Textatelier
BLOG vom: 23.08.2015

Der grammatische Fall und über den Verfall der Sitten

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland

 

Der im Deutschen auch „Fall“ genannte Kasus ist eine grammatische Kategorie der Substantive, Adjektive, Artikel und Pronomen. Im Deutschen gibt es 4 Kasus: Nominativ (Wer-Fall), Genitiv (Wes-Fall), Dativ (Wem-Fall) und Akkusativ (Wen-Fall).

Ich habe in der Schule diese Reihenfolge gelernt, und aus dieser Reihung ergibt sich eine Hierarchie von 1 bis 4, also der 1. Fall ist der Nominativ und so weiter.

Im Bereich „Deutsch als Fremdsprache“ findet sich oft eine alternative Reihung: Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv, also Akkusativ und Genitiv tauschen die Plätze. Die Begründung dafür ist, dass Nominativ und Akkusativ sich recht ähnlich sind, der Genitiv sich aber stark unterscheidet und seine Bedeutung allmählich verliert. Im Fall der Fälle muss ich also aufpassen, dass ich die richtige Nummerierung benutze.

Über den Kasus lässt sich noch viel berichten, wie ich bei „Wikipedia“ lesen konnte. Der Begriff selbst geht auf das lateinische Wort ‚casus’ („Fall“) zurück. Meist wird er heutzutage in der Grammatik benutzt. Das war aber nicht immer der Fall.

An dem Titel des Buches von André Jolles, „Einfache Formen – Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz“ erkennt man schon, dass „der Kasus“, also „der Fall“ zu einer literarischen Kunstform gezählt worden ist.

Es ist die Beschreibung bestimmter Vorfälle aus „der Jurisprudenz, der Morallehre und auch noch anderswo: ich möchte sie Fall oder Kasus nennen. Das, was in diesem Ganzen der widersprechenden Teile vor uns liegt, zeigt den eigentlichen Sinn des Kasus: in der Geistesbeschäftigung, die sich die Welt als ein nach Normen Beurteilbares und Wertbares vorstellt, werden nicht nur Handlungen an Normen gemessen, sondern darüber hinaus wird Norm an Norm steigend bewertet.“

Die Wortfelder zu „Fall“ und „fallen“ umfassen viele Begriffe. Ein Fallbeispiel dafür, durchaus im Sinne eines „Kasus“, ist die folgende Geschichte, die ich mir habe einfallen lassen:

„Es sprudelte so aus ihr heraus, sie redete wie ein Wasserfall:
Es gefällt mir nicht, wie man über meinen Autounfall spricht.
Er hatte nämlich nichts mit dem allmählichen Verfall meiner Gesundheit zu tun, sondern ich wurde durch einen Fallschirmspringer abgelenkt, der nach dem Fall aus dem Flugzeug scheinbar genau auf mich zu fiel.

Die darauf folgende Kettenreaktion war ein purer Zufall.
Denn gleichzeitig wurde ich von heftigen Leibschmerzen in Verbindung mit Durchfall  befallen, und nicht zuletzt durch diesen Vorfall kam es schliesslich zu dem Zwischenfall. Die Strahlen der Sonne trafen in einem Einfallswinkel auf meine Windschutzscheibe, so dass ich nichts mehr sehen konnte, und dadurch verursachte ich einen Auffahrunfall mit einem Lastwagen. Er hatte Äpfel geladen. Durch den Aufprall waren viele Früchte auf die Strasse gefallen und wurden, wenn nicht zu Fallobst, bestimmt aber zu Abfall.

Nach dem Unfall öffnete ich die Autotür und kam zu Fall, mitten hinein. Ich sass wie in einer Mausefalle und konnte mich nicht rühren.

Der Unfallgegner machte in einem lauten Ton abfällige Bemerkungen, jetzt sei ich ihm verfallen, ich müsse seinen Ausfall bezahlen, sonst falle er über mich her. Ich fühlte mich bedroht und urplötzlich bekam ich den Einfall, „Hilfe! Überfall“ zu rufen. Der Schrei rief bei dem Mann keinen Beifall hervor, sondern es kam bei ihm zu einem Rückfall in die Barbarei. Knall auf Fall fiel er über mich her. Ich war einem Wutanfall zum Opfer gefallen.

Ein Notfall wurde so zu einem Kriminalfall. Es war ein Glücksfall für mich, dass die Polizei sich des Falls annahm. Ihr gegenüber wurde der Mann dann auch noch ausfällig. Ein Fall von Beamtenbeleidigung, jetzt war er fällig.

Die Beamten sagten mir, das sei kein Einzelfall gewesen. Eine Fallstudie beweise das. Oft wird ein Rechtsfall daraus, der zu empfindlichen Strafen führt, falls der Täter nicht geständig ist und der Richter ein Urteil fällt. Bestenfalls wird daraus ein klarer Fall von Gesetzesbruch!“

Übrigens: Wenn meine Mutter von Fall zu Fall zu mir sagte: „Jetzt geht es aber sofort in die Falle!“, dann hat sie mir keinen Gefallen getan, denn damit meinte sie, dass ich ins Bett zu gehen habe! Ob sie gewusst hat, dass damit ursprünglich in der Jägersprache die Fallgrube gemeint war, und dass „in die Falle gehen“ meistens negativ gemeint ist? Ich als Kind habe diese Aufforderung auch oft als Strafe angesehen. Aber das ist „kasuistisch“ zu beurteilen, nach dem Einzelfall!

  
Quelle

Jolles, André, Einfache Formen – Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006, ein Imprint der Walter de Gruyter Gmbh & Co. KG, 7. Auflage 1999. (Die 1. Auflage erschien 1930.)

 

 


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