BLOG vom: 26.04.2015
Ulrich Weber: der Erfinder der 1. Bundesrätin ist nicht mehr
Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
Ulrich („Ueli“) Weber (1940‒2015) hatte nach einem verheerenden Sturz mit Kopfverletzungen beim Velofahren bei der Kreuzung nördlich der Kettenbrücke, unterwegs zu einem Anlass in der Stadtkirche Aarau, qualvolle letzte Lebensjahre, die er, betreuungsbedürftig geworden, meist in Heilstätten wie der Barmelweid zubringen musste. Am 09.04.2015 ist er gestorben, und am 21.04.2015 fand die Abdankung auf dem Kirchberg (Küttigen AG) statt. Erst an jenem Tag erfuhr ich zufällig vom Todesfall meines ehemaligen Arbeitskollegen beim „Aargauer Tagblatt“ in Aarau.
Im April 1969 übergab ich ihm, Folge einer personellen redaktionsinternen Umstrukturierung, das seit 1963 von mir geleitete und gut ausgebaute Lokalressort Aarau. Mir wurde das Kantonsressort Aargau anvertraut. Selbstverständlich hatte Ueli Weber, den wir redaktionsintern mit Bezug auf sein Kürzel „UWE“ nannten, in Bezug auf die Aarauer Orts- und Personenkenntnisse wesentlich mehr zu bieten als ich, der ich aus der Ostschweiz hier eingewandert war. Ueli war in Aarau aufgewachsen, kannte sich im Einzelnen aus.
Einen Teil der Lokalereignisse verarbeitete Ueli in Form von träfen Gedichten unter den Rubriktitel „In Aarau wohnt …“. Hinter einem fiktivem Namen versteckten sich tatsächliche, wenn auch in dichterischer Freiheit zurechtgebogene Ereignisse. Die ortskundigen Eingeborenen in der Aargauer Kantonshauptstadt wussten schon, wer und was damit gemeint sein könnte. Mir gefielen diese Gedichte ausserordentlich gut; es waren richtige Kleinkunstwerke, die mich köstlich unterhielten.
1982 verliess UWE das AT leider. Er brach im Alter von 42 Jahren als auch publizistisch gereifte Persönlichkeit aus der heimatlichen, kleinstädtischen und vertrauten Welt von Aarau aus und liess sich vom Schweizer Fernsehen als Unterhaltungschef anheuern. Ich hatte damals noch kein Fernsehgerät, und es gelang mir auf diese Weise, unsere beiden Töchter zu Vielleserinnen heranzubilden. Ich war ihnen mit Freude bei der Beschaffung von Lesestoff, vor allem solchen nach ihrer Wahl, behilflich. Das Geschehen auf dem Bildschirm flimmerte an uns vorbei. Und so verpassten wir Uelis televisionäre Werke.
Mein ehemaliger Kollege schwebte in den anderen Sphären des heranbrechenden TV-Zeitalters, und unsere persönlichen Kontakte schliefen langsam ein. Häufig sahen wir noch seine zierliche Frau Susi, ein Goldstücklein voller Zugänglich- und Herzlichkeit, in der Stadt Aarau. Manchmal hatte ich das Gefühl, in ihrem Blick schwinge ein Hauch von Melancholie mit, was sie nur noch anmutiger machte.
Wir hatten die beiden, die Susi und den Ueli, in den späteren 1970er-Jahren einmal zu einem festlichen Essen in unser Heim eingeladen. Meine Frau war damals als Bündnerin in der Zubereitung von Spargeln wenig geübt. Noch heute macht sie sich Vorwürfe, weil sie eine zu kleine Menge eingekauft hatte, wie sie überzeugt war. Doch die nachfolgenden Gänge wetzten dieses Manko mehr als aus.
Der Ueli fiel mir (und der Öffentlichkeit überhaupt) dann durch seine Romane auf, insbesondere durch seinen vorausschauenden satirischen Roman „Die Bundesrätin“ aus dem Hecht-Verlag in Zürich. Das Werk erschien 1979, also 5 Jahre bevor Elisabeth Kopp (FDP) in die Landesregierung in Bern einzog, wo sie bis zum Herbst 1988 wirkte. Dann wurde sie durch einen Skandal hinweggefegt, der vor allem mit ihrem Mann Hans W. Kopp zu tun hatte; klare Beweise für Vergehen wie Steuerbetrug gab es nie.
