Textatelier
BLOG vom: 12.02.2017

Die Insel als neue Heimat

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland

 

Für Albert Vigoleis Thelen (gebürtig in Viersen) war "Die Insel des zweiten Gesichts", so der Titel seines Hauptwerkes, die Insel Mallorca, auch diese ist mittlerweile ein Zufluchtsort für Überwinterer und ein Seniorenalterssitz geworden, vergleichbar mit anderen Inseln überall auf der Welt, so auch mit den Kanareninseln. Doch nicht nur das, ich habe auf der Kanareninsel La Palma viele Deutsche getroffen, die ihren festen Wohnsitz hierhin verlegt haben, und schon seit vielen Jahren, manchmal seit Jahrzehnten, hier leben. Sie sprechen inzwischen spanisch, jedoch, da sie nicht die einzigen Deutschstämmigen sind, haben sie auch oft Gelegenheit, sich in ihrer Muttersprache zu unterhalten.
 
Ja, ich hatte sogar die Empfindung, dass „die Deutschen“  manchmal möglicherweise die Oberhand haben.

Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat aufzugeben und auf eine Insel zu ziehen? Jetzt einmal abgesehen vom Wetter, eine Insel in der Grösse von La Palmaist mit seinen 2 grösseren Städten und den kleinen Orten und Dörfern irgendwie überschaubar. Man kennt sich untereinander, wie auch in kleinen Orten in Deutschland oder anderswo. Die Lebensbedingungen scheinen einfacher zu sein, weniger streng geregelt und dennoch darauf bedacht, dass es lebenswert bleibt. So habe ich auf La Palma keinen Schmutz auf den Strassen oder in der Natur gesehen, jeder achtet darauf, dass der Abfall nicht überall herumliegt.
 
In Deutschland könnte man heutzutage den Eindruck bekommen, für viele „Ureinwohner“ ist die so genannte deutsche Kultur unverzichtbar und sie haben Angst, dass sie durch Flüchtlinge und Einwanderer überwuchert, verdrängt, vermischt oder zumindest gestört werden. Ich denke, für diese Landsleute käme es kaum infrage, sich irgendwo anders auf der Welt niederzulassen, weil sie dann das, was sie als „deutsch“ ansehen,  aufgeben müssten.
 
Natürlich sind auch die „auf-die-Insel-Flüchter“ nicht über einen Kamm zu scheren. Ich habe deutschstämmige Familien mit kleinen Kindern gesehen, die mich stark an die „Flower-Power-Zeit“ der 70-er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnerten, mit Rasterlocken, langen Pferdeschwänzen bei Männern in entsprechender Kluft mit „alternativer“ Lebensweise in Kommunen und Wohngemeinschaften  „bio-ernährt“ und mit dem Baby im Tragetuch vor der Brust. Ein Teil ihres Einkommens lässt sich durch Strassenmusik erzielen, durch Mitarbeit in einer Kooperative für Handwerkskunst oder durch den Anbau von Früchten.
 
Ich habe Männer und Frauen getroffen, die spanische Lebenspartner gefunden und sich die Insel als neue Heimat erkosen haben. Ich habe Senioren getroffen, die ihre Zelte in Deutschland abgebrochen haben, um dem wechselnden Klima mit zeitweise bitterer Kälte zu entfliehen und hier den „ewigen Frühling“ auch mit einer kleinen Rente geniessen und sich irgendeine Lebensaufgabe gesucht haben, etwa im Gartenbau oder im Tourismus. Nicht alle kann man als „Aussteiger“ bezeichnen. Alle scheinen aber durch eine gewisse Anspruchslosigkeit in Hinsicht auf Luxus und teuren Autos geprägt zu sein.
 
Gewiss spielt auch die mediterrane Lebensweise eine Rolle, gerade auf La Palma, das geradezu dazu zwingt, bei den vielen Windungen und Kurven der die“ Barrancas“ und Berge überwindenden Strassen langsam zu fahren, die Tage in den Bars, den Kiosks zu verbringen und Wein mit Tapas zu geniessen. Hektik, wie sie in Deutschland gang und gäbe ist, habe ich auf La Palma nur selten empfunden. Ein Wasserrohrbruch wurde schnell beseitigt, aber das Loch in der Strasse blieb noch lange nicht wieder ganz geschlossen und geteert. Man fuhr einfach drum herum.

