verbot ausgesprochen.
 
Scheinbar gibt es keine Lösung. Polizisten sind gezwungen, sich denjenigen entgegenzustellen, die dieses demokratische Recht für ihre Zwecke missbrauchen. Unsere Ordnungshüter sind von Berufs wegen zum Schutz der Bürger da.
 
Wenn es offensichtlich ist, dass Hooligans nur die Schlägerei suchen, wäre es dann nicht angebracht, sie zu separieren und sie in einem abgeschirmten Gelände prügeln zu lassen?
 
Sollen sie sich doch die Köpfe einschlagen“, könnte man denken. So wie man Popkonzerte u. a. in grossen Stadien stattfinden lässt, so könnte man Veranstaltungen anbieten, in den Schlägereien von vornherein mit einkalkuliert werden. Vielleicht „amüsieren sich die Hooligans dabei janz köstlich!“
 
Oder ist das einfach nur naiv gedacht?
 
 
Quellen
 
Hinweis auf weitere Blogs über die Gewalt
 
Hinweis auf weitere Blogs über Hooligans
 
 
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