Textatelier
BLOG vom: 02.10.2016

Gedanken zur Bach Kantate BWV 82: “Ich habe genug”

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London


Mein Leben hat seinen Teil mir gegeben. Freuden, die ich einst ungestüm gefordert hatte, gleiten jetzt an mir vorbei; und was an Leiden, ich vermeiden wollte, nehme ich klaglos hin. Nach Frieden sehnt sich mein durchtobtes Herz; in Ruhe will ich mich betten. Und wie das Gezwitscher der Vögel in der Dämmerung erstirbt, verlieren sich meine Gedanken im Traum. Und ich bete für ewigen Fortbestand, der mich erlöst in die zeitlose Ewigkeit trägt. Ich habe genug.

Nichts kann ich mehr berichtigen, was ich gefehlt; nicht lindern den Kummer, den ich anderen gebracht; kann auch nicht mehr geben, was ich einst verwehrt: Mitleid, Anteil und Liebe. Sei mein letzter Wunsch erfüllt, damit ich getrost sterbe. Was ich erlangt, habe ich mit Jahren meines Lebens bezahlt: vom ersten Schultag bis zur ersten und letzten Liebe.

Mein Gesicht hat gelacht und weinend Kummer durchstanden. Blicke ich in mein Spiegelbild, sehe ich Heiteres und Bitteres um Mund- und Augenwinkel eingegraben und trennungslos ineinander verwoben.

Losgelöst von mir betrachte ich jetzt die Welt und schüttle allen Ernst ab, nehme Zuflucht zur lächelnden Weisheit des Alters, die sich ausschweigt. An ein Fieber gemahnt das zerronnene Leben, von dem man zu alt und matt ist, um sich zu erholen. Des Erlösers Hand ruht auf meiner Schulter und erhebt mich der Last. Eine Weile blicken wir gemeinsam auf das Treiben der Welt, dem wir entrückt sind, und nicken einander heiter zu. Die letzten Tage erwarten mich. Ich sehne mich nach dem ewigen Frieden.

17.04.2016: Geist und Klang: Bachs Vermächtnis – Die Kunst der Fuge

 


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