Einkaufstempel, „Malls“ genannt, habe ich nur vereinzelt angetroffen und sie waren in ihrer Grossräumigkeit in meiner Empfindung fast leer. So wie es auch in den Super-Mercadillos beim Einkaufen ruhig und nie gestresst zugeht. Geduld scheint eine Tugend der Insulaner, speziell der Palmeros, zu sein.
 
Ganz sicher, auf dieser, wie auch auf anderen Inseln, lässt sich  leben. Diese Inseln leben von Touristen und dem Anbau von südlichen Früchten. Zeitweise hatte ich den Eindruck, ein gutes Drittel der Autos, die Anfang des Jahres unterwegs auf den Strassen waren, waren Leihwagen. Man kann sie leicht am Firmenzeichen am Rückfenster oder Heck erkennen, was darauf hinweist, das hier Touristen reisen.
 
Die Kommunen und die Vermieter von Zimmern und Fincas haben sich darauf eingestellt. In den Informationsbüros der Orte sprechen die freundlichen Angestellten alle deutsch und englisch, manchmal sind es auch Deutschstämmige.
 
Fährt man ins Inselinnere, findet man ab und an abseits der Dorfmitte zumeist ältere Autos mit deutschen Nummernschildern, z.B. aus Dortmund oder anderen Städten. Irgendwann mit einer Fähre auf die Insel angereist, ist eine Rückreise in weite Ferne gerückt. Und manchmal wird eben ein alter Wohnwagen zum festen Domizil, der irgendwo auf einem Gartengrundstück inmitten von blühenden Mandelbäumen abgestellt ist.
 
So wird die Insel die „zweite Heimat“, der neue Wohn- und Zufluchtsort. Alles, was lebensnotwendig ist, ist vorhanden, und viel braucht man eben nicht. Die ärztliche Versorgung ist auch in den kleineren Orten gesichert.
 
Das, was AfD- und Pegida-Anhänger und andere in Deutschland befürchten, hier findet es statt: Globalisierung und Vermischung. Spanische Lebensweise wird mit deutscher kombiniert. Natürlich sind nicht alle Spanier damit einverstanden, aber in Gebieten ohne grössere Industrie und wenig Jobs ist jeder willkommen, der zumindest ein wenig dazu beiträgt, dass es weitergeht.
 
Am vorletzten Tag auf La Palma besuchte ich eine Musikveranstaltung, die im Rahmen des Mandelblütenfests angeboten wurde. Es wurde klassische Musik von einer Gruppe, „die einzig und allein die Liebe zur Musik zusammengeführt hat“, dargeboten. Das Programm war in spanisch und in deutsch verfügbar und die Einführung begann in deutscher Sprache, denn die Vorsitzende der überwiegend Streichinstrumente spielenden Gruppe ist eine Deutsche. Erst danach wurden die Gäste auf Spanisch begrüsst und ins Programm eingeführt. Dann wurden teilweise recht anspruchsvolle Stücke von Vivaldi, Mozart, Bach und anderen Komponisten, die meisten deutschen Ursprungs, aufgeführt.
 
Auch das zeigt mir das friedliche Nebeneinander der verschiedenen Nationalitäten. Neben mir sass ein junger Franzose, der mit dem Rad unterwegs war, und der noch nicht wusste, wann er wieder nach Frankreich zurück fahren wollte, auf der anderen Seite ein älterer Palmero und daneben ein englisches Ehepaar.
 
Die Europäische Union, die vielfältigen Reisemöglichkeiten, auch das Internet und das Satellitenfernsehen machen es möglich, nicht nur in Deutschland sein Leben zu verbringen. Ich habe bei kaum jemandem von denen, die schon mehr als 20 Jahre auf der Insel lebten, gehört, dass sie wieder nach Deutschland zurück wollten. Die Insel ist die neue Heimat geworden und ich kann mir vorstellen, nicht erst auf den zweiten Blick!
 

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