Textatelier
BLOG vom: 31.07.2016

Blüten, bei denen die Farbstoffproduktion ausgefallen ist

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D

 


Fingerhut
 

Wenn wir Wanderungen durch Wald und Flur unternehmen oder auch in Gärten blicken, sind wir immer über die Farbenpracht der Blüten und der herbstlichen Blätter erstaunt und erfreut. Wir finden nicht nur die Farben des Regenbogens, sondern sämtliche Farbnuancierungen. Wie trostlos wäre die Welt, wenn die Blüten gleichmässig grün, grau oder weiss wären!

Der Leser wird überrascht sein, wenn er erfährt, dass für die Mannigfaltigkeit der Blütenfarben nur wenige Verbindungstypen verantwortlich sind. Die wichtigsten sind die wasserunlöslichen Chlorophylle (Chlorophyll a = blaugrün, Chlorophyll b = gelbgrün) und die Carotinoide (Carotine = rot, orange, Xanthophylle = gelblich), ferner die wasserlöslichen Anthoxanthine (u. a. Flavonole = blassgelb), Betaline (Betaxanthine = gelb bis orangerot, Betacyane = blauviolett bis rot) und die Anthocyane („Blumenblau“).

Die wasserunlöslichen Farbstoffe kommen in den Farbstoffträgern, die man auch Chromatophoren nennt, und die wasserlöslichen im Zellsaft gelöst vor. Bei zahlreichen Pflanzenarten beobachtet man ein Ausbleiben der üblichen Farbe. Die Pflanzen blühen dann weiss. Dazu ein ganz aktuelles Beispiel:

 


Weissblühender Fingerhut
 

Weissblühende Fingerhüte
Als wir am 20.07.2016 eine Wanderung unweit von Häg-Ehrsberg und Herrenschwand unternahmen, entdeckte ich am Rande unseres Wanderweges in einem Waldgebiet unzählige Fingerhüte. Zwischen den rotblühenden Pflanzen waren ab und zu weissblühende zu sehen. An einem Blütenstand waren im oberen Bereich weisse und unten rotgefärbte Blüten sichtbar.

Wenn eine Pflanze normalerweise andersfarbige Blüten hat und weisse ausbildet, dann nennt man diese auch Weisslinge. Früher wurden diese als Albinos bezeichnet (beide Bezeichnungen trifft man auch heute noch an). Wenn jedoch eine Störung der Melaninsynthese vorliegt, dann spricht man von Albinismus.

Für meine Arbeit über Pflanzenalbinos in „Natürlich/Chrüteregge“ (7/8-1986) erhielt ich damals 4 Aufnahmen von Heinz Isler, St. Gallen. Die Fotos von Blüten des Enzians, Frühlings-Enzians, der Glockenblume und des Wiesensalbeis zeigten anstelle der blauen bzw. violetten – weisse Blüten.

Im Internet sind noch weitere Weisslinge unter dem Stichwort „Weißling“ (Wikipedia) abgebildet, so z. B. weisse und normale Himbeeren, weisse und normalblütige Orchideen und sogar ein Redwoodzweig mit chlorophyllfreien nadelförmigen Blättern. Laut Wikipedia liegen bei einzelnen Ästen mit den nadelförmigen weissen Blättern somatische Mutationen vor. Diese Äste mit den chlorophylllosen Nadeln müssen dann von der restlichen Pflanze miternährt werden.

Dr. Bruno P. Kremer teilte mir damals auf Anfrage mit, dass bei den oben erwähnten Blüten die Produktion der Blütenfarbstoffe ausgefallen ist. Um diesen Effekt auszulösen, ist die Blockade nur eines einzigen Enzyms in der Biosynthesekette der Blütenfarbstoffe erforderlich. Dafür können genetische Gründe massgeblich sein. In der Zierpflanzenzüchtung sind diese Effekte sogar erwünscht. Durch entsprechende Auslese können Farbänderungen „herbeigezaubert“ werden.

Ein gehäuftes Auftreten einer Farbänderung zeigt sich besonders nach Herbizideinsatz. In diesen Fällen sind jedoch die Pflanzen nicht mehr normalwüchsig. Solche Wirkungen können in den vorliegenden Beispielen sicher ausgeschlossen werden. Dr. Kremer: „Es handelt sich eben um spontan auftretende Mutationen (sprunghafte Veränderung eines Erbmerkmals), die mit einer Rate im Bereich um 1 % überall zu beobachten sind.“

„Blasse Rüebli“
Zuweilen findet man unter vielen orangefarbenen Rüebli (Karotten, Möhre) solche mit einer gelben bis weissen Färbung. Diese „blassen“ Rüebli enthalten weniger Carotine. Dies ist eine Folge der Kreuzungen. Bei diesen Karotten (die wilde Möhre ist übrigens auch so blass) schlägt also die ursprüngliche Artenform durch.

Literatur
Scholz, Heinz: „Kuriositäten aus dem Pflanzenreich (3): Blütenfarbstoffproduktion ausgefallen: Pflanzenalbinos“, „Natürlich/Chrüteregge“, Nr. 7/8-1986.

 


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