Wer die ersten Bundesrätinnen sein würden und was aus ihnen werden sollte, konnte Ulrich Weber zum damaligen Zeitpunkt natürlich nicht prophezeien. Doch der Vorname seiner 1. Bundesrätin (Lisebeth) und der wirklichen 1. Amtsträgerin (Elisabeth) wiesen schon eine frappante Übereinstimmung auf. Uelis Fantasie entsprang nämlich die Gerichtsschreiberin Lisebeth Läuchli, die ohne grosses eigenes Zutun in die Politik hineingeriet. Der Autor, immer dem kleinbürgerlichen Detail zuwandt und damit nahe beim Volk mit seinen Nöten und Glückseligkeiten, beschrieb sie als Kämpferin für die Erhaltung eines Quartierladens. Ohne es darauf abgesehen zu haben, war dies Liesebeths Start zu einer politischen Laufbahn von Stufe zu Stufe: über den stadteigenen Einwohnerrat und verschiedene Kommissionen zum Stadtpräsidium, das zum Sprungbrett in den Nationalrat und in den Bundesrat wurde – Intrigen inbegriffen.
Selbstverständlich war das ein verkappter Beitrag an den sich machtvoll erhebenden Feminismus, der die Männerherrschaft aufmischen wollte und dabei gelegentlich übers Ziel hinausschoss, zu dessen eigenem Schaden. Heute werden vielerorts mit Zwangsmassnahmen (unsinnigen Quotenregelungen) Frauen in verantwortungsvolle Ämter gepeitscht. Dabei sollte die Eignung das wohl massgebende Kriterium sein, ob Weiblein oder Männlein. Den Weg in die Politik der Frauen beschrieb Ulrich Weber denn auch als „Opfergang“, was seine Feminismus-Begeisterung relativierte. Doch die Frau Läuchli meisterte ihr Amt mit Bravour, auch wenn ihr Stil manchmal zu wünschen übrig liess, wie etwa dort, wie sie als Einzige im Bikini zu einer Schwimmbad-Einweihung erschien, auch wenn der Schwimmbad-Besuch in dieser Aufmachung im Allgemeinen landesüblich ist …
Einen stattlichen Erfolg erzielte Ueli mit seinen „Tobias“-Kinderbüchern (ab 1988), die von einem 12-jährigen Schweizer Knaben erzählen und menschlich berührend sind. Das erste Werk dieser Serie trägt den unspektakulären, passenden Titel „Mutter, Vater, Schwester und ich" und landete sogleich auf den Bestsellerlisten. Auf diesen Büchern fusste die Familienserie „Tobias“ des Schweizer Fernsehens ab dem 04.02.1994, eine 20-teilige Familienserie aus in sich geschlossenen Sendungen, die sich der typischen häuslichen Probleme mit ihren Interessenskonflikten und Missverständnissen annahm. Ich beschreibe diese Sendungen vom Hörensagen. Der Autor hatte selber eine glückliche Familie mit Kindern und konnte aus dem Vollen schöpfen.
In der Todesanzeige schrieb Susi Weber, an ihren Ehemann gerichtet: „Dein schalkhafter Humor bleibt unvergessen. Dein Flair für die Sprache sowie Deine unermüdliche, kreative Schaffenskraft haben Dich ausgezeichnet. In den letzten Jahren wurde Dir Schritt für Schritt die Möglichkeit genommen, Deine Leidenschaft zu leben. Wir sind tieftraurig, aber sehr dankbar für die Erlösung.“
Die Erlösung. Wahrscheinlich hat der liebe Ueli Weber das Drama, wie es ihm selber widerfahren ist, nie literarisch oder publizistisch verarbeitet. Er hätte das seinen Lesern und Zuschauern nicht zugemutet, aber als Betroffener tapfer ertragen – mit Hilfe seiner Familie.